«Unternehmensumfragen und Prognosen bleiben das Herzstück der KOF»

KOF Direktor Jan-Egbert Sturm und Hans Gersbach, ehemaliges Mitglied des KOF Leitungsausschusses und seit 2023 Forschungsdirektor an der KOF, erklären, wie sich das Institut als Brücke zwischen Forschung und Gesellschaft künftig aufstellen will.

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Prof. Jan-Egbert Sturm (links) und Prof. Hans Gersbach (rechts) (www.springer-photo.ch)

Wie blicken Sie aus Sicht der Wirtschafts- und Konjunkturforschung auf das Jahr 2022 zurück?

Jan-Egbert Sturm: Das Jahr 2022 war mit Blick auf die Corona-Pandemie ein Normalisierungsjahr. Corona war zwar noch nicht ganz verschwunden, die Pandemie hat ihre Wucht aber verloren und die Wirtschaft und Gesellschaft haben gelernt, mit ihr umzugehen. Gleichzeitig sind mit dem Ukraine-Krieg und der gestiegenen Inflation neue Konjunkturrisiken in den Vordergrund gerückt. Am Jahresanfang hatten wir noch das Gefühl, dass die Inflation bald abnehmen könnte. Doch mit dem Kriegsausbruch und der Energiekrise hat sich die Inflation länger, als wir zu Jahresbeginn gerechnet hatten, auf einem hohen Niveau gehalten.

Hans Gersbach: Die vergangenen drei Jahre waren aufgrund der grossen Schocks für die Wirtschafts- und Konjunkturforschung sehr herausfordernd, und zwar aus zwei Gründen. Zum einen konnte man vergangene Entwicklungen nicht einfach fortschreiben, sondern es war oft nötig, mit Risikoszenarien arbeiten. Zudem mussten in der Krise neue wirtschaftspolitische Antworten gefunden werden, für die uns genügend Erfahrungswissen fehlte. Denn im Standard-Wirtschaftslehrbuch gibt es kein Kapitel über die Pandemie. Dasselbe gilt in abgeschwächter Form für die durch den Ukraine-Krieg ausgelöste Energiekrise.

«Die vergangenen drei Jahre waren aufgrund der grossen Schocks für die Wirtschafts-​ und Konjunkturforschung sehr herausfordernd»
Prof. Hans Gersbach

Haben Sie das Gefühl, dass während der Corona-Krise und in Zeiten von hoher Inflation und steigenden Zinsen infolge des Ukraine-Krieges das öffentliche Interesse an makroökonomischen Themen zugenommen hat?

Gersbach: Ja. Absolut. Die Krisen haben viele Sorgen in der Bevölkerung ausgelöst, beispielsweise die Frage «Wie sicher ist unser Geld?». Solche Fragen können wir als KOF beantworten. Es braucht dafür auch neue Ansätze zur Modellierung des Geldsystems, das sich gewandelt hat, weil die Zentralbankreserven – auch in der Schweiz – stark zugenommen haben.

Sturm: Das Preisniveau war schon immer eine wichtige Variable in unseren Modellen, aber das Thema Inflation war seit Jahrzehnten nicht mehr so stark in der Öffentlichkeit präsent wie 2022. Die Inflation betrifft einfach alle, sei es beim Einkaufen oder beim Tanken. Das ist nicht in allen Wirtschaftsbereichen gleichermassen der Fall. Arbeitslosigkeit tangiert zum Beispiel nur den Teil der Bevölkerung, der gerade keine Arbeit hat.

Prof. Hans Gersbach
Prof. Hans Gersbach (www.springer-photo.ch)

Nun gab es nicht nur externe Veränderungen, auch innerhalb des Instituts wurden Veränderungen angestossen. Seit dem Jahreswechsel hat die KOF mit Ihnen beiden eine Doppelspitze. Wie werden Sie sich die Aufgaben in Zukunft aufteilen?

Gersbach
: Viele Aufgaben im Bereich Strategie, Personal oder Finanzen werden wir gemeinsam übernehmen. Ich werde als Forschungsdirektor einen Schwerpunkt bei der methodischen Weiterentwicklung der KOF und der Erschliessung neuer Forschungsansätze setzen. Ich möchte mich auch bei der Entwicklung von Mittelfristszenarien für die Schweiz einbringen, auch was die Erweiterung der wissenschaftlichen Methoden angeht. Mittelfristszenarien umfassen den Zeitraum von zwei bis fünf Jahren (oder sogar zehn) und fokussieren beispielsweise auf den technologischen Wandel oder die geopolitischen Veränderungen.

Sturm: Wir konzentrieren uns heute auf Kurzfristprognosen, die sich in der Regel auf das laufende und das kommende Jahr beziehen. Wenn wir uns jetzt noch ein weiteres Standbein im Bereich Mittelfristprognosen aufbauen, können sich diese beiden Bereiche gegenseitig befruchten. Ein langfristiger Anker, also zu wissen, in welche Richtung sich unsere Welt bewegt, hilft auch bei Kurzfristprognosen. Die KOF wird ihre Kernkompetenz im Bereich Konjunkturumfragen und Konjunkturprognosen stetig weiterentwickeln. In der Zukunft wollen wir uns mit Hans Gersbach aber noch breiter aufstellen.

«Das Preisniveau war schon immer eine wichtige Variable in unseren Modellen, aber das Thema Inflation war seit Jahrzehnten nicht mehr so stark in der Öffentlichkeit präsent wie 2022.»
Prof. Jan-Egbert Sturm

Die ETH hat mit dem Projekt rETHink die Weichen für eine organisatorische Weiterentwicklung der ETH gestellt. Inwiefern passt die neue Organisationsstruktur der KOF in dieses Projekt?

Sturm: Die KOF als kleiner Teil der grossen ETH ist ein Pionierinstitut von rETHink. Durch die Doppelspitze und eine neue interne Organisationsstruktur setzen wir als eine der ersten Einheiten der ETH die Ideen dieses Projekts um. Die Eigenverantwortung soll auf allen Stufen gestärkt werden und die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen sollen sich künftig stärker an der Organisationsentwicklung beteiligen können.

Der wissenschaftliche Nachwuchs ist für Forschungsinstitute wie die KOF eine der wertvollsten Ressourcen. Wie steht es um die Förderung von Doktorierenden an der KOF?

Sturm: In der Pandemie haben wir ein Mentoringprogramm für Doktorierende initiiert, damit sie nicht nur mit ihrem Doktorvater oder ihrer direkten Vorgesetzten im Austausch stehen, sondern auch von der Forschungs- und Lebenserfahrung von anderen fortgeschrittenen Forschenden profitieren können. Das war während der Pandemie ein gutes Format, damit Nachwuchsforschende nicht das Gefühl bekommen, alleine vor einem riesigen Forschungsberg zu stehen.

Gersbach: Wir entwickeln ausserdem gerade ein Konzept für ein «KOF Lab», in dem sich Doktorierende und Post-Docs mit Forschungsprojekten einbringen können. Ziel ist es, mit neuen, auch unkonventionellen Methoden Forschungsansätze zu entwickeln und diese mit finanziellen Mitteln der KOF und Drittmitteln «zum Fliegen zu bringen».

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Prof. Jan-Egbert Sturm. (www.springer-photo.ch)

Wie sieht Ihre langfristige Vision für die KOF aus?

Sturm: Die Gesellschaft wandelt sich kontinuierlich und die KOF verändert sich mit. Die Kernaufgabe des Instituts wird allerdings in naher Zukunft gleich bleiben: Wir haben eine Brückenfunktion von der Wissenschaft zur Wirtschaft und Gesellschaft und wollen weiterhin die Erkenntnisse der Forschung für die Praxis zugänglich machen. Wir nehmen unsere Brückenfunktion sehr ernst.

Gersbach: Genau. Und die Beobachtung der Wirtschaft mit Unternehmens¬umfragen und die Prognosen bleiben dabei das Herzstück der KOF. Dafür wollen wir unsere wissenschaftlichen Methoden immer weiter verbessern und verfeinern.

Das Interview führten Anne Stücker und Thomas Domjahn vom Bereich Corporate Communications.

 

Kontakt

Prof. Hans Gersbach
Ko-​Direktor KOF Konjunkturforschungsstelle
  • 41 44 632 82 80

Zürichbergstrasse 18
8092 Zürich
Schweiz

Prof. Dr. Jan-Egbert Sturm
Ko-Direktor KOF Konjunkturforschungsstelle
  • +41 44 632 50 01

Leonhardstrasse 21
8092 Zürich
Schweiz

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