Auswirkungen des «Brexit» auf Europa und die Schweiz

Die gestrige Entscheidung des Stimmvolkes im Vereinigten Königreich für den Austritt aus der Europäischen Union dürfte negative wirtschaftliche Auswirkungen auf das Vereinigte Königreich, Europa und die Schweiz haben und die politische Unsicherheit erhöhen. Die Finanzmärkte reagierten bereits stark auf das Votum.

Wirtschaftliche Auswirkungen

Die gestrige Entscheidung der Briten für den Austritt aus der Europäischen Union hatte unmittelbare wirtschaftliche Auswirkungen. So wertete das britische Pfund seit dem Vorabend gegenüber dem US-Dollar um bis zu 10% auf den niedrigsten Stand seit 30 Jahren ab. Auch gegenüber dem sich ebenfalls abschwächenden Euro verlor das Pfund um bis  7%. Der Schweizerfranken, als traditionelle Fluchtwährung während finanzieller Turbulenzen, wertete gegenüber dem Pfund um zeitweise 10% auf und gegenüber dem Euro um 2% und liegt derzeit bei einem Kurs von 1.08 CHF/EUR. Andere traditionelle Fluchtwährungen, wie der japanische Yen und der US-Dollar, werteten deutlich stärker auf als der Franken. Der Goldpreis nahm um 5% zu und die Rendite auf zehnjährige US-amerikanische Staatsanleihen fiel um einen Viertel Prozentpunkt auf 1.4%, da Anleger in als sicher angesehene Anlagen flüchten. Die Börse in Japan brach im Verlauf des Handelstages um 8% ein und die Börsen in Europa öffneten zu Handelsbeginn mit Rückgängen von teilweise mehr als 10%.

Die britische Wirtschaft wird durch den «Brexit» in diesem und dem kommenden Jahr deutlich beeinträchtigt werden. Aufgrund der Abwertung des Pfunds wird die Teuerung signifikant ansteigen und auch eine Rezession in den kommenden Quartalen kann nicht ausgeschlossen werden.  Mittelfristig dürfte der «Brexit» ebenfalls negative Effekte haben, da der auf zwei Jahre angesetzte Austrittsprozess mit erhöhter politischer Unsicherheit einhergehen wird. Diese Unsicherheit wird die Investitionstätigkeit im Vereinigten Königreich beeinträchtigen.

Die Wirtschaft im Euroraum dürfte den «Brexit» ebenfalls negativ zu spüren bekommen. Sowohl die Abwertung des Pfunds als auch die politische Unsicherheit werden die Importnachfrage des Vereinigten Königreichs dämpfen. Darunter leiden vor allem die Länder, für die die Exporte in das Vereinigte Königreich besonders wichtig sind, nämlich Irland, die Niederlande, Belgien, aber auch Deutschland und Frankreich. Der Ausgang des Referendums dürfte zu einer Stimmungseintrübung im Euroraum führen. Dies und die erhöhte politische Unsicherheit über die zukünftige Ausgestaltung der Europäischen Union werden die Konjunktur und dabei insbesondere die Investitionstätigkeit belasten.

Das schwächere Pfund und die erwartete konjunkturelle Abkühlung im Vereinigten Königreich dürften negative Auswirkungen auf den Schweizer Export haben. Mit einem Anteil von 5.8% an den gesamten Schweizer Warenexporten ist das Vereinigte Königreich die fünftwichtigste Exportdestination der Schweiz. Pharmaprodukte, welche relativ wenig konjunkturreagibel sind, sowie Uhren und Präzisionsinstrumente stellen den grössten Anteil an den Schweizer Güterexporten in das Vereinigte Königreich. Da 8.5% der ausländischen Logiernächte in der Schweiz von britischen Touristen kommen, dürften sich auch negative Folgen für die alpinen Tourismusregionen in der Schweiz ergeben.

Da die Schweizer Wirtschaft eng mit dem Euroraum vernetzt ist, dürften sich weitere negative Auswirkungen auf die Schweizer Konjunktur ergeben. Der Schweizerfranken – wie bereits vor der Abstimmung – wird als sicherer Hafen wieder attraktiver, was den Aufwertungsdruck erhöht. Wie stark die Aufwertung sein wird, hängt neben der Stärke der Fluchtbewegung auch davon ab, ob – und, wenn ja wie stark – sich die Schweizerische Nationalbank dagegen stemmen wird. So könnte sie direkt den Schweizerfranken durch Interventionen am Devisenmarkt schwächen oder aber die Zinsen senken.

Politische Auswirkungen

Der britische Premierminister Cameron hat seinen Rücktritt bekannt gegeben und für den Herbst 2016 Neuwahlen angekündigt. Wann die Verhandlungen mit der EU gestartet werden und wie lange es tatsächlich bis zum Vollzug des Austritts dauert, ist unklar. Die nun folgenden Verhandlungen zwischen dem Vereinigtem Königreich und der EU über ein neues Rahmenwerk können sich mehrere Jahre hinziehen, da es keine genauen Abläufe und Präzedenzfälle für das Ausscheiden eines Landes aus der EU gibt.

Die Schweiz als Nicht-EU-Mitglied könnte dagegen relativ schnell ein neues Freihandelsabkommen mit dem Vereinigten Königreich schliessen, unabhängig davon, ob in den Austrittsverhandlungen ein Handelsabkommen zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich zustande kommt.

Schwierig einzuschätzen sind die politischen Auswirkungen eines Austritts auf die EU. Es ist möglich, dass der «Brexit» weitere Austritte nach sich zieht und die übrig gebliebenen Länder sich daraufhin politisch umso mehr integrieren. Forderungen nach einem Austrittsreferendum sind besonders prominent in Frankreich, Dänemark und der Tschechischen Republik. Die mehrheitliche Ablehnung des «Brexit» durch die Schotten und Nordiren dürfte auch im Vereinigten Königreich selbst Unabhängigkeitsbestrebungen wieder aufleben lassen.

Das gestrige Votum wird auch die anstehenden Verhandlungen der Schweiz und der EU über die Vereinbarkeit von Personenfreizügigkeitsabkommen und Umsetzung der Masseneinwanderungsinitiative beeinflussen. Zum einen könnte sich der Verhandlungsbeginn verzögern. Zum anderen wird der EU nun viel daran liegen, zu signalisieren, dass sich Separatlösungen nicht lohnen, um so den Anreiz für weitere Austritte zu reduzieren. Gut möglich ist darum, dass die EU in den Neuverhandlungen zur zukünftigen Beziehung mit dem Vereinigten Königreich eine harte Linie verfolgt. Dies würde sie der Kohärenz wegen dann auch in den Verhandlungen mit der Schweiz tun. Da die Schweiz weniger Verhandlungsmacht als das Vereinigte Königreich mitbringt, würde sie in diesem Szenario wohl ein noch schlechteres Verhandlungsergebnis erzielen als das Vereinigte Königreich.

JavaScript wurde auf Ihrem Browser deaktiviert