«Wir stehen nicht am Anfang, sondern eher am Ende einer Bankenkrise»

Jan-Egbert Sturm, Direktor der KOF

KOF-Direktor Jan-Egbert Sturm erklärt, warum die Rettung der Credit Suisse richtig war, und ordnet die makroökonomischen Konsequenzen der Übernahme durch die UBS ein.

Die KOF hat in ihrer Prognose vom Frühling einen Anstieg des Schweizer Bruttoinlandprodukts (BIP) um 0.8% in diesem Jahr und um 2.1% im Jahr 2024 vorausgesagt – allerdings erfolgte die Berechnung vor der Übernahme der Credit Suisse durch die UBS. Braucht die Prognose nun ein Update?
Nein. Wenn man davon ausgeht, dass die Übernahme der Credit Suisse durch die UBS erfolgreich ist und nicht kurzfristig mit grösseren Verwerfungen einhergeht, dann wird sie keine grossen Konsequenzen auf unsere Prognose für die Schweizer Wirtschaft haben. Wäre die Credit Suisse nicht gerettet worden, hätte es einen Dominoeffekt geben können, was zu einer neuen Finanzkrise hätte führen können. Aber die Lage scheint sich nun glücklicherweise stabilisiert zu haben. Stand heute stehen wir nicht am Anfang, sondern eher am Ende einer Bankenkrise.

Können Sie diese Einschätzung quantifizieren?
Wenn wir annehmen, dass bis 2027 etwa 20% der Bilanzsumme und der Wertschöpfung der neuen UBS durch die anstehende Restrukturierung verloren gehen, dann kostet dies schätzungsweise 0.05 Prozentpunkte BIP-Wachstum pro Jahr. Das heisst, wenn wir ohne die Übernahme um 1% gewachsen wären, würden wir jetzt um 0.95% wachsen.

Fusionen und Übernahmen kosten in der Regel Arbeitsplätze. Erwarten Sie realwirtschaftliche Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt?
Auch das Beschäftigungswachstum würde unter den gegebenen Annahmen in einer ähnlichen Dimension wie das BIP schrumpfen. Aber der Schweizer Arbeitsmarkt ist in einer guten Verfassung. Deshalb ist nicht zu befürchten, dass die von Entlassungen betroffenen Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen keine neue Stelle finden. Damit würden sich auch die Wertschöpfungsverluste weiter relativieren.

«Wäre die Credit Suisse nicht gerettet worden, hätte es einen Dominoeffekt geben können, was zu einer neuen Finanzkrise hätte führen können»
Jan-Egbert Sturm, Direktor der KOF

Jenseits der Zahlen – schadet das Scheitern der Credit Suisse der Reputation des Finanzplatzes Schweiz?
Innerhalb von zwei Jahrzehnten ist erneut eine Schweizer Grossbank in eine Schieflage geraten. Das schadet dem Image des Finanzplatzes Schweiz und dem Wirtschaftsstandort Schweiz, der ja eigentlich als Hort der Stabilität bekannt ist. Die Rettung der Credit Suisse zeigt aber auch, dass die Schweiz handlungsfähig ist. Innert kurzer Zeit wurde eine pragmatische Lösung gefunden, die eine Perspektive bietet. Hätte man gezögert, wären die Folgen viel schlimmer gewesen.

Hat die Übernahme auch Vorteile?
Gemessen an der Wirtschaftskraft der Schweiz, ist die neue UBS sehr gross. Aber global gesehen, gibt es Banken, vor allem in den USA und in China, die gemessen an der Marktkapitalisierung deutlich grösser sind. Insofern ist die UBS global vielleicht etwas wettbewerbsfähiger geworden.

Warum hat sich der Franken nach den Turbulenzen im Finanzsektor nicht abgeschwächt?
Die Finanzmarktakteure wissen, dass es sich nicht lohnt, gegen den Franken zu spekulieren, weil die Schweizerische Nationalbank dagegenhalten würde. Allein dieses Wissen schützt den Franken vor einer Abwertung.

Die Zentralbanken in den USA, im Euroraum und in der Schweiz haben trotz der Bankenkrise zuletzt die Leitzinsen weiter erhöht. War das richtig?
Die Inflation in der gesamten westlichen Welt ist nach wie vor hoch. Deshalb müssen die Zinsen weiter angehoben werden. Aus Gründen der Finanzstabilität müssen die Zentralbanken die Möglichkeit von Bankenkrisen im Auge behalten. Solange es sich um Einzelfälle handelt, sollten diese auch als solche behandelt werden und die Geldpolitik selbst zur Inflationsbekämpfung eingesetzt werden. Deshalb ist es richtig, dass die Zentralbanken den Zinserhöhungspfad fortsetzen.

«Die Inflation in der gesamten westlichen Welt ist nach wie vor hoch. Deshalb müssen die Zinsen weiter angehoben werden»
Jan-Egbert Sturm, Direktor der KOF

Links zum Thema

Die aktuelle Konjunkturprognose der KOF finden Sie hier.
 
Die aktuelle KOF-NZZ Ökonomenumfrage zur Übernahme der Credit Suisse finden Sie hier.

Ansprechpartner

Prof. Dr. Jan-Egbert Sturm
Ordentlicher Professor am Departement Management, Technologie und Ökonomie
Direktor KOF Konjunkturforschungsstelle
  • LEE G 305
  • +41 44 632 50 01

Professur f. Wirtschaftsforschung
Leonhardstrasse 21
8092 Zürich
Schweiz

Dr. Thomas Domjahn
  • LEE F 114
  • +41 44 632 53 44

KOF Bereich Zentrale Dienste
Leonhardstrasse 21
8092 Zürich
Schweiz

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