Arbeitsmarkt

Schweizer Arbeitsmarkt weiterhin in guter Verfassung

2022 wird als aussergewöhnliches Jahr für den Arbeitsmarkt in die Geschichte eingehen – in der Schweiz, aber auch in vielen anderen europäischen Ländern. Die KOF prognostiziert für das laufende Jahr einen Beschäftigungsanstieg von 1.5% und für das kommende Jahr einen Anstieg von 1%.

Für den Schweizer Arbeitsmarkt war das letzte Jahr eines der besten in den letzten Jahrzehnten. Fast alle wichtigen Arbeitsmarktkennzahlen verzeichneten Werte nahe oder über ihren historischen Höchstmarken (wie etwa die Zahl der Beschäftigten, das Ausmass der Rekrutierungsschwierigkeiten auf Firmenseite oder die Anzahl offener Stellen) beziehungsweise Tiefstmarken (Arbeitslosigkeit). Die neusten Arbeitsmarktzahlen deuten darauf hin, dass sich der Höhenflug am Schweizer Arbeitsmarkt auch im vierten Quartal 2022 fortsetzte. In den Monaten zwischen Ende September und Ende Dezember reduzierte sich die Zahl der registrierten Arbeitslosigkeit gemäss Zahlen des Staatssekretariats für Wirtschaft (SECO) um saisonbereinigt insgesamt 6600 Personen.

Zwar spielte hier auch die einmalig hohe Zahl an Aussteuerungen aus der Arbeitslosenversicherung (ALV) eine Rolle. Im November wurden circa 4000 ALV-Beziehende, die während einigen Monaten der Corona-Pandemie eine Verlängerung ihrer ALV-Bezugsfristen erhielten, zusätzlich ausgesteuert. Doch selbst wenn man diesen Sondereffekt herausrechnet, nahm die Quote der registrierten Arbeitslosigkeit in den drei letzten Monaten von 2022 jeweils recht deutlich ab. Diese Tendenz setzte sich gemäss den neusten Zahlen im Januar und Februar 2023 fort. Auch gemäss Beschäftigungsstatistik wuchs diese zwischen Ende September und Ende Dezember stark.

In Vollzeitäquivalenten (VZÄ) gerechnet, wurde ein Anstieg von saisonbereinigt 0.6% verzeichnet. Dieses Wachstum war rund 0.3 Prozentpunkte höher als von der KOF in ihrer Dezember-Prognose erwartet. Einzig die Arbeitslosenquote gemäss der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) verzeichnete im vierten Quartal 2022 unerwartet und etwas inkonsistent mit den anderen Arbeitsmarktzahlen eine leichte Zunahme in den saisonbereinigten Werten.

Die Daten der Beschäftigungsstatistik zeigen, dass das Beschäftigungswachstum auch Ende 2022 branchenmässig breit abgestützt war. Die stärksten Zuwachsraten der VZÄ verzeichneten im vierten Quartal das Gastgewerbe (saisonbereinigt 1.5%) sowie der Bereich Kunst und Unterhaltung (2.2%). Jene Branchen also, die am stärksten von der Corona-Pandemie betroffen waren. Ebenfalls stark wuchsen die Uhrenindustrie und Datenverarbeitung (1.5%), der Grosshandel (1.5%) und der Maschinenbau (1.2%). Nur zwei Branchen verzeichneten leicht rückläufige Beschäftigungszahlen. Während der Rückgang im Bereich Information und Kommunikation mit einem Minus von 0.3% gering war, war er im Detailhandel mit einem Minus von 1.2% beachtlich.

Boom auf den europäischen Arbeitsmärkten

Die Schweiz war 2022 nicht das einzige Land in Europa, dessen Arbeitsmarkt in blendender Verfassung war. Trotz Rezessionsängsten und hoher Inflationsraten boomte der Arbeitsmarkt in praktisch allen EU-Ländern, wie die Zahlen zur Vakanzrate – die Zahl offener Stellen in einer Volkswirtschaft im Verhältnis zur Gesamtzahl an Stellen – zeigen. Saisonbereinigt waren 2.9% aller Stellen in der EU und 3.1% der Stellen im Euroraum im dritten Quartal 2022 unbesetzt. Noch eindrücklicher: In 17 von 27 Ländern, für die das europäische Statistikportal Eurostat die Vakanzrate bereitstellt, stieg diese in einem der letzten vier Datenquartale auf einen neuen historischen Höchstwert.

Betrachtet man die Situation in den einzelnen Ländern, so war die Vakanzrate saisonbereinigt mit jeweils 4.9% in den Niederlanden, Belgien und Österreich am höchsten. Die Schweiz lag mit einer Rate von saisonbereinigt 2.3% – ebenfalls ein neuer historischer Höchstwert – «nur» auf Rang 14 der 27 Länder, für die die Daten vorliegen (vgl. die Abbildung G7 Vakanzrate in europäischen Ländern im dritten Quartal 2022). Entsprechend der hohen Zahl an Stellen, welche die Firmen besetzen wollen, ging die Arbeitslosigkeit in der EU und im Euroraum markant zurück. Die Arbeitslosenquote gemäss dem Konzept der ILO lag um Saisoneffekte bereinigt im Euroraum beispielsweise noch bei 6.6% und damit 0.4 Prozentpunkte tiefer als im Dezember 2021 und so tief wie noch nie seit Einführung des Euros. Als Resultat dieser Entwicklungen lag die europaweite Beveridge-Kurve, welche die Arbeitslosenquote der Vakanzrate gegenüberstellt, Ende 2022 am oberen rechten Rand. Das ist ein klares Signal für einen Boom am europäischen Arbeitsmarkt.

Fachkräftemangel auch 2023 ausgeprägt

Vor dem Hintergrund einer stark steigenden Beschäftigung in praktisch allen Branchen im In- und nahen Ausland erstaunt es nicht, dass die Unternehmen in der Schweiz im letzten Jahr zunehmend Mühe bekundeten, ihre grosse Zahl offener Stellen mit geeignetem Personal zu besetzen. Entsprechend entstand ein ausgeprägter Arbeitskräftemangel in der Schweiz und in grossen Teilen Europas. Selbst für einfachere Tätigkeiten hatten die Firmen teils Mühe, Personal zu finden. Zahlen aus den KOF Unternehmensumfragen vom Januar 2023 legen nahe, dass der Fachkräftemangel auch zu Beginn des Jahres 2023 ein wesentlicher Hemmschuh für die Firmen darstellte. Der Anteil an Firmen, die meldeten, durch Personalmangel in der Produktion bzw. Dienstleistungserbringung gehemmt zu sein, verharrte auf historisch hohem Niveau.

Im Baugewerbe nahm der Fachkräftemangel gemäss diesen Daten sogar noch zu. Fast 60% aller Firmen klagten über Personalmangel – der höchste Wert aller gezeigten Branchenaggregate. Wie die Abbildung G8 Produktionshemmnis Arbeitskräftemangel zeigt, war die Baubranche bereits in der Vergangenheit besonders stark vom Personalmangel betroffen. Dieses auf den ersten Blick überraschende Resultat wird in einer kürzlich veröffentlichten Studie, welche die KOF zusammen mit einem privaten Partner erarbeitete, bestätigt. Mit Hilfe von äusserst granularen Daten aller Online-Stelleninseraten in der Schweiz wurde in der Studie im Auftrag des Schweizerischen Arbeitgeberverbandes untersucht, welche Stellen in der Schweiz schwer zu besetzen sind. Als Mass für die Schwierigkeiten bei der Stellenbesetzung wurde die Vakanzdauer verwendet – also die Zeit, die zwischen dem Aufschalten und Löschen eines Stelleninserats vergeht.

In der Studie wird unter anderem in einer Auswertung nach detaillierten Berufen gezeigt, dass die mittlere Vakanzdauer in Berufen, denen gemeinhin ein grosser Fachkräftemangel nachgesagt wird, wie etwa Ärztinnen, Pflegefachkräfte, Bauingenieurinnen oder Softwareentwickler, in der Tat vergleichsweise hoch ist. Noch höher ist sie allerdings in technischen Berufen, die einen eidgenössischen Fachausweis verlangen und im Baugewerbe stark vertreten sind. Äusserst schwer zu finden sind in der Schweiz etwa Heizungsinstallateurinnen, Sanitäre und Zimmerleute.

Babyboomer-Generation verlässt allmählich den Arbeitsmarkt – Personalbedarf steigt

Neben dem Boom am Arbeitsmarkt dürfte auch die Demografie zum gegenwärtigen Fachkräfteengpass beigetragen haben. Denn durch die allmähliche Verrentung der Babyboomer-Generation steigt der Ersatzbedarf. Dabei dürfte sich der demografische Effekt auf den Fachkräftebedarf in den nächsten fünf Jahren im Vergleich zu heute noch verstärken, bevor er wieder an Gewicht verliert. Zu diesem Schluss gelangt man, wenn man mit Hilfe realisierter und prognostizierter Bevölkerungszahlen die Daten zur Altersstruktur der Schweizer Bevölkerung mit der Erwerbsquote nach detailliertem Altersjahr in Beziehung setzt.

Geht man der Einfachheit halber davon aus, dass die Erwerbsquote in jedem Altersjahr in den nächsten Jahren konstant auf dem zuletzt beobachteten Niveau verbleibt, ergibt sich, dass allein aufgrund der Altersstruktur im Jahr 2023 gut 14 000 Erwerbspersonen mehr ersetzt werden müssen als noch 2015. Im Jahr 2028, sobald die Verrentungswelle ihren so errechneten Höhepunkt erreicht, sind es gut 20 000 Erwerbspersonen mehr als 2015. Der demografische Rentengipfel verschiebt sich zeitlich leicht nach hinten, wenn man unterstellt, dass beispielsweise wegen der Erhöhung des Rentenalters der Frauen auch die Erwerbsquote im Alter in den nächsten Jahren noch leicht zulegen wird. Die KOF geht aufgrund dieser Rechnungen in ihren Bevölkerungsszenarien, die in diese Prognose einfliessen, schon länger davon aus, dass der steigende Ersatzbedarf in den kommenden Jahren für sich genommen auch die Nettozuwanderung erhöhen wird.

Bessere Arbeitsmarktaussichten als in der letzten Prognose

Zu Beginn des Jahres 2023 zeigte sich der Arbeitsmarkt weiterhin in guter Verfassung. Viele Vorlaufindikatoren zum Arbeitsmarkt wie etwa der Swiss Job Tracker, der die Entwicklung aller in der Schweiz online ausgeschriebenen Stellen abbildet, zeigten zwar Anzeichen einer gewissen Normalisierung, verharrten aber weiterhin auf sehr erfreulichen Niveaus. Die robuste Indikatorenlage ist der eine Grund, wieso die KOF die Aussichten zum Schweizer Arbeitsmarkt in ihrer Frühlingsprognose positiver einschätzt als in den beiden vorhergehenden Prognosen. Der zweite Grund ist, dass die wichtigsten Nachbarländer gemäss der neuen Prognose an der bis dato erwarteten Rezession vorbeischrammen dürften.

Konkret heisst dies, dass die KOF in der neuen Prognose von einem Anstieg und nicht mehr von einer Stagnation der Beschäftigung in der ersten Jahreshälfte 2023 ausgeht. Allerdings dürfte es auch gemäss der neuen Prognose im Vergleich zum sehr starken Zuwachs in den Jahren 2021 und 2022 zu einer Verlangsamung der Wachstumsdynamik kommen. Im Schnitt prognostiziert die KOF für 2023 auch aufgrund des erheblichen Überhangs nunmehr einen Beschäftigungsanstieg von 1.5% (letzte Prognose: 1%). In VZÄ gerechnet, dürfte das Jahreswachstum 1.4% betragen. Im nächsten Jahr geht die KOF von Zuwächsen um die 1% in beiden Grössen aus. Parallel dazu entwickelt sich die Zahl der Erwerbstätigen (2023 und 2024 jeweils 1.1%).

Gemäss Prognose setzt sich auch der Rückgang der Arbeitslosigkeit im ersten Quartal 2023 noch fort, kommt danach aber zum Erliegen. Insgesamt prognostiziert die KOF im Jahresmittel 2023 eine Quote der registrierten Arbeitslosigkeit gemäss SECO von 1.9%, nach 2.2% in der letzten Prognose. Im Jahr 2024 steigt die Quote leicht auf 2.2%. Die Arbeitslosenquote gemäss ILO entwickelt sich auf höherem Niveau parallel und beträgt gemäss Prognose im Jahresmittel 2023 gut 4.1%. Dabei wird unterstellt, dass der erwähnte, saisonbereinigte Anstieg der Arbeitslosenquote im vierten Quartal 2022 nicht nur konjunkturelle Gründe aufwies, sondern mitunter der statistischen Unschärfe dieser Kennzahl geschuldet war. Daher geht die KOF in der Prognose im ersten Quartal 2023 von einer gewissen Gegenkorrektur in den ILO-Zahlen aus.

Ansprechpartner

Dr. Michael Siegenthaler
Dozent am Departement Management, Technologie und Ökonomie
  • LEE G 301
  • +41 44 633 93 67

KOF Konjunkturforschungsstelle
Leonhardstrasse 21
8092 Zürich
Schweiz

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