Wie bestimmen Unternehmen ihre Preise?

Neue Umfragedaten geben Einblick in das Preissetzungsverhalten von Schweizer Unternehmen. Sie beleuchten die Motive der Preissetzer bei der Überprüfung, Bildung und Anpassung ihrer Preise sowie die Gründe, warum sie ihre Preise nicht anpassen. Insbesondere verdeutlichen sie, wie sich die Preissetzung im Spannungsfeld zwischen Kundschaft und Konkurrenz bewegt.

Wie Unternehmen ihre Preise bestimmen, ist aus mindestens zwei Gründen von grosser makroökonomischer Bedeutung. Erstens sind Preisindizes gewichtete Summen von Einzelpreisen. Daher haben individuelle Entscheidungen über Preisanpassungen einen direkten Einfluss auf die Inflation als Ganzes. Zweitens bestimmt die Preissetzung die Art und Weise, wie sich ökonomische Schocks auf die Gesamtwirtschaft auswirken. In dem Masse, in dem Preise nicht unmittelbar oder nur unvollständig auf Veränderungen von Angebot und Nachfrage reagieren, haben monetäre Anreize Auswirkungen auf die reale Wirtschaftstätigkeit. Aus diesen Gründen ist es sowohl für die Forschung als auch für die Geldpolitik wichtig zu verstehen, wie Preise festgelegt werden und welche Faktoren die Preisanpassung beeinflussen.

Entsprechend hat in den letzten Jahrzehnten eine umfangreiche empirische Forschung das Ausmass und die Ursachen einer trägen Preisanpassung beleuchtet und unser Verständnis über das Preissetzungsverhalten der Unternehmen vertieft. Diese Forschung basiert im Wesentlichen auf quantitativen Preisdaten.1 Allerdings sind Untersuchungen, die auf quantitativen Daten beruhen, oftmals blind gegenüber Faktoren wie den Erwartungen, Überlegungen und Beweggründen der Preissetzer, die ihrem Preissetzungsverhalten zugrunde liegen. Ausserdem liefern quantitative Daten nur Informationen über die tatsächlichen Entscheidungen der Unternehmen, geben aber keinen Aufschluss über die übrigen Phasen des Preissetzungsprozesses.

Eine Ad-hoc-Umfrage wirft neues Licht auf die Preissetzung

Um diese sonst unsichtbaren Faktoren und Phasen der Preissetzung zu beleuchten, wurde im Rahmen eines laufenden Forschungsprojekts eine Ad-hoc-Umfrage unter Schweizer Unternehmen durchgeführt und dabei qualitative Erkenntnisse über ihre Preissetzung gewonnen (Seiler, 2022a,b). Die betrachteten Phasen umfassen die Überprüfung, Bildung und Anpassung der Preise sowie die Gründe für das Unterlassen von Preisanpassungen.

Die Umfrage wurde im Frühjahr 2022 bei privaten Schweizer Unternehmen durchgeführt, die regelmässig an der KOF Investitionsumfrage teilnehmen. Insgesamt wurden 5551 Unternehmen angeschrieben, von denen 1555 Unternehmen geantwortet haben. Neben dem Verarbeitenden Gewerbe umfasst die Stichprobe auch eine grosse Zahl von Unternehmen aus dem Detailhandel und anderen Dienstleistungsbranchen, was verlässliche Rückschlüsse nicht nur auf die Produzentenpreise, sondern auch auf die Konsumentenpreise erlaubt.

Preise werden bei verschiedenen Gelegenheiten und häufiger überprüft, als dass sie tatsächlich geändert werden

Die Unternehmen überprüfen ihre Preise bei verschiedenen Gelegenheiten: Die Preise werden sowohl in regelmässigen Zeitabständen («time-dependent pricing») als auch in Reaktion auf bestimmte Ereignisse («state-dependent pricing») überprüft.

Das durchschnittliche Unternehmen überprüft seine Preise zweimal pro Jahr und ändert sie jährlich. Diese Häufigkeiten variieren jedoch erheblich zwischen den einzelnen Sektoren. Im Detailhandel ändert das mittlere Unternehmen seine Preise vierteljährlich, in der Industrie halbjährlich und bei den übrigen Dienstleistern einmal pro Jahr oder seltener. Die Überprüfungs- und Anpassungshäufigkeiten fallen auch bei Unternehmen höher aus, die einen grösseren Anteil ihres Umsatzes über das Internet erzielen oder die sich einem intensiveren Wettbewerb ausgesetzt sehen. Ausserdem passen die Unternehmen ihrer Einschätzung nach heute ihre Preise häufiger an als noch vor fünf Jahren und erwarten, dass sich dieser Trend in Zukunft fortsetzen wird.

All dies können Anzeichen für einen verschärften Wettbewerb infolge des Aufkommens des Onlinehandels sein. Tatsächlich haben digitale Technologien aber auch so Eingang in die Preissetzung gefunden. 14% der Unternehmen vergleichen ihre Preise mit den Preisen ihrer Mitbewerber auf automatische Art und Weise. In 28% der Unternehmen werden die Preise automatisch berechnet. Aller Wahrscheinlichkeit nach handelt es sich dabei um Algorithmen, die die Verkaufspreise auf Grundlage von Einkaufspreisen, übrigen Kosten und einer angestrebten Gewinnmarge berechnen. Schliesslich beschliesst mehr als ein Zehntel der Unternehmen Preisänderungen ohne menschliche Interaktion.

Preise richten sich nach den Preisen der Mitbewerber und sind stark differenziert

Rund die Hälfte aller Unternehmen verfolgt eine eigenständige Preispolitik und bestimmt die Preise für ihre Produkte oder Dienstleistungen selbst. Bei vielen Unternehmen des Verarbeitenden Gewerbes wird die Preisgestaltung ausserdem durch Verhandlungen oder Verträge mit Kunden beeinflusst. Im Detailhandel spielen umgekehrt Verhandlungen mit Lieferanten eine wichtige Rolle.

Bei ihrer Preissetzung berücksichtigen die Unternehmen am häufigsten Informationen über das aktuelle Verhalten aller für die Preisbildung relevanten Variablen. Daneben spielen Informationen über das vergangene und erwartete künftige Verhalten jener Variablen eine untergeordnete Rolle. Die meisten Unternehmen legen ihre Preise in Abhängigkeit von den Preisen ihrer Mitbewerber fest. Preisaufschlagsregeln, bei denen die Unternehmen einen fixen oder variablen Prozentsatz auf ihre kalkulierten Stückkosten aufschlagen, beschreiben die Preisberechnung in Handel und Industrie zwar zutreffend, haben aber im Vergleich zu früheren nationalen (Zurlinden, 2007) und internationalen Befragungen (Blinder, 1998; Fabiani et al., 2005) an Bedeutung verloren.

Die Umfrageergebnisse sprechen klar gegen eine einheitliche Preisgestaltung: Die Unternehmen differenzieren ihre Preise entlang verschiedener Dimensionen. Bei 66% variieren die Preise in Abhängigkeit von der verkauften Menge. 61% verfolgen eine personalisierte Preisstrategie und differenzieren ihre Preise zwischen den Kunden. Die Hälfte variiert die Preise regional innerhalb der Schweiz. Ein Fünftel passt seine Preise in Echtzeit an die Marktdynamik oder die Tageszeit an («dynamic pricing»). Darüber hinaus differenzieren 13% der Unternehmen ihre Preise nach Absatzkanal («online» vs. «offline»).

Preisanpassungen erfolgen asymmetrisch auf Veränderungen der Kosten und Marktbedingungen

Sind Preisänderungen innerhalb oder zwischen Unternehmen synchronisiert? Die Synchronisierung innerhalb von Unternehmen misst das Ausmass, in dem Unternehmen Preisänderungen über ihre gesamte Produktpalette hinweg koordinieren. Die Synchronisierung zwischen Unternehmen misst das Ausmass, in dem die Unternehmen die Preise gleichzeitig mit ihren Mitbewerbern ändern. Zwischen einem Viertel und einem Drittel der Unternehmen melden synchronisierte Preisänderungen, wobei die Synchronisierung innerhalb von Unternehmen gegenüber der Synchronisierung zwischen Unternehmen überwiegt. Die Wahrscheinlichkeit einer Preisänderung ist leicht höher, wenn sich der Preis seit Langem nicht mehr geändert hat, als wenn er erst kürzlich geändert wurde. Das deutet auf eine flache, aber insgesamt leicht ansteigende Altersausfallrate («duration hazard function») hin.

Die Kosten für Arbeit, die Rohstoffkosten und die Preise der Lieferanten gehören zu den wichtigsten Faktoren, die Preisänderungen motivieren. Veränderungen bei diesen Faktoren schlagen sich am stärksten auf die Verkaufspreise durch und beeinflussen diese asymmetrisch. Grafik G 13 zeigt für jeden Einflussfaktor die Differenz zwischen seiner mittleren Bedeutung für eine Preiserhöhung und seiner mittleren Bedeutung für eine Preissenkung. Die Ergebnisse zeigen ein auffallend regelmässiges Muster positiver Asymmetrien bei Kostenfaktoren und negativer Asymmetrien bei Faktoren, die die Marktbedingungen betreffen. Höhere Kosten sind für Preiserhöhungen relevanter als dass niedrigere Kosten für Preissenkungen relevant sind. Umgekehrt sind Erschütterungen der Marktbedingungen (z. B. durch tiefere Preise der Mitbewerber) für Preissenkungen wichtiger als für Preiserhöhungen.

Die Sorge um die Kundenbeziehungen prägt Preisrigiditäten

Der am häufigsten genannte Grund, die Preise nicht anzupassen, sind implizite Verträge mit den Kunden (siehe Grafik G 14). Nach der Theorie der impliziten Verträge sind die Unternehmen bestrebt, langfristige Kundenbeziehungen aufzubauen und ihre Kunden zu binden, indem sie die Preise so stabil wie möglich halten. Eine häufigere Änderung der Preise könnte diese Beziehungen beeinträchtigen. Die Sorge um ihre Kundenbeziehungen spielt entsprechend eine Schlüsselrolle im Preissetzungsverhalten der Unternehmen. Gleich bleibende Kosten sowie fixe Verträge, die die Möglichkeiten zu Preisänderungen einschränken, sind weitere wichtige Gründe, warum die Unternehmen ihre Preise nicht häufiger anpassen. Vergleichsweise unbedeutend sind die mit Preisanpassungen verbundenen Kosten. Das betrifft sowohl die Informationskosten (das sind z. B. der Zeit- und Arbeitsaufwand für die Beschaffung aller für die Preisentscheidungen erforderlichen Informationen) als auch die physischen Kosten von Preisänderungen (z. B. der Druck neuer Kataloge oder der Austausch von Preisschildern). Die Tatsache, dass gerade solche «Menükosten» keine wesentliche Rolle zu spielen scheinen, ist insofern bemerkenswert, als dass Menükosten in der Literatur ein beliebtes Mittel zur Modellierung nominaler Preisrigiditäten sind.

Werden die Unternehmen gebeten, die Bedeutung derselben Theorien für ihre Preissetzung seit der Pandemie zu beurteilen, so zeigt sich, dass alle Theorien zur Erklärung von Preisrigiditäten an Bedeutung verloren haben. Dies steht im Einklang mit dem Bild eines zuletzt grundlegend flexibleren Preissetzungsverhaltens und des jüngsten Anstiegs der Inflation. Allerdings haben nicht alle Theorien gleichermassen an Bedeutung verloren. Seit der Pandemie haben insbesondere kostenbasierte Preisbildungsregeln und implizite Verträge eine geringere Rolle bei der Verhinderung von Preisänderungen gespielt. Die Unternehmen scheinen mehr als noch vor der Pandemie bereit zu sein, höhere Kosten auf ihre Preise umzulegen. Ausserdem scheinen sie weniger als noch vor der Pandemie auf stabile Preise bedacht, um ihren Kundenbeziehungen nicht zu schaden. Eine mögliche Erklärung für dieses Umfrageresultat könnten Fairnessüberlegungen sein (Rotemberg, 2005). Kunden akzeptieren eher höhere Preise, die auf exogene Faktoren (z. B. Pandemie oder Krieg) und Kostenfaktoren (z. B. Einkaufspreise oder Energiekosten) zurückzuführen sind, als höhere Preise infolge einer erhöhten Nachfrage.

Zu diesen quantitativen Preisdaten gehören die zunehmend verfügbaren Mikrodaten, die den Konsumenten- und Produzentenpreisindizes zugrunde liegen, oder alternative Preisdatensätze wie Scannerdaten oder über das Internet mittels «Web Scraping» gesammelte Preise. Klenow und Malin (2010) und Nakamura und Steinsson (2013) geben einen umfassenden Überblick über Mikropreisstudien und fassen die verfügbaren mikroökonomischen Erkenntnisse zum Preissetzungs- verhalten zusammen. Rudolf und Seiler (2022) liefern aktuelle Evidenz für Konsumentenpreise in der Schweiz.

---------------------------------------------

Literatur

Blinder, A., E. R. Canetti, D. E. Lebow, and J. B. Rudd (1998): Asking about prices: A new approach to understanding price stickiness. Russell Sage Foundation.

Fabiani, S., M. Druant, I. Hernando, C. Kwapil, B. Landau, C. Loupias, F. Martins, T. Mathä, R. Sabbatini, H. Stahl, and A. C. Stockman (2005): The pricing behaviour of firms in the euro area: New survey evidence. ECB Working Paper Nr. 535.
Klenow, P. J. and B. A. Malin (2010): Microeconomic evidence on price-setting. In Handbook of Monetary Economics, volume 3, pages 231–284. Elsevier.

Nakamura, E. and J. Steinsson (2013): Price rigidity: Microeconomic evidence and macroeconomic implications. Annual Review of Economics, 5(1):133–163.

Rudolf, B. and P. Seiler (2022): Price Setting Before and During the Pandemic: Evidence from Swiss Consumer Prices. ECB Working Paper Nr. 2748.

Rotemberg, J. J. (2005): Customer anger at price increases, changes in the frequency of price adjustment and monetary policy. Journal of Monetary Economics, 52(4):829–852.

Seiler, P. (2022b): How do Companies Set Their Prices? Survey Evidence From Switzerland. Mimeo.

Zurlinden, M. (2007): The pricing behaviour of Swiss companies: Results of a survey conducted by the SNB delegates for regional economic relations. Swiss National Bank Quarterly Bulletin, 1.

Eine ausführliche Analyse des Preissetzungsverhaltens Schweizer Unternehmen finden Sie in den aktuellen KOF Analysen: Seiler, P. (2022a): externe SeiteWie bestimmen Unternehmen ihre Preise? Ergebnisse einer Ad-hoc-Umfrage in der Schweiz. KOF Analysen, Vol. 2022(4), pp. 28–62.

Kontakt

Pascal Seiler
  • LEE G 113
  • +41 44 632 89 44

KOF FB Konjunkturumfragen
Leonhardstrasse 21
8092 Zürich
Schweiz

Ähnliche Themen

JavaScript wurde auf Ihrem Browser deaktiviert