Die Innovationsaktivitäten der Schweizer Unternehmen während der Corona-Krise

Die Corona-Pandemie hat deutliche Spuren in der Schweizer Innovationslandschaft hinterlassen. Über ein Viertel der von der KOF befragten Unternehmen musste aufgrund der COVID-19-Krise ihre Innovationsprozesse stark bis sehr stark anpassen. Vor allem KMUs, Start-ups und international orientierte Unternehmen waren betroffen. Für knapp die Hälfte der Unternehmen steht COVID-19 im Zusammenhang mit einem Abbau der F&E- und Innovationsinvestitionen und einem Rückgang der Innovationskooperationen.

F&E

Es gibt sowohl theoretische (siehe Bernanke and Gertler; 1989, Barlevy, 2007) als auch empirische Evidenz (siehe Guellec and Ioannidis, 1999; Mairesse et al., 1999; Rammer et al., 2004; Quyang, 2011a), dass Unternehmen prozyklisch in F&E (Forschung und Entwicklung) und Innovationsaktivitäten investieren. Das heisst, dass sie ihre Ausgaben während konjunkturell guten Zeiten ausdehnen und während Krisenzeiten zurückfahren. Die Gründe für dieses Verhalten sind vielfältig. Im Wesentlichen ist es von der finanziellen Ausstattung der Unternehmen abhängig, die sich bei positiver wirtschaftlicher Entwicklung verbessert und bei negativer gesamtwirtschaftlicher Entwicklung verschlechtert. Da 87% der Schweizer Unternehmen F&E intern finanzieren (BFS 2021), kommt dieser finanziellen Ausstattung des Unternehmens eine grosse Bedeutung zu.

Hightech-Unternehmen investieren typischerweise auch in Krisenzeiten in F&E

Es gibt jedoch einen Typus von Unternehmen, dem es gelingt, trotz schwieriger gesamtwirtschaftlicher Lage in F&E zu investieren, das heisst, diese Unternehmen verstärken ihre Investitionen in Krisenzeiten. Dadurch profitieren sie von niedrigeren Kosten und können zudem das steigende Marktpotenzial beim nachfolgenden Aufschwung durch die verbesserten oder neu entwickelten Produkte und Dienstleistungen nutzen. Das sind in der Regel F&E-intensive Unternehmen und relativ grosse Unternehmen im Hightech-Bereich der Wirtschaft, die geringem Preiswettbewerb ausgesetzt sind und mit externen Partnern – vor allem Hochschulen – kooperieren (siehe Arvanitis und Woerter, 2014).

Inwieweit man auch in der COVID-19-Pandemie dieses Investitionsmuster beobachten kann, ist eine offene Frage. Einige Faktoren sprechen dafür, dass es in diesem Fall anders ist. Zum einen gab es aufgrund der einschneidenden gesundheitspolitischen Massnahmen eine starke Nachfrage nach spezifischen innovativen Produkten und Dienstleistungen im Gesundheitsbereich (z.B. Impfstoff, Masken, Medikamente) und zum anderen war es aufgrund von Mobilitätsbeschränkungen schwieriger, Innovationskooperationen aufrechtzuerhalten bzw. neue zu formen, und es gewannen die Digitalisierung von Produkten und Dienstleistungen und damit zusammenhängende neue Geschäftsmodelle an Bedeutung.

Aus einer Stichprobe von innovativen Unternehmen, welche bei der Innosuisse – der bedeutendsten Innovationsförderagentur in der Schweiz – um Unterstützung angesucht haben (siehe Kasten), lässt sich ein erster Eindruck gewinnen, wie stark die Innovationsaktivitäten von Unternehmen (vor allem KMUs) von der COVID-19-Krise beeinflusst waren und wie stark sich innovationsrelevante Aktivitäten veränderten.

Bei mehr als ein Viertel der befragten Unternehmen (27%) beeinflusste die Pandemie die Innovationsprozesse stark bis sehr stark und bei rund der Hälfte der Unternehmen waren sie nicht oder nur wenig beeinflusst (siehe Grafik G 8). Dabei wird allerdings noch nichts über die Art der Betroffenheit ausgesagt, d.h., ob Unternehmen negativ oder positiv davon betroffen waren oder welcher Typus von Unternehmen stärker oder schwächer betroffen war.

Grafik G 8

In rund der Hälfte der innovativen Unternehmen steht die COVID-19-Krise in Zusammenhang mit einem Abbau der F&E-Kooperationen mit Unternehmen und einem Rückgang der Investitionen in F&E- und Innovationsprojekte (siehe Grafik G 9); in einem etwas geringerem Ausmass bauten sie die Kooperationen mit den Forschungsinstitutionen ab. Demgegenüber gibt es Unternehmen (zwischen 18% und 23%), die in allen drei Bereichen ihre Aktivitäten bzw. Investitionen verstärkten. Sie zählen entweder zur Gruppe der Unternehmen, die besonders von der krisenbedingten, erhöhten Nachfrage nach digitalen Lösungen, bestimmten Arzneimitteln und medizinischen Utensilien oder logistischen Lösungen profitierten, oder die intern weniger beanspruchte Ressourcen aufgrund von Auftragsrückgängen für neue Innovationsprojekte nutzen konnten und somit antizyklisch in die Entwicklung neuer Produkte und Dienstleistungen investierten.  

Grafik G 9

Pandemie sorgt für Digitalisierungsschub

Rund 60% der Unternehmen meldeten eine Bedeutungszunahme der Digitalisierung bei den Innovationsaktivitäten. Dieser krisenbedingte, richtungsweisende Impuls für die Innovationsprojekte stellt aufgrund des veränderten Anspruchs an neue Produkte und Dienstleistungen für viele Unternehmen eine grosse Herausforderung dar. Das kann die Entwicklung neuer Geschäftsmodelle, aber auch eine Anpassung der Qualifikationsanforderung der Forschenden nach sich ziehen. Gleichzeitig birgt dieser Digitalisierungsschub für agile Unternehmen eine Chance zur Vergrösserung der Absatzmärkte bzw. den Eintritt in neue Märkte durch Produktdifferenzierung. Die Ergebnisse zeigen gleichzeitig, dass die strategische Bedeutung von Innovationen für rund 40% der Unternehmen zugenommen hat.

Die Bedeutung sozialer Innovationen (Innovationen mit gesellschaftlichem Mehrwert) ist für 38% der befragten Unternehmen gestiegen und für einen ähnlich hohen Anteil von Unternehmen hat die Bedeutung von Produkt- und Prozessinnovationen insgesamt zugenommen. Gleichzeitig hat das Innovationsrisiko, also das Verhältnis von Kosten und Erfolgswahrscheinlichkeit bei der Entwicklung eines neuen Produkts, für mehr als ein Drittel der Unternehmen zugenommen, was mit der für viele Unternehmen steigenden Bedeutung der Vermarktungsgeschwindigkeit (Time-to-Market) zusammenhängen kann. Je eher man ein Produkt oder eine Dienstleistung auf den Markt bringt, desto grösser ist in der Regel der Wettbewerbsvorsprung und desto länger kann das Unternehmen von höheren Margen profitieren. Die Vermarktungsgeschwindigkeit ist bei rund 30% der Unternehmen für den kommerziellen Erfolg von Innovationen entscheidender geworden.

Obwohl Innovationen bei den befragten Unternehmen wichtiger geworden sind, haben viele von ihnen die Innovationsinvestitionen zurückfahren müssen. Das deutet darauf hin, dass einige Innovationsoptionen nicht genutzt werden konnten, weil es an finanziellen Möglich-keiten gefehlt hat. Dadurch könnte ein Spielraum für krisenbezogene Innovationsfördermassnamen angezeigt sein, die es den Unternehmen ermöglichen, trotz eines schwierigen gesamtwirtschaftlichen Umfeldes Innovationen in Krisenzeiten zu generieren, um in ökonomisch besseren Zeiten (im Aufschwung) kommerziell davon zu profitieren.

Lieferkettenprobleme bremsen international orientierte Unternehmen bei ihren Innovationsprozessen

Grafik G 10 zeigt, dass KMUs stärker von der Pandemie beeinflusst waren als grosse Unternehmen. Ausserdem waren Start-ups stärker beeinflusst als etablierte Unternehmen, wahrscheinlich auch deshalb, weil sie für gewöhnlich weniger diversifiziert sind, stärker unten den Mobilitätsbeschränkungen leiden – der Aufbau von Geschäftsbeziehungen wird erschwert – und sie eine dünnere Eigenkapitaldecke haben, um F&E- und Innovationsaktivitäten zu finanzieren. Start-ups könnten aber auch von der Pandemie profitiert haben, zum Beispiel durch die grosse Nachfrage nach digitalisierten Geschäftsprozessen.  

Grafik G 10

Eine derartige Anpassung kann bei kleinen Unternehmen einfacher durchgeführt werden als bei grösseren. Aufgrund der Probleme bei den globalen Lieferketten ist es weniger erstaunlich, dass vor allem international orientierte Unternehmen von der COVID-19-Pandemie in ihren Innovationsprozessen betroffen waren. Sie mussten bei bestimmten Vorproduktionen ihre Innovationsanstrengungen dementsprechend anpassen, beispielsweise indem sie durch innovative Massnahmen den Materialverbrauch einschränken oder auf leichter verfügbare Materialien ausweichen. Die Tatsache, dass ein Unternehmen sich erfolgreich oder erfolglos um eine Innosuisse-Förderung (Innovationsprojekt) beworben hat, steht in keinem Zusammenhang mit der Betroffenheit von der Pandemie.

Die Umfrage basiert auf einer Stichprobe von 3597 Unternehmen, die seit 2016 bei der Innosuisse eine Innovationsförderung beantragt haben. Von diesen angefragten Unternehmen haben 1057 geantwortet, was einer Rücklaufquote von 29% entspricht.1 Die Studie wurde im Auftrag von Innosuisse durchgeführt.

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1 Die gemachten Aussagen sind nicht repräsentativ für die gesamte schweizerische Wirtschaft. Zudem können die Ergebnisse Verzerrungen aufweisen, die durch unterschiedliche Antwortwahrscheinlichkeiten oder fehlende Angaben – bei der Beantwortung des Fragebogens – zu Firmencharakteristika wie Grösse und Alter getrieben sind.

Literatur

Arvanitis, S. and M. Woerter (2014): Firm characteristics and the cyclicality of R&D investments. Industrial and Corporate Change, 23(5), 1141–1169. Retrieved from http://icc.oxfordjournals.org/cgi/doi/10.1093/icc/dtt013.

Barlevy, G. (2007): On the cyclicality of research and development. American Economic Review, 97(4), 1131–1164.

Bernanke, B. and M. Gertler (1989): Agency costs, net worth, and business fluctuation. American Economic Review, 79(1), 14–31.

BFS (Bundesamt für Statistik) (2021): Intramuros F+E-Aufwendungen, nach Finanzierungsquelle, 2000-2019. Forschung und Entwicklung (F+E) in der Privatwirtschaft, Neuchâtel.

Guellec, D. and E. Ioannidis (1999): Causes of fluctuations in R&D expenditures: a quantitative analysis. OECD Economic Studies No. 29, pp. 124–138.

Mairesse, J., B. Hall, L. Branstetter, and B. Crepon (1999): Does cash flow cause investment and R&D? An exploration using panel data for French, Japanese, and United States Scientific Firms, in D. Audretsch and R. Thurik (eds), Innovation, Industry Evolution and Employment. Cambridge University Press: Cambridge, pp. 129–156.

Rammer, C., H. Penzkofer, A. Stephan, C. Grenzmann, D. Heger, and O. Nagel (2004): FuE- und Innovationsverhalten von KMU und Grossunternehmen unter dem Einfluss der Konjunktur. Federal Ministry of Education and Research: Mannheim, Germany.

Quyang, M. (2011a): On the cyclicality of R&D. Review of Economics and Statistics, 93(2), 542–553.

Kontakte

Prof. Dr. Martin Wörter
Dozent am Departement Management, Technologie und Ökonomie
  • LEE F 111
  • +41 44 632 51 51

KOF Konjunkturforschungsstelle
Leonhardstrasse 21
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Florian Hulfeld
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  • +41 44 632 81 37

KOF FB Innovationsökonomik
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Schweiz

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