China: Ein Konkurrent für die EU, ein Partner für die Schweiz?

Chinas wachsender ökonomischer und politischer Einfluss in der Welt und die Auswirkungen auf die Schweiz waren Thema des KOF Wirtschaftsforums am 11. Juni 2021. In der Schweizer China-Strategie wird China primär als Partner dargestellt, während China in der EU und den USA hauptsächlich als Konkurrent oder Rivale wahrgenommen wird. Wie reagiert China auf die westlichen Massnahmen? Was bedeutet das für die Schweizer Wirtschaft?

Die Schweiz unterhält seit 1950 diplomatische Beziehungen mit der Volksrepublik China, aber eine China-Strategie hat sie erst seit März 2021. Diese soll schweizintern die Kohärenz in den Beziehungen mit der Volksrepublik verbessern und signalisieren, dass die Schweiz eine eigenständige und weiterhin partnerschaftliche China-Politik verfolgen wird. Die Schweiz werde ihre Werte in der Zusammenarbeit mit gleichgesinnten Staaten in der EU hochhalten und sich für einen angemessenen Platz Chinas im regelbasierten multilateralen System einsetzen. Wirtschaftspolitisch wünscht sich die Schweizer Regierung eine Weiterentwicklung der Beziehungen. Der Bund strebt insbesondere eine Aktualisierung des seit 2014 bestehenden Freihandelsabkommens an. Als wirtschaftspolitische Prioritäten werden die Zusammenarbeit im Finanzsektor, beim Tourismus sowie eine Beteiligung von Schweizer Unternehmen zum nachhaltigen Ausbau der Infrastruktur innerhalb Chinas und im Rahmen der Neuen Seidenstras­se (Belt and Road Initiative, BRI) genannt. Der Fokus auf die Infrastruktur steht im Zusammenhang mit der für die Schweizer Wirtschaft bisher wirkungslos gebliebenen Absichtserklärung (BRI Memorandum of Understanding) vom April 2019 zur Zusammenarbeit in Drittstaaten im Rahmen der Neuen Seidenstrasse (KOF Wirtschaftsforum, Juni 2019). Auf dem KOF Wirtschaftsforum zum Thema «China in Europe: How to strike a balance between partnership and rivalry?» erwartete Referent Markus Herrmann, Direktor Schweiz der Beratungsfirma Sinolytics, jedoch kaum Chancen für kleinere und mittlere Schweizer Unternehmen im Bereich Infrastruktur.

G 1

Insgesamt haben sich die Wirtschaftsbeziehungen zwischen der Schweiz und China in den letzten Jahren sehr positiv entwickelt. So stammten 2018 über 5% der Importe aus China, während 6% der Schweizer Exporte nach China gingen (siehe G 1). Die Schweiz exportiert vor allem Pharmaprodukte nach China (siehe G 2). Auch der Anteil der bilateralen Direkt- und Portfolioinvestitionen (in % des Bruttoinlandprodukts) ist über die Zeit gestiegen. Inzwischen ist China der drittwichtigste Handelspartner der Schweiz, liegt jedoch mit 5.7% mit grossem Abstand hinter der Europäischen Union und den Vereinigten Staaten und nur knapp vor Grossbritannien mit 5.5% (Zahlen für 2020, EZV).  

G 2

Unausgeglichener China-EU-Handel mit zunehmend ähnlichem Wertschöpfungsanteil der Exporte

Auch für die Mitgliedstaaten der Europäischen Union ist China mit 15% des gesamten Aussenhandels ein wichtiger Handelspartner, allerdings besteht ein für Europa ungewöhnliches, grosses Handelsdefizit. Zudem betonte Alicia García-Herrero von der Investitionsberatung Natixis, dass der Anteil Chinas am Handel mit Europa nicht überschätzt werden dürfe. Das Interesse an China erkläre sich vor allem mit den Wachstumserwartungen für den sehr dynamischen chinesischen Markt. Die Wertschöpfung der chinesischen Exporte hat in den letzten Jahren rasant zugenommen. 2018 waren Telekommunikationsausrüstung und Computer die zwei wichtigsten europäischen Importprodukte von China (siehe G 3), während die EU hauptsächlich hochtechnologische Güter und Motorfahrzeuge exportierte. Obwohl die Wertschöpfung der europäischen Exporte nach China noch grösser ist als jene der europäischen Importe aus China, verringert sich dieser Unterschied rasant (siehe G 4). Auch bei der Integration in globale Wertschöpfungsketten ist die EU noch führend, wobei sich Europas Anteil schneller reduziert als der globale Abwärtstrend in den Wertschöpfungsketten. Alicia Garcia-Herrero erklärt sich dies mit dem Trend zur vertikalen Integration insbesondere in China und zu einem gewissen Teil auch mit der Reorganisation der Wertschöpfungsketten. Alicia Garcia-Herrero erinnerte daran, dass die zahlreichen staatlichen Unternehmen und Subventionen zu einer Verzerrung des innerchinesischen Wettbewerbs geführt haben, was die Kosten der Exportprodukte beeinflusse.

G 3

Anders als der Güterhandel stagnierte der Handel mit Dienstleistungen zwischen der EU und China auf sehr tiefem Niveau und ist sogar nur halb so gross wie der Schweizer Dienstleistungshandel mit der EU. Die europäischen Exporte bestehen bisher hauptsächlich aus Tourismus und Bildungsdienstleistungen, was sich vor allem mit der fehlenden Offenheit Chinas im Bereich der Dienstleistungen erklärt.

G 4

Chinesische Investitionen in europäische Hochtechnologie und das eingefrorene Investitionsabkommen

Betrachtet man die bilateralen Investitionen, sind die Beziehungen zwischen China und der EU deutlich ausgeglichener als beim Handel. Trotz eines globalen Abwärtstrends in chinesischen Investitionen bleibt die EU ein wichtiges Investitionsziel für chinesische Firmen. Im Vergleich zu den Vereinigten Staaten sind an den Transaktionen anteilsmässig deutlich mehr staatliche chinesische Unternehmen beteiligt. China investiert in Europa zunehmend in Firmen mit strategischen Hochtechnologien sowie in den Halbleitersektor. Obwohl über 60% der weltweiten EU-Investitionen im Dienstleistungssektor getätigt werden, fliessen die europäischen Investitionen in China vor allem in die Produktion, insbesondere von jenen Motorfahrzeugen, für die in China nun ein Überangebot besteht. Dies sei beunruhigend, stellte Alicia Garcia-Herrero fest. Grundsätzlich könnten hier Abkommen helfen, deren Ratifikation zudem ein partnerschaftliches Signal von der EU an China senden würden. Allerdings sei das Umfassende Investitionsabkommen (Comprehensive Agreement on Investment, CAI) zwischen der EU und China überbewertet, da für zahlreiche Sektoren in China weiterhin kein oder ein nach oben begrenzter Marktzugang bestehe, und dass das Abkommen kein besserer Investitionsschutz garantieren würde als bestehende bilaterale Abkommen. Zudem sei höchst unsicher, ob das CAI je in Kraft treten wird, da die Ratifikation vom Europäischen Parlament am 20. Mai 2021 eingefroren wurde. Da die ökonomischen Vorteile des CAI als gering eingeschätzt werden, könnte das fertig ausgehandelte Abkommen wohl daran scheitern, dass sich die politische Stimmung seit Verhandlungsbeginn gedreht hat.

Unterschiede in der amerikanischen und europäischen Wahrnehmung von Chinas Aufstieg

Die geopolitische Positionierung gegenüber China steht seit Bidens Amtsantritt hoch oben auf der politischen Agenda, wie auch die Agenden des G-7-Gipfels und das Nato-Treffen von Mitte Juni 2021 gezeigt haben. Die Vereinigten Staaten unter Joe Biden dringen darauf, dass sich andere Staaten klarer auf Seiten der Vereinigten Staaten positionieren. Mikko Huotari, Direktor des Mercator Institute for China Studies (MERICS), einem Think Tank in Berlin, zeigte auf, dass China in den Vereinigten Staaten sowohl von Republikanern wie von den regierenden Demokraten primär als Rivale und erst danach als Wettbewerber und nur in Ausnahmefällen als Partner gesehen werde. Die EU hingegen betrachte China vor allem als Wettbewerber und die Qualität der wirtschaftlichen Beziehungen stehe im Vordergrund. Die EU sei insbesondere darauf bedacht, dass die Wettbewerbsregeln des Binnenmarkts eingehalten werde und dass europäische Unternehmen, im Gegenzug zum europäischen Marktzugang, auch einen angemessenen Zugang zum chinesischen Markt erhalten. Der Unterschied zwischen den USA und Europa lasse sich nicht zuletzt mit den Verlustängsten einer Weltmacht erklären. Zudem seien die europäischen Interessen im asiatischen Raum mit Ausnahme von Grossbritannien und Frankreich traditionell relativ gering. Unter dem neuen Präsidenten Biden sei zwar eine Konvergenz der amerikanischen und der europäischen China-Politik wahrscheinlich, aber Differenzen werden bestehen bleiben. Ein intensiver Austausch im Bereich der ökonomischen Sicherheit wie beispielsweise über Investitionskontrollen bestehe bereits. Mikko Huotari erwartete zudem, dass sich auch der transatlantische Austausch über Digitalisierung, Digitalisierungsinfrastruktur und Cybersicherheit intensivieren werde.

Chinas Entwicklung und die Unsicherheit der Regierung werden die chinesischen Aussenbeziehungen bestimmen

Schlussendlich werde es von China abhängen, wie sich die EU-China- und sino-schweizerischen Beziehungen entwickeln. Die chinesische Führung bereite sich mit dem vierzehnten Fünfjahresplan, der teilweise auch als Deglobalisierungsplan gelesen wurde, für die anstehenden grossen innen- und aussenpolitischen Herausforderungen vor. In den kommenden fünf Jahren soll der Heimmarkt gestärkt werden, was zu einer Depriorisierung der wirtschaftlichen Offenheit, aber zu keiner grundsätzlichen Abkehr von der Welt führen werde. Ziel sei das Onshoring von Innovation und Wertschöpfungsketten, wobei insbesondere im Bereich von Forschung und Entwicklung wohl weiterhin internationale Kooperationen gesucht werden würden. Mikko Huotari sah die Unsicherheit der chinesischen Führung als Grund für das energische politische Auftreten und für das Bedürfnis nach mehr politischer Kontrolle, was politisch und wirtschaftlich zu unangenehmen Situationen führen könne. China werde zunehmend auch extraterritorial Einfluss nehmen, wie dies beispielsweise durch das neue Anti-Sanktionsgesetz zum Ausdruck komme. Das Anti-Sanktionsgesetz wurde von den Referenten und Referentinnen als politisches Warnsignal gelesen. China verstärke damit seine Abwehrmechanismen und hebe sie auf das Niveau der etablierten Mächte. Der offen formulierte Gesetzestext liefere die gesetzliche Grundlage für die bereits gegenüber Australien angewendete Praxis und erlaube es, jedes Individuum oder Unternehmen rechtlich zu belangen, wenn es gegen China gerichtete Sanktionen umsetzt. Das Gesetz werde die Loyalitätskonflikte für Unternehmen verschärfen und könne grosse Auswirkungen auf die Geschäftstätigkeit einzelner Unternehmen haben. Gleichzeitig werde sich das chinesische Geschäftsklima auch mit der Onshoring-Strategie des Fünfjahresplans verändern.

Auf die zukünftige Entwicklung der Lieferkettenintegration mit China wollten sich die Referenten und Referentinnen nicht festlegen. Zu gross sind die Unsicherheiten aufgrund der geopolitischen Spannungen zwischen China und insbesondere den Vereinigten Staaten und zu neu die nicht nur aufgrund von COVID-19 entfachten Diskussionen um die Resilienz der Lieferketten. Im Zusammenhang mit diesen Herausforderungen und dem neuen chinesischen Anti-Sanktionsgesetz sei es für Staaten wie Unternehmen wichtig, ihre strategische Abhängigkeit von chinesischen Importen und Zwischenprodukten zu überprüfen. Markus Herrmann schlussfolgerte aufgrund seiner Kurzanalyse der wichtigsten chinesischen Importe in die Schweiz, dass für die Schweiz zwar keine offensichtliche strategische Importabhängigkeit bestehe, aber eine vertiefte Analyse, wie sie die EU durchgeführt habe, nützlich wäre.

Eine Asien-Pazifik-Strategiediskussion in der Schweiz und Kenntnisse über Lieferketten-Risiken sind gefragt

Aufgrund der Herausforderungen und den erwarteten Veränderungen im chinesischen Markt diskutieren deutsche Wirtschaftsverbände bereits eine Diversifikation der Zielmärkte und Wertschöpfungsketten im indo-pazifischen Raum. Markus Herrmann erwartete auch in der Schweiz bald Stimmen für eine Asien-Pazifik-Strategie und forderte mehr Analysen und eine Debatte über die Auswirkungen der regionalen Integration in Asien auf die Schweizer Exporte. In einer kürzlich durchgeführten Umfrage von Sinolytics im Auftrag von Swissmem, dem Schweizer Wirtschaftsdachverband für die Maschinen-, Elektro- und Metall-Industrie, gaben die Hälfte der 110 teilnehmenden Unternehmen an, dass sich die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen in China für ihre Unternehmen zwar verbessert haben, jedoch sehen ebenso viele den Schutz der geistigen Eigentumsrechte als eine der grossen Herausforderungen.

Eine rasche und erfolgreiche Integration Chinas in das regelbasierte multilaterale System, ein globaler Wettbewerb mit gleich langen Spiessen sowie Rechtssicherheit und Marktzugang in China wären für die Schweizer Wirtschaft ideal. Da die geopolitischen Unsicherheiten wohl noch länger Bestand haben dürften, gelte es, die innenpolitischen Rahmenbedingungen für die Wirtschaft stetig zu verbessern und die Beziehungen zu traditionellen und neuen Märkten zu stärken. Alicia Garcia-Herrero plädierte für eine Stärkung des europäischen Binnenmarkts durch Abbau von zahlreichen bestehenden binnenmarktinternen Hürden, statt dem Vorbild der grossen chinesischen und amerikanischen Investitionsprogramme zu folgen. Laut Markus Herrmann brauche auch die Schweiz ein internes Reformprogramm. Für die sino-schweizerischen Beziehungen erwartete er, dass die Schweiz eine partnerschaftliche und vor allem wettbewerbsorientierte Beziehung mit China pflegen und nur in ausgewählten Einzelfällen rivalisierende Positionierungen einnehmen werde. Denn für die Schweiz gilt es, die Verschiebung der geopolitischen Machtverhältnisse umsichtig und weitgehend eigenständig zu manövrieren und strategische Importabhängigkeiten von China zu vermeiden. Schweizer Unternehmen sollten indes die Risiken in ihren Lieferketten kennen und absichern, um auch auf sehr ungünstige Szenarien vorbereitet zu sein.

Kontakt

Dr. Vera Eichenauer
Dozentin am Departement Geistes-, Sozial- und Staatswissenschaften
  • LEE G 120

Professur f. Wirtschaftsforschung
Leonhardstrasse 21
8092 Zürich
Schweiz

Ähnliche Themen

KOF Bulletin

JavaScript wurde auf Ihrem Browser deaktiviert