Lehren aus dem Brexit

Beim Webinar «KOF Beyond the Borders» diskutierten Vertreter und Vertreterinnen aus Wissenschaft und Medien über den Brexit und die Frage, welche Erkenntnisse sich aus den Erfahrungen Grossbritanniens auf die Schweiz übertragen lassen.

Brexit

Mit dem Brexit hat sich Grossbritannien ein Eigentor geschossen – sowohl wirtschaftlich als auch politisch überwiegen die Nachteile des Austritts aus der Europäischen Union. Insofern ist das Königreich nur bedingt ein Vorbild für die Schweiz und ihre Europapolitik. Das war die einhellige Meinung des Webinars «KOF Beyond the Borders» zum Thema «Brexit done – wie soll sich Grossbritannien positionieren und wird die Schweiz jetzt ihre stärkste Verbündete?» mit den Experten Paul de Grauwe von der London School of Economics and Political Science, Haig Simonian, Co-Präsident der Britisch-Schweizerischen Handelskammer, und KOF-Direktor Jan-Egbert Sturm. Darüber hinaus lassen sich aus der von Grossbritannien-Korrespondentin Henriette Engbersen (SRF) moderierten Veranstaltung die folgenden Lehren ziehen:

  1. Grossbritannien hat durch den Brexit zwar mehr Souveränität, aber weniger politische Macht. Grossbritannien hat 66 Millionen Einwohner. Doch laut der Analyse von Paul de Grauwe sieht die nostalgische, britische Pro-Brexit-Elite ihr Land auf Augenhöhe mit viel grös¬seren Ländern wie China oder den USA. Das sei ein Irrtum. Gegenüber China, den USA oder der EU sei Grossbritannien nun ein «rule-taker», während die Grossmächte die «rule-maker» seien. Grossbritannien habe durch den Brexit kaum noch Verhandlungsmacht, um für sie vorteilhafte Freihandelsabkommen durchzusetzen. Die Briten seien nun gezwungen, externe Arbeits-, Umwelt- oder Sicherheitsstandards zu akzeptieren. Innerhalb der EU wäre Grossbritanniens Handlungsspielraum viel grösser gewesen, sagte der Professor für internationale Wirtschaft. So habe beispielsweise Australien im Bereich Landwirtschaft Bedingungen gegenüber Grossbritannien gestellt, welche das Land niemals gegen die EU hätte durchsetzen können. «Man kann nicht gleichzeitig volle Souveränität und freien Marktzugang im Welthandel haben», erklärte de Grauwe. Die Beispiele von Belgien und den Niederlanden zeigen, dass man selbst als kleiner Mitgliedstaat die EU-Regeln beeinflussen und so innerhalb der EU zu einem «rule-maker» werden könne.
     
  2. Der Brexit schwächt das britische Wirtschaftswachstum. Wie in allen Ländern Europas ist durch die Corona-Krise auch in Grossbritannien das Bruttoinlandprodukt stark eingebrochen. Doch wie Jan-Egbert Sturm in seiner Präsentation deutlich machte, lag der britische Wachstumspfad auch schon in den Jahren vor der Corona-Krise unterhalb des Wachstumspfads des Euro¬raums und der Schweiz (siehe G 5). Zudem sei der Corona-Einbruch deutlich stärker gewesen als im restlichen Europa. Zwar prognostiziert die Bank of England für 2021 ein Rekordwachstum des BIP von 7.25%. Doch diese frohe Botschaft sei nur ein Teil der Wahrheit, so Sturm. Wenn man sich die langfristigen Wachstums¬raten und die KOF-Prognose bis 2022 ansehe, bleibe Grossbritannien deutlich hinter den Wachstumsraten der Schweiz und dem Euroraum zurück. «Der Brexit ist in den harten Daten sichtbar», sagte Sturm, auch wenn die Corona-Krise den Brexit-Effekt überlagere, so dass man das genaue Ausmass des Brexit-Effekts nicht berechnen könne, so Sturm.

  3. Die Schweiz hat mit Grossbritannien vieles gemeinsam, aber es gibt auch Unterschiede. Haig Simonian, ein gebürtiger Brite, der seit vielen Jahren in der Schweiz lebt, sieht in der Mentalität beider Länder viele Gemeinsamkeiten. Sowohl die Schweiz als auch Grossbritannien legten viel Wert auf ihre Unabhängigkeit und politische Souveränität und hätten deshalb ein ambivalentes Verhältnis zu Brüssel und der EU. Zudem gebe es auch in der Wirtschaftsstruktur Parallelen. So haben beide Länder einen starken Finanzsektor, erklärte Simonian. Allerdings sei die geografische Ausgangssituation nicht ganz vergleichbar, wie Jan-Egbert Sturm betonte. Grossbritannien könne sich als Insel mit der achtfachen Einwohnerzahl der Schweiz eine grössere Distanz zur EU erlauben. Die Schweiz liegt dagegen mitten in Europa und sei deshalb noch stärker auf eine reibungslose wirtschaftliche Kooperation mit ihren Nachbarländern angewiesen.
Entwicklung BIP

Die Aufzeichnung der Veranstaltung «Brexit done – wie soll sich Grossbritannien positionieren und wird die Schweiz jetzt ihre stärkste Verbündete?» finden Sie hier.

Kontakt

Prof. Dr. Jan-Egbert Sturm
Ordentlicher Professor am Departement Management, Technologie und Ökonomie
Direktor KOF Konjunkturforschungsstelle
  • LEE G 305
  • +41 44 632 50 01
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Professur f. Wirtschaftsforschung
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8092 Zürich
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Dr. Thomas Domjahn
  • LEE F 114
  • +41 44 632 53 44

KOF Bereich Zentrale Dienste
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