USA: Schwierige Ausgangslage für Präsident Joe Biden

US-Präsident Joe Biden ist mit viel Schwung in sein Amt gestartet. Doch auf den 78-Jährigen warten in der schwersten Wirtschaftskrise der Nachkriegsgeschichte grosse Aufgaben – und sein politischer und fiskalischer Spielraum ist beschränkt. Eine Zwischenbilanz nach den ersten 100 Tagen der Regierung Biden.

Joe Biden

Gut 100 Tage ist Joe Biden mittlerweile im Amt und hat in dieser kurzen Zeit bereits einiges erreicht. Das grösste Konjunkturpaket der US-Geschichte wurde durch den Kongress gebracht und fast 40 Durchführungsverordnungen des Präsidenten («Executive Orders») wurden bereits erlassen, deutlich mehr als bei den drei vorherigen Präsidenten. Und auch von seinen Wahlversprechen konnte Joe Biden bereits einige in den 100 Tagen einlösen, wie das Ziel, mindestens 100 Millionen US-Amerikaner zu impfen. Gegeben der Ausgangslage, der sich Präsident Biden zum Beginn seiner Amtszeit gegenübersah, ist die Geschwindigkeit der neuen Regierung nicht verwunderlich.

Wirtschaftlich übernahm Joe Biden das Land nach der schwersten Wirtschaftskrise der Nachkriegsgeschichte, jedoch war im Januar 2021 der Tiefpunkt bereits durchschritten und die Erholung eingeleitet. Trotzdem war die Produktionslücke, die den Auslastungsgrad der Wirtschaft approximiert, noch immer um mehr als –3% geöffnet. Vor der Corona-Krise war die Wirtschaft sogar mit +1% überausgelastet (siehe G 1). Die Arbeitslosigkeit war zwar bereits wieder rückläufig, mit 6.3% aber immer noch deutlich höher als vor der Krise (3.5%) (siehe G 2). Die Arbeitslosenrate verschleiert jedoch, dass viele Menschen den aktiven Arbeitsmarkt verlassen haben: Die Partizipationsrate lag zu Jahresbeginn bei 61% nach 63.3% im Februar 2020. Diese entmutigten Arbeitnehmer dürften bei einer kräftigen Erholung wieder auf den Arbeitsmarkt zurückkehren, was dann jedoch die Arbeitslosenquote wieder erhöhen könnte.

Produktionslücke in den USA
Arbeitslosenquote in den USA

Hohe Staatsschulden und enge Mehrheitsverhältnisse

Fiskalisch ist der Spielraum der neuen Regierung in der Zukunft wohl eingeschränkt. Die neue Regierung übernahm das Land mit einem Budgetdefizit von fast –15% des Bruttoinlandprodukts und einer Gesamtverschuldung der öffentlichen Hand von 130% des Bruttoinlandprodukts, beides Rekordwerte in der Nachkriegsgeschichte (siehe G 3). Dies wird durch das aktuelle Zinsumfeld etwas relativiert: Die Renditen auf langfristige Staatsanleihen lagen zu Beginn des Jahres bei gut 1% und damit nahe den historischen Tiefständen, wodurch die hohe Schuldenlast eher tragbar wird (siehe G 4). Steigende Renditen, wie zuletzt beobachtbar, schränken jedoch den fiskalischen Spielraum weiter ein.

Gesamtverschuldung der öffentlichen Hand
Rendite auf 10-jährige Staatsanleihen

Am meisten eingeschränkt ist die Regierung von Joe Biden wohl aber politisch. Die Demokraten haben im Repräsentantenhaus nur eine hauchdünne Mehrheit und sind im Senat auf die Stimme der Vizepräsidentin Kamala Harris angewiesen, die in Pattsituationen entscheidet. Eine solche Konstellation ist recht selten und kam zuletzt in den ersten Monaten der Präsidentschaft von George W. Bush vor. Eine solche hauchdünne Mehrheit erlaubt die Durchsetzung von Exekutiv- und Justizbeamten, die vom Präsidenten nominiert wurden, sowie die Aufhebung von kürzlich von der Trump-Administration erlassenen Vorschriften.

Zudem besteht in wenigen Fällen die Möglichkeit, bestimmte jährliche Haushalts- und Steuermassnahmen über einen als «Reconciliation» bekannten Prozess voranzutreiben. Nur Angelegenheiten, die in einem vernünftigen Zusammenhang mit Steuern und Ausgaben stehen, dürfen in solche Gesetzesentwürfe aufgenommen werden. Für die meisten Gesetzgebungsverfahren hingegen sind im Senat mindestens 60 Sitze notwendig. Dies würde bei den gegebenen Mehrheitsverhältnissen eine Zusammenarbeit über die Parteigrenzen hinweg erfordern.

Die Parteienlandschaft ist extrem polarisiert – wenig Spielraum für Zusammenarbeit

Eine solche Zusammenarbeit ist in der aktuellen Situation jedoch kaum denkbar: Die Polarisierung der beiden Parteien ist so stark wie noch nie in der US-Geschichte. Grafik 5 zeigt die durchschnittliche politische Haltung der Abgeordneten der jeweiligen Partei im Senat und im Repräsentantenhaus. Dabei wird jedem Abgeordneten eine Punktzahl unter anderem auf Basis des vergangenen Abstimmungsverhaltens zugewiesen.1 Zwar bestand schon seit jeher eine gewisse Polarisierung im Zweiparteiensystem der Vereinigten Staaten, jedoch gab es vor den 90er Jahren und zeitweise unter George W. Bush als Folge der Terroranschläge im Jahr 2001 regelmässig eine Zusammenarbeit über die Parteigrenzen hinweg, nicht zuletzt da es zwischen den Flügeln der beiden Parteien immer noch ideologische Überschneidungen und damit Raum für Kompromisse gab. Bereits unter Obama und Trump bestanden kaum Überschneidungen und auch im aktuellen Kongress sind die «liberalste» Republikanerin und der «konservativste» Demokrat im Senat deutlich voneinander entfernt. Gegeben der knappen Mehrheiten und wenig Spielraum für parteiübergreifende Zusammenarbeit im stärksten polarisierten Kongress der US-Geschichte, ist absolute Parteidisziplin nötig, da bereits eine Stimme ausreicht, um die Mehrheit im Senat zu verlieren. Dies gibt einzelnen Abgeordneten, wie zum Beispiel dem konservativen Demokraten Joe Manchin aus West Virginia, überdurchschnittlich viel Macht, Zugeständnisse bei Initiativen zu erreichen, die er als zu «liberal» erachtet.

Polarisierung im US-Kongress

Insgesamt ist der Spielraum von Präsident Joe Biden sowohl politisch als auch fiskalisch stark eingeschränkt. Zudem droht in den Zwischenwahlen im Herbst 2022 ein Verlust der Mehrheit in beiden Kammern. Dies erklärt auch die hohe Geschwindigkeit, mit der die neue Regierung Programme und Direktiven verabschiedet. Die wirtschaftliche Situation hingegen kann aber auch eine Chance für Joe Biden darstellen: Eine erfolgreiche und kräftige wirtschaftliche Erholung, sinkende Arbeitslosigkeit, Erfolg bei der Impfkampagne und dadurch eine schnelle Öffnung der Wirtschaft könnten bei den Zwischenwahlen sogar zu Zugewinnen in beiden Kammern führen.

Zehn Fragen zur Präsidentschaft von Joe Biden

  1. Wie beurteilen Experten die ersten 100 Tage im Amt von Joe Biden?
    Das Urteil von Christa Markwalder, FDP-Nationalrätin und Präsidentin des Parlamentarischen Vereins Schweiz-USA, über den Start der Amtszeit Bidens fällt positiv aus. «Mit Biden regieren im Weissen Haus wieder Fakten statt Fake News. Ohne Twitter-Tiraden und Show-Effekte wie unter Donald Trump ist es fast etwas langweilig geworden. Aber das ist genau das, was die USA und die Welt jetzt brauchen», sagte Markwalder beim KOF Wirtschaftsforum zum Thema «100 Tage Joe Biden. Was kann die Schweiz für die nächsten 1360 Tage erwarten?». Biden habe wirtschaftspolitisch und bei der Bekämpfung der Corona-Pandemie geliefert. So hat Biden das Ziel von 100 Millionen Impfungen in seinen ersten 100 Amtstagen bereits nach knapp 60 Tagen erreicht und dann auf 200 Millionen erhöht und auch dieses Ziel mittlerweile erreicht. Zugute kommt Biden dabei, dass mit den Impfstoffen von Moderna/Lonza, Biontech/Pfizer und Johnson & Johnson drei der wichtigsten Vakzine in den USA produziert werden und somit das Land direkt an der Quelle sitzt.
     
  2. Wie steht es derzeit um die Wirtschaft in den USA?
    Die US-Wirtschaft hat sich deutlich schneller von der Corona-Krise erholt als Europa. «Der Wirtschaftsaufschwung in den USA ist in vollem Gange. Ich erwarte jetzt Goldene Zwanziger Jahre. Biden hat ein Flugzeug übernommen, das gerade am Abheben ist», sagte Martin Naville, CEO der Schweizerisch-Amerikanischen Handelskammer, beim KOF Wirtschafts­forum. Dabei haben die USA mit ihrer hohen Binnennachfrage gegenüber kleinen Ländern wie der Schweiz den Vorteil, dass sie nicht so exportabhängig sind. So erwirtschaftet allein der Bundesstaat Kalifornien ein Bruttoinlandprodukt (BIP) in Höhe des italienischen BIP. Die Wirtschaftsleistung von Texas entspricht der von Russland. Florida ist so reich wie die Niederlande.
     
  3. Droht der US-Wirtschaft durch das Konjunkturpaket eine Überhitzung?
    Diese Gefahr sieht der KOF-Volkswirt und US-Experte Stefan Neuwirth derzeit nicht. Die Arbeitslosigkeit in den USA sei trotz des Rückgangs immer noch hoch und das Produktionspotenzial immer noch nicht ausgelastet, so dass es derzeit keinen Preisdruck gebe.
     
  4. Wie sind derzeit die politischen und wirtschaftlichen Beziehungen zwischen der Schweiz und den USA?
    «Die Schweiz und die USA teilen politisch ähnliche Grundwerte», sagt Christa Markwalder. Beide Länder verbindet eine lange demokratische Tradition. Auch wirtschaftlich sind die Beziehungen eng. Die Kooperation zwischen Moderna und Lonza bei der Impfstoffproduktion sei ein Paradebeispiel der Wirtschaftsverflechtungen, so Christa Markwalder. Die USA sind nach Deutschland der wichtigste Handelspartner der Schweiz. Allerdings hat die Schweiz – anders als zum Beispiel Japan, Südkorea, Mexiko oder Kanada – bisher noch kein Freihandelsabkommen mit den USA abgeschlossen.
     
  5. Welche Schweizer Branchen könnten von der Wirtschaftspolitik Bidens profitieren?
    «Generell gilt: Wenn es den USA gut geht, geht es auch der Weltwirtschaft gut», sagte Stefan Neuwirth, der an der KOF im Bereich internationale Konjunktur forscht. Besonders könnten laut Martin Naville in der Schweiz die Elek­tronik- und Pharmabranche sowie die Umwelttechnologie und der Maschinenbau profitieren.
     
  6. Joe Biden war acht Jahre lang unter Barack Obama Vizepräsident. Was hat Biden von seinem Vor-Vorgänger gelernt?
    «Barack Obama wurde damals dafür kritisiert, dass sein Hilfspaket nach der Finanzkrise zu klein ausgefallen sei», erklärte Stefan Neuwirth. Biden habe als Lehre daraus diesmal eine Wirtschaftspolitik nach dem Motto «Nicht kleckern, sondern klotzen!» durchgesetzt. Zudem haben sich die Verhandlungen von Obama mit den Republikanern oft als zäh und ineffizient erwiesen, so die Analyse von Stefan Neuwirth. Deshalb habe Biden nach kurzen gescheiterten Sondierungsgesprächen mit den Republikanern das Hilfspaket mit der eigenen Partei ohne überparteilichen Konsens durchgezogen.
     
  7. Wie schätzen Experten die Zusammenstellung des Kabinetts der Regierung Biden ein?
    «Biden hat ein sehr erfahrenes und diverses Kabinett aufgestellt», sagte Christa Markwalder. Auch Martin Naville bezeichnete das Biden-Kabinett als «professionell, erfahren und pragmatisch». Mit Kamala Harris hat Biden zum ersten Mal eine Frau als Vizepräsidentin nominiert. Innenministerin Deb Haaland ist die erste indigene US-Ministerin. Viele Regierungsmitglie­der hatten zuvor bereits hohe Ämter inne. So war ­Finanzministerin Janet Yellen bis 2018 Chefin der amerikanischen Notenbank und der ehemalige Aussen­minister John Kerry ist von Biden zum Sondergesandten des Präsidenten für das Klima nominiert worden.
     
  8. Gibt es auch Europäer, die Trump nachtrauern?
    Trump-Fans muss man in Europa fast mit der Lupe suchen. «Niemand trauert der Person Trump nach», sagte Martin Naville. Biden sei im Gegensatz zu Trump integer, unaufgeregt und diplomatisch und deshalb «als Person der perfekte Präsident». Wirtschaftspolitisch habe Trump allerdings nicht alles falsch gemacht, so Martin Naville weiter. So habe Trump die Unternehmenssteuern gesenkt und auch die Arbeitslosigkeit sei unter Trump spürbar zurückgegangen, wovon auch und vor allem das untere Viertel der Gesellschaft profitiert habe. Andere US-Experten wenden allerdings ein, dass die Trendwende auf dem Arbeitsmarkt schon unter Barack Obama eingesetzt hat (siehe G 2), wovon Trump profitiert habe.
     
  9. Gibt es überhaupt Kritik an Biden?
    Ja. Dass Biden Corona-Schecks in Höhe von 1400 Dollar an einen Grossteil der Bevölkerung ausgestellt hat, stösst nicht nur auf Zustimmung. So befürchtet Christa Markwalder ein Strohfeuer. «Aus wirtschaftsliberaler Sicht ist das nicht nachhaltig.» Darüber hinaus betrachtet Martin Naville das von Biden geplante Infrastrukturpaket kritisch. Das Paket sei zwar notwendig, aber zu gross ausgefallen. Denn ein Grossteil des Volumens von zwei Billionen Dollar seien konsumtive Sozialausgaben. Investitionen, zum Beispiel in die Verkehrs­infrastruktur, in den Breitbandausbau, in die Sanierung der Wasserversorgungssysteme und in neue Energien, machen nur den kleineren Teil des Hilfspakets aus. Die langfristigen Auswirkungen auf die gesamtwirtschaftliche Stabilität seien schwer ab­schätz­bar. Auch dass Biden zur Gegenfinanzierung des Infrastrukturpakets die unter Trump gesenkten Unternehmenssteuern wieder kräftig erhöhen will, ist Martin Naville ein Dorn im Auge. «In den USA den höchsten Steuersatz der OECD einzuführen, ist wohl nicht sehr zielführend, vor allem nach der Pandemiekrise.»
     
  10. Wird Biden noch ein zweites Mal antreten und kommt Donald Trump zurück?
    Biden hat bereits angekündigt, 2024 für eine zweite Amtszeit kandidieren zu wollen. Eine Rückkehr Trumps aufs politische Parkett halten Experten für ausgeschlossen. «Es wird, denke ich, kein Remake der Trump-Show geben. Trump als Person wird kaum erfolgreich zurückkehren; der Sturm aufs Kapitol war so etwas wie das Finale der Trump-Präsidentschaft», sagte der SRF-Journalist Arthur Honegger, der lange Jahre als Korrespondent in den USA gearbeitet hat, beim KOF Wirtschaftsforum. Aber der Trumpismus als Bewegung sei nicht tot. Es gebe in den USA weiterhin Potenzial für eine rechtspopulistische Anti-Establishment-Bewegung, so Honegger. Der studierte Politikwissenschaftler befürchtet weiterhin eine polarisierte politische Kultur. «In den USA wird derzeit nicht der Konsens gesucht, sondern die Konfrontation.»

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1) Die Datengrundlage hierzu findet sich externe Seitehier.

Einen Videomitschnitt des KOF Wirtschaftsforums zum Thema «100 Tage Joe Biden. Was kann die Schweiz für die nächsten 1360 Tage erwarten?» finden Sie hier.

Das nächste KOF Wirtschaftsforum findet am 11. Juni statt und beschäftigt sich mit der chinesischen Wirtschaftspräsenz in Europa und der Schweiz.

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