KOF-NZZ Ökonomenumfrage: Grosse Mehrheit der Schweizer Wirtschaftswissenschaftler gegen raschen Schuldenabbau

Die KOF hat im April 2021 mit der Neuen Zürcher Zeitung (NZZ) Ökonominnen und Ökonomen zu den staatlichen Hilfen in der Corona-Krise und der Zukunft der Staatsfinanzen befragt. Die wenigsten befürworten eine strikte Anwendung der Schuldenbremse. Einig sind sich die 167 Umfrageteilnehmenden auch darüber, dass Einschnitte in Bildung, Forschung und soziale Sicherung vermieden werden sollten. Das Niveau der staatlichen Unterstützung wird von den Wirtschaftswissenschaftlern kaum als zu hoch angesehen.

Staatsschulden Schweiz

Zur Stützung der Wirtschaft hat der Schweizer Staat in der Pandemie diverse Hilfsmassnahmen beschlossen. Es wurden z.B. Bürgschaften für Überbrückungskredite übernommen, die Unterstützung für Kurzarbeit ausgebaut, ein Erwerbsersatz für Selbständige eingeführt sowie finanzielle Unterstützung für besonders stark betroffene Unternehmen geleistet. Seit Beginn der Pandemie diskutiert die Öffentlichkeit, ob der Gesamtumfang dieser Unterstützungen angemessen ist. 43% der befragten Ökonominnen und Ökonomen sehen den Umfang im bisherigen Verlauf der Pandemie als angemessen an (siehe G 6). 46% schätzen den Umfang allerdings als zu gering oder eher zu gering ein. Mit einem Anteil von 7% beurteilen nur wenige die Massnahmen als zu umfangreich.

Einschätzung Gesamtumfang Unterstützung durch den Staat
Forderung fiskalisches Programm

Um die wirtschaftliche Erholung von der Corona-Krise zu beschleunigen, haben einige Länder ein Fiskalprogramm aufgelegt. In den USA wurde z.B. ein umfangreiches Hilfspaket geschnürt, das unter anderem Investitionen in Infrastrukturprojekte beinhaltet. Der Wiederaufbaufonds der EU setzt dagegen zu einem grossen Teil auf Investitionen in Digitalisierungsprojekte und Klimaschutzmassnahmen. In der Schweiz steht ein Fiskalprogramm aktuell nicht zur Debatte. Ob ein solches Programm sinnvoll ist, hängt vom weiteren Verlauf der Rezession ab, wie sich die Wirtschaft erholen wird, ob zusätzliche Staatsausgaben vertretbar sind und ob das Programm zu inflationärem Druck führen könnte. Die Meinungen der befragten Ökonomen und Ökonominnen gehen auseinander: 47% der Umfrageteilnehmenden befürworten (eher) ein solches Programm für die Schweiz, 35% lehnen es (eher) ab (siehe G 7).

Jeder Vierte will Schuldenbremse während der Corona-Krise aussetzen

Die im Jahr 2003 in Kraft getretene Schuldenbremse verpflichtet den Bund, die nominalen Bundesschulden über einen Konjunkturzyklus hinweg zu stabilisieren. Damit soll der staatliche Handlungsspielraum stets gewährleistet sein und soll nicht auf Kosten der künftigen Generationen gelebt werden. Gemäss den geltenden Regeln der Schuldenbremse müssen die ausserordentlichen Ausgaben für die Corona-Massnahmen, welche auf das Amortisationskonto gebucht werden, innert sechs Jahren durch strukturelle Überschüsse im ordentlichen Haushalt abgetragen werden. Diese ausserordentlichen Ausgaben betrugen im Jahr 2020 rund 15 Mrd. Fr., nach Verrechnung mit dem Stand des Amortisationskontos per Ende 2019 resultiert ein Fehlbetrag auf dem Amortisationskonto von knapp 10 Mrd. Fr. per Ende 2020.1 Für 2021 rechnet das Eidgenössische Finanzdepartement (EFD) für den Bund mit zusätzlichen ausserordentlichen Ausgaben in der Höhe von 21 Mrd. Fr.2 Die Ökonominnen und Ökonomen wurden befragt, wie der Bund aus volkswirtschaftlicher Sicht am besten mit diesem Schuldenanstieg umgehen soll. Eine erste Möglichkeit ist der Abbau der Schulden innerhalb von sechs Jahren, was hoher struktureller Überschüsse bedarf. Allerdings ist einerseits fraglich, ob solch hohe Überschüsse überhaupt realisierbar wären, und andererseits könnte der Spardruck die wirtschaftliche Erholung bremsen. Entsprechend empfehlen nur 6% der Ökonominnen und Ökonomen diese Möglichkeit (siehe G 8).

Vorgehen Bund aus volkswirtschaftlicher Sicht

Alternativ kann die Bundesversammlung gemäss dem Finanzhaushaltsgesetz in besonderen Fällen die Frist des Schuldenabbaus erstrecken, somit wären weniger hohe strukturelle Überschüsse nötig – dafür aber über eine längere Zeitspanne.3 Mit einem Anteil von 43% stellt dies die meistgewählte Antwort dar. Eine dritte Option ist die Verrechnung des Fehlbetrages mit dem Ausgleichskonto.4 Im Ausgleichskonto werden die Budgetunterschreitungen des ordentlichen Haushalts seit der Einführung der Schuldenbremse festgehalten. Um Nachtragskredite zu vermeiden, budgetieren die Verwaltungseinheiten grundsätzlich vorsichtig, dadurch entstehen Kreditreste. Per Ende 2019 betrug der Positivsaldo auf dem (fiktiven) Ausgleichskonto 28 Mrd. Fr.5 Wird also dieser Saldo (oder ein Teil davon) auf das Amortisationskonto übertragen, müsste nur ein Teil der Corona-Schulden abgebaut werden. Eine solche Verrechnung mit dem Ausgleichskonto befürworten 19% der Umfrageteilnehmenden. Eine weitere Option ist das Aussetzen der Schuldenbremse und dementsprechend keine zwingende Realisierung von strukturellen Überschüssen in den Folgejahren. 27% der Volkswirte und Volkswirtinnen wählten diese Option. Befürworter argumentieren, dass die Bundesschulden durch künftige Budgetunterschreitungen auch ohne strukturelle Überschüsse sinken dürften. Zudem nimmt die Staatsschuldenquote, das Verhältnis zwischen den Staatsschulden und dem Bruttoinlandprodukt (BIP), bei einer wachsenden Wirtschaft auch ohne Schuldenabbau ab.

2019 und damit vor der Krise hatte die Schweiz eine Staatsschuldenquote nach Maastricht-Definition von rund 26%.6 Im internationalen Vergleich war die Quote für die Schweiz damit relativ niedrig, die entsprechende Quote lag z.B. in Deutschland bei 60%.7 Infolge der ausserordentlichen Massnahmen dürfte die Quote in der Schweiz bis Ende Jahr auf über 30% ansteigen.8 Die Ökonominnen und Ökonomen wurden gefragt, welche Staatsschuldenquote ein Land wie die Schweiz mittel- bis langfristig anstreben sollte. Mit einem Anteil von 36% wurde der Bereich von 21% bis 40% am meisten gewählt (siehe G 9). 20% der Umfrageteilnehmenden gaben an, dass eine Quote zwischen 41% und 60% angestrebt werden soll – eine solche Quote würde wohl ein langfristiges Aussetzen der Schuldenbremse erfordern. Gemäss fast einem Drittel der Teilnehmenden soll der Staat hingegen keine bestimmte Quote anstreben. Hintergrund dieser Antwort dürfte sein, dass die Schuldenquote nicht allein betrachtet werden soll: Die Tragfähigkeit der Schulden hängt massgeblich etwa von dem nominalen Zinssatz, dem künftigen BIP-Wachstum, der Währung der Schulden und dem Verschuldungsniveau von anderen Ländern ab.

Eine weitere Frage thematisiert, welche die Einzelmassnahme erster Wahl ist, mit der der Bund die Schulden abbauen soll. Während 22% der Ökonominnen und Ökonomen eine Reduktion der Ausgaben bevorzugen, sprechen sich 53% für eine Erhöhung der Einnahmen aus (siehe G 10). Als am geeignetsten wird mit einem Anteil von 26% eine Erhöhung der Gewinnsteuer angesehen. Andere mögliche Massnahmen wären Einsparungen bei Ausgaben für die Öffentliche Verwaltung (20%), Erhöhung der Mehrwertsteuer (15%), Erhöhung der Einkommenssteuer (11%), Einsparungen bei Ausgaben für die soziale Sicherheit (2%) und Einsparungen bei Ausgaben für Bildung und Forschung (0%). Andere Massnahmen sehen 18% als am geeignetsten an.

Staatsschuldenquote
Massnahmen Schuldenabbau

Geteilte Meinungen bezüglich Zweckbindung der Gewinnausschüttungen der SNB

Damit ein rascher Abbau der Schulden möglich ist, wird in der Politik über eine Zweckbindung der Gewinnausschüttung der Schweizerischen Nationalbank (SNB) debattiert.9 Die Finanzkommission des Ständerates schlägt vor, die jährlichen Gewinnausschüttungen der SNB von bis zu 2 Mrd. Fr. an den Bund für den Abbau der krisenbedingten Schulden zweckzubinden.10 So würde das Geld nicht in den Haushalt fliessen, wo gegebenenfalls andere Ansprüche geltend gemacht werden würden. Andererseits würde dies zu politischem Druck auf die SNB führen und damit deren Unabhängigkeit beeinträchtigten. Die Ökonominnen und Ökonomen sind auch hier geteilter Meinung: 39% befürworten oder befürworten eher eine Zweckbindung und 38% lehnen oder lehnen sie eher ab (siehe G 11).

Gewinnausschüttung Bund

Die KOF-NZZ Ökonomenumfrage behandelt für die Schweiz wirtschaftspolitisch relevante Themen und ist ein Instrument, um die Ansichten der akademisch forschenden Ökonomen und Ökonominnen in der Öffentlichkeit sichtbar zu machen. Medienpartner der KOF bei der Erstellung und Interpretation der Ökonomenumfrage ist die Neue Zürcher Zeitung (NZZ). Weitere Informationen zur Ökonomenumfrage finden Sie hier.

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