Corona-Krise bremst Lohnwachstum aus

Nach einer Talfahrt des Arbeitsmarktes im Frühling erholt sich dieser über den Sommer – insbesondere dank der Kurzarbeit. Der Ausblick auf den Winter zeigt jedoch: Es ist auch bei der Arbeitslosigkeit mit einer zweiten Welle zu rechnen. Der Anstieg bei den Nominallöhnen dürfte im nächsten Jahr so tief sein wie noch nie in den letzten 80 Jahren.

Gastro

Obwohl im Mai die ersten Lockerungen in Kraft traten, traf die COVID-19-Pandemie den Schweizer Arbeitsmarkt im zweiten Quartal mit voller Wucht. Dies zeigen nun auch die Daten der Schweizerischen Arbeitskräfteerhebung (SAKE) des Bundesamtes für Statistik. Gemäss der Erhebung nahm die Erwerbstätigenzahl im zweiten Quartal im Vergleich zum Vorquartal saisonbereinigt um 2% ab. Eine Bewegung von historischem Ausmass: Einen so grossen quartalsweisen Rückgang der saisonbereinigten Erwerbstätigenzahl gab es in der Reihe zur Erwerbstätigkeit, die auf Quartalsbasis bis in die frühen 1990er Jahre zurückreicht, noch nie.

Parallel zur Erwerbstätigenzahl sank auch die Auslastung der noch erwerbstätigen Arbeitskräfte, gemessen an der durchschnittlichen Wochenarbeitszeit. Grund dafür ist, dass im April für eine Rekordzahl von 1.275 Millionen Beschäftigte Kurzarbeit abgerechnet wurde. Die tatsächliche wöchentliche Arbeitszeit pro erwerbstätige Person verringerte sich im zweiten Quartal 2020 gegenüber dem Vorjahresquartal um 9.5% auf 28.4 Stunden.

Beschäftigungsentwicklung

Frauen im ersten Halbjahr stärker betroffen

Die Daten der Beschäftigungsstatistik zeigen, wie unterschiedlich die Auswirkungen der Krise auf die verschiedenen Branchen waren (siehe Grafik G 4). Das Gastgewerbe war am stärksten betroffen: Ganze 12.1% oder 32 331 der im Gastgewerbe Ende 2019 beschäftigten Personen verloren bis Ende des zweiten Quartals 2020 ihre Stelle. Ebenfalls stark betroffen waren Beschäftigte in der Branche «Erbringung von sonstigen wirtschaftlichen Dienstleistungen», zu welcher Messe-, Ausstellungs- und Kongressveranstalter zählen (-7.3%), sowie Beschäftigte im Bereich «Kunst und Unterhaltung» (-5.0%). Demgegenüber erhöhte sich im Gesundheitswesen die Beschäftigung zwischen dem vierten Quartal 2019 und dem zweiten Quartal 2020 um 12 381 Personen (+1.7%).

Frauen sind vom Rückgang der Beschäftigung tendenziell stärker betroffen als Männer. Während sich die Beschäftigung der Männer seit Ende 2019 um 1% (27 835 Personen) reduzierte, betrug der Rückgang bei den Frauen 1.5% (34 452 Personen). Damit unterscheidet sich die jetzige Krise von den letzten Wirtschaftskrisen, die Männer im Schnitt leicht stärker trafen. Dies liegt insbesondere an der überproportionalen Vertretung der Frauen in einigen stark in Mitleidenschaft gezogenen Wirtschaftsbranchen. Ende 2019 waren beispielsweise deutlich mehr Frauen in der Gastronomie beschäftigt als Männer, wodurch in den ersten zwei Quartalen 2020 absolut mehr Frauen ihre Stellen verloren.

Für eine Entwarnung ist es zu früh

Die bis dato verfügbaren Zahlen suggerieren, dass sich der Arbeitsmarkt in den Sommermonaten stabilisiert hat. Gemäss dem Saisonbereinigungsverfahren der KOF reduzierte sich die saisonbereinigte, registrierte Zahl der Arbeitslosen1 von 161 100 Personen im Mai – was einer Arbeitslosenquote von knapp 3.5% entspricht – auf 155 700 Personen im September (knapp 3.4%). Verhältnismässig gute Nachrichten gab es auch in Bezug auf die Kurzarbeit. Gegenüber dem Höhepunkt der Krise im April, als Kurzarbeit für fast 103 Millionen Arbeitsstunden abgerechnet worden war, reduzierten sich die abgerechneten Kurzarbeitsstunden im Juni um 69% und im Juli um gut 80%.

Der Rückgang der Arbeitslosenzahlen im Sommer kommt überraschend. Für eine Entwarnung ist es jedoch noch zu früh: Einige Betriebe profitierten im Sommer von Sondereffekten wie beispielsweise die Tourismusbranche in gewissen Regionen dank einer bedeutenden Sondernachfrage von Schweizer TouristInnen oder der Detailhandel aufgrund von Nachholeffekten beim Konsum nach dem Lockdown. Vor allem aber half die Kurzarbeitszeit, übermässige Entlassungen zu vermeiden.

Allerdings: Im Juli des laufenden Jahres wurde immer noch für rund 350 000 Beschäftigte Kurzarbeit abgerechnet. Das sind zwar wesentlich weniger als im April; es gab damit aber immer noch mehr als 3.5-mal so viele Kurzarbeitende wie auf dem Höhepunkt der Finanz- und Wirtschaftskrise. In den nächsten Monaten wird sich weisen, wie viele der betroffenen Stellen nachhaltig gesichert werden können. Das Instrument der Kurzarbeit wirkt vor allem bei einem vorübergehenden Wirtschaftseinbruch. In einigen der betroffenen Betriebe dürfte sich der Nachfrageeinbruch hingegen als permanent erweisen.

Leichter Anstieg der Arbeitslosigkeit im Winter zu erwarten

Beschäftigung Prognose

Die KOF rechnet in ihrer aktuellen Prognose wegen des Auslaufens der erwähnten Sondereffekte und wegen Entlassungen von Arbeitskräften, für die gegenwärtig Kurzarbeit bezogen wird, im Winterhalbjahr mit einer zweiten Entlassungswelle. Diese fällt zwar wesentlich kleiner aus als bislang angenommen, führt aber zu einem leichten zweiten Anstieg der Arbeitslosenzahlen (siehe Grafik G5). Laut Prognose steigt die Quote der registrierten Arbeitslosen gemäss Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO) von 3.2% in diesem auf 3.6% im nächsten Jahr. Der Höhepunkt der saisonbereinigten Arbeitslosigkeit wird im zweiten Quartal 2021 erreicht. Die Erwerbslosenquote gemäss Vorgaben der International Labour Organisation (ILO), die auch nicht auf dem Arbeitsamt registrierte Arbeitslose umfasst, entwickelt sich auf deutlich höherem Niveau parallel. Im Jahresdurchschnitt wird die ILO-Arbeitslosenquote auf 4.8% im laufenden und 5.5% im nächsten Jahr geschätzt.

Spiegelbildlich zur Entwicklung der Arbeitslosigkeit ist mit einer schleppenden Beschäftigungsdynamik zu rechnen. Insgesamt prognostiziert die KOF für 2020 einen Rückgang der vollzeitäquivalenten Beschäftigung um 0.3% im Vergleich zum Vorjahr. Auch die Zahl der Erwerbstätigen dürfte 2020 rückläufig sein (-0.4%). Wegen der gebremsten Konjunktur zu Beginn des nächsten Jahres dürfte der Rückgang der Beschäftigung 2021 nicht aufgeholt werden. So rechnet die Prognose mit einem Wachstum von 0.1% bei der Zahl der Erwerbstätigen im nächsten Jahr. Zu einer Erholung kommt es demnach erst 2022 (+1.4%).

Löhne: Stagnation im nächsten Jahr?

Die Corona-Krise dürfte sich erst im nächsten Jahr stark negativ auf die Lohnentwicklung auswirken. 2020 profitieren viele LohnbezügerInnen davon, dass die Löhne in bestehenden Arbeitsverhältnissen – unter anderem in jenen, die gesamtarbeitsvertraglich ausgehandelt wurden – letzten Herbst unter recht verheissungsvollen Konjunkturaussichten neu verhandelt wurden. Dadurch kommt es 2020 zu nominalen Lohnsteigerungen, welche die Krise nur bedingt widerspiegeln. Laut der Prognose steigen die Löhne gemäss Schweizerischem Lohnindex (SLI) in diesem Jahr um 0.4%. Nominal ist dies zwar wenig, es führt aber dank sinkender Konsumentenpreise zu relativ kräftigen Kaufkraftgewinnen der Haushalte, welche die Konjunktur etwas stützen. Die Reallöhne gemäss SLI steigen 2020 um 1.1%.

Lohnwachstum Prognose

Der aktuelle Lohnherbst steht für die Arbeitnehmenden unter einem schlechten Stern. In vielen Branchen dürfte es wegen des grossen Spardrucks und des Preisrückgangs im laufenden Jahr kaum zu generellen Lohnerhöhungen kommen. Insgesamt prognostiziert die KOF deshalb, dass die SLI-Löhne 2021 nominal nur um 0.2% zulegen – dies wäre das tiefste Nominallohnwachstum in der gut 80-jährigen Geschichte der Lohnreihe (siehe Grafik G 6). In einigen Branchen könnte es gar zu Nominallohnsenkungen kommen.

-------------------------------------------------------------------

1) Die registrierte Arbeitslosigkeit gemäss SECO umfasst nur die definitorisch Arbeitslosen. Personen, die z.B. nur in einem Zwischenverdienst am Arbeitsmarkt teilnehmen, werden nicht erfasst.

Eine ausführliche Version dieses Beitrags finden Sie in den KOF Analysen von Ende Oktober.

Ansprechpartner

Dr. Michael Siegenthaler
Dozent am Departement Management, Technologie und Ökonomie
  • LEE G 301
  • +41 44 633 93 67

KOF Konjunkturforschungsstelle
Leonhardstrasse 21
8092 Zürich
Schweiz

JavaScript wurde auf Ihrem Browser deaktiviert