Frauenanteil in MINT-Fächern: Grosse Unterschiede zwischen den Kantonen

In der Schweiz ist der Frauenanteil in technischen Studiengängen so tief wie in kaum einem anderen OECD-Land. Trotz vieler Förderprogramme hat sich daran in den letzten zehn Jahren kaum etwas geändert. Eine Analyse mit neuen Bildungsdaten zeigt grosse kantonale Unterschiede: So beginnen in den Kantonen Zürich oder Zug doppelt so viele Maturandinnen ein MINT-Studium wie etwa in Genf oder Uri.

MINT

Die Nachfrage nach Arbeitskräften mit Ausbildungen in den Fachrichtungen Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik (MINT) ist ungebrochen gross. Trotzdem entscheiden sich wenige Frauen für ein MINT-Studium. So weist die Schweiz bei den Studienabschlüssen im MINT-Bereich mit 22% (2017) einen der tiefsten Frauenanteile in der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) auf (siehe G 4). Von den Nachbarländern kommen Deutschland und Österreich auf je 26 und 28%, während der Anteil in Frankreich und Italien 32 und 40% beträgt.

Frauenanteil MINT

Das Geschlechterverhältnis im MINT-Bereich ist nicht nur für Schweizer Firmen, die qualifizierte Arbeitskräfte suchen, von Bedeutung. Es hat auch direkte Auswirkungen auf Lohnunterschiede im Arbeitsmarkt. So werden in MINT-Berufen höhere Löhne bezahlt als in weniger technischen Berufen. Wenn Frauen im Vergleich zu Männern im MINT-Bereich untervertreten sind, verdienen sie daher weniger. Die Studienfachwahl hat dabei einen kausalen Effekt auf zukünftige Einkommen. Gemäss Goldin, Katz und Kuziemko (2006) kann gut ein Drittel des Lohnunterschiedes zwischen Männern und Frauen auf unterschiedliche Ausbildungsentscheidungen zurückgeführt werden.

MINT-Studienfächer

In der Schweiz haben Stiftungen, Bildungsinstitutionen und Unternehmen in den letzten Jahren zahlreiche MINT-Förderprogramme lanciert. Trotzdem hat sich das Geschlechterverhältnis in den letzten zehn Jahren kaum verändert. Die Wahrscheinlichkeit, dass Frauen ein MINT-Studium beginnen, ist zwischen 2009 und 2019 von 17.3 auf nur 20.6% angestiegen, während sie bei Männern von 43.9 auf 48.4% geklettert ist. Besonders in der Informatik und den technischen Studiengängen ist der Frauenanteil immer noch tief (siehe G 5).

Wirksame Fördermassnahmen sind schwierig

Wieso steigt der Frauenanteil in MINT-Studiengängen nur langsam? Heute werden Schülerinnen zwar nicht mehr explizit davon abgehalten, eine MINT-Ausbildung zu verfolgen. Die internationale Forschung belegt jedoch, dass implizite Werthaltungen und Normen einen grossen Einfluss haben. So zeigt etwa Carlana (2019), dass Lehrpersonen mit unbewussten stereotypen Werthaltungen schlechtere Schulleistungen von Schülerinnen in Mathematik bewirken und dazu beitragen, dass diese sich eher gegen eine Spezialisierung in Mathematik im Gymnasium entscheiden. Auch Mitschülerinnen und Mitschüler, die Eltern und Geschwister oder das institutionelle Schulumfeld können Träger von impliziten Stereotypen sein und zum geringen Interesse von Schülerinnen an mathematischen Fächern beitragen (zum Bsp: Brenoe and Zoelitz 2019; Mouganie and Wang 2020; Dahl, Rooth, and Stenberg 2020; Joensen and Nielsen 2016).

Dies macht es sehr schwierig, die Unterschiede zu reduzieren. Ausserdem können Interventionen auch unbeabsichtigte Folgen haben. Das zeigt etwa eine MINT-Fördermassnahme in Frankreich, bei der Ingenieurinnen Gymnasien besuchten und einen Einblick in ihre Arbeit gaben (Breda, Grenet und Monnet 2020): Die Massnahme führte anfangs dazu, dass Schülerinnen nach dem Besuch sogar eher erwarteten, in technischen Berufen diskriminiert zu werden.

Kantonale Unterschiede als Chance

Mit neuen Daten des Bundesamtes für Statistik kann nun für die Schweiz erstmals genauer analysiert werden, wo die Geschlechterunterschiede vor dem Eintritt in die Universität auftreten. So zeigt die Grafik 6 die Wahrscheinlichkeit von Maturandinnen, ein MINT-Studium zu beginnen, aufgeschlüsselt nach Wohnkantonen zum Zeitpunkt des Schulabschlusses.

MINT-Anteile nach Kantonen

Während die technischen Studiengänge in allen Kantonen bei Männern beliebter sind als bei Frauen, gibt es je nach Kanton grosse Unterschiede. In den Kantonen Zürich, Tessin oder Zug beginnen etwa 24% der Maturandinnen ein MINT-Studium – in den Kantonen Genf, Uri oder Appenzell Innerrhoden sind es nur etwas mehr als 12%. In den Kantonen Thurgau und Neuchâtel ist der Anteil ähnlich tief.

Zurzeit gibt es noch keine wissenschaftlichen Studien zu den Ursachen für die kantonalen Unterschiede. Die internationale Forschung legt nahe, dass neben weiteren Faktoren das Schulumfeld dazu beitragen dürfte – gerade in der Schweiz, wo das Bildungswesen kantonal organisiert ist und die Kantone viel Gestaltungsspielraum haben. Ein besseres Verständnis der Ursachen für die kantonalen Unterschiede könnte eine gezieltere Förderung von Frauen im MINT-Bereich ermöglichen.

Eine ausführliche Version dieses Beitrags erscheint in den nächsten KOF Analysen Ende Oktober.

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