Die Globalen Konjunkturbarometer: Aktuelle und vorauslaufende Weltindikatoren

Die KOF veröffentlicht seit Januar jeden Monat einen gleichlaufenden und einen vorauslaufenden Sammelindikator für die Weltkonjunktur. Die beiden Globalen Barometer sind zeitnah und in hoher Frequenz verfügbar. Der Algorithmus zur Konstruktion der beiden Barometer wird jedes Mal neu durchlaufen. Damit ist die Flexibilität des Barometersystems garantiert. Am aktuellen Rand haben die Barometer schnell den wirtschaftlichen Einbruch angezeigt, der mit der Ausbreitung des Coronavirus einherging.

Baro

Das Konzept eines globalen Konjunkturzyklus und die Belege dafür werden in der wissenschaftlichen Literatur seit Langem diskutiert. Es sind jedoch die Auswirkungen der Finanzkrise von 2007 und der daraus resultierenden Grossen Rezession von 2009 sowie die nachfolgenden Ereignisse, von der Euro-Krise über vermehrt protektionistische Tendenzen, etwa in den USA, bis hin zur andauernden COVID-19-Pandemie, welche die globale Verflechtung der Volkswirtschaften mehr denn je in den Blickpunkt der Öffentlichkeit gerückt haben. Im Gegensatz zu den Indikatoren auf Länderebene gibt es für die Weltwirtschaft jedoch nur sehr wenige Indikatoren.

Forschende der KOF haben deswegen in Zusammenarbeit mit der Fundação Getúlio Vargas (Brasilien) zwei neue Sammelindikatoren für die Weltwirtschaft entwickelt ─ die Globalen Barometer. Der eine ist als gleichlaufender Indikator konzipiert, der andere soll der Weltkonjunktur um einige Monate vorauslaufen. Unter Verwendung einer grossen Anzahl von zugrunde liegenden Variablen sind diese beiden Indikatoren in der Lage, starke Signale zu extrahieren, die das Rauschen in den zugrunde liegenden wirtschaftlichen Umfragedaten dominieren. Dadurch kann auf ein Filtern verzichtet werden und die damit verbundenen Probleme wie Ausreissersensitivität, Phasenverschiebung und Randwertinstabilität entfallen.

Im Gegensatz zu den meisten anderen Sammelindikatoren, bei denen sich die Variablenauswahl nur selten ändert1, passt sie sich bei den Globalen Barometern automatisch an sich ändernde Umstände an. Wie unsere Pseudo-Echtzeit-Simulationen zeigen, sind diese neuen Indikatoren oft entweder schneller oder besser bei der Erfassung zyklischer Bewegungen der Weltwirtschaft als die wenigen anderen Indikatoren auf Weltebene, die derzeit verfügbar sind.

Die Globalen Barometer in der Coronavirus-Rezession

Werfen wir zunächst einen Blick auf das Ergebnis, die Globalen Barometer bis zu den aktuellsten Werten im Juni. Im Februar 2020 begannen Berichte über die ausser Kontrolle geratene Ausbreitung des Coronavirus ausserhalb Chinas zu erscheinen. Danach wurden weltweit Massnahmen ergriffen, um die Ausbreitung des Virus einzudämmen. Zudem kam es zu Verhaltensänderungen. Die resultierende Einschränkung zahlreicher wirtschaftlicher Aktivitäten sollte von den Globalen Barometern frühzeitig signalisiert werden.

Globale Barometer

Die Globalen Barometer werden der Öffentlichkeit seit Januar dieses Jahres über die Webseite der KOF im monatlichen Rhythmus zur Verfügung gestellt. Seit März werden die Ergebnisse zudem in einer Medienmitteilung beschrieben und interpretiert. Die erste Medienmitteilung im März war gleich ein Paukenschlag: Sowohl der Früh- als auch der Gleichlaufindikator sanken jeweils um mehr als zehn Punkte. Beide Barometer fielen deutlich unter ihre historischen Mittelwerte. Grafik G 3 zeigt die Entwicklung ab 2007, so dass der jetzige Einbruch mit der Grossen Rezession 2008/09 verglichen werden kann. Ab März signalisierten die Globalen Barometer in der Tat schnell eine globale Rezession, die noch heftiger begann als die Grosse Rezession vor zwölf Jahren. Der Tiefpunkte der Krise wurde wohl im Mai durchschritten, aber beide Barometer stehen noch immer ca. 50 Punkte (also etwa 5 Standardabweichungen) unter dem Schnitt der letzten zehn Jahre, was die Dramatik der aktuellen Lage unterstreicht.

Wie die Barometer berechnet werden, ist im Folgenden skizziert.

Monatliche Zeitreihe für die globale Konjunktur

Als Referenzgrösse, auf welche die Barometer ausgerichtet sind, berechnen wir eine monatliche Zeitreihe für die globale Konjunktur. Der Internationale Währungsfonds (IWF) veröffentlichte vierteljährlich eine Schätzung der Wachstumsrate des realen Welt-Bruttoinlandprodukts. Die letzte Reihe des IWF datiert allerdings von Ende 2018, da er mit der Veröffentlichung dieser Zeitreihe derzeit pausiert. Wir verlängern daher diese Reihe mit einer KOF-Schätzung auf Grundlage offizieller nationaler Statistiken bis der IWF seine Veröffentlichung wieder aufnimmt. Dann konstruieren wir aus den Wachstumsraten eine Indexreihe des realen globalen Bruttoinlandprodukts (BIP). Anschliessend zerlegen wir die vierteljährliche BIP-Reihe mit der additiven Denton-Methode in monatliche Frequenz. Aus dieser monatlichen BIP-Reihe berechnen wir als unsere Referenzreihe die Vorjahreswachstumsrate des monatlichen Welt-BIP (siehe Grafik G 4).

IWF-Daten

1700 Indikatoren aus über 50 Ländern

Für die zeitnahe Erfassung der globalen Konjunktur berücksichtigen wir Verbraucher-, Unternehmens- und Expertenumfragen aus über 50 Ländern. Insgesamt haben wir daraus eine Ausgangsmenge von fast 1700 Indikatoren mit vierteljährlicher oder monatlicher Periodizität zusammengestellt, von denen wir erwarten, dass sie in Beziehung zur Weltkonjunktur stehen.2 Wir ordnen die Variablen drei verschiedenen Regionen zu: Europa, der westlichen Hemisphäre (amerikanischer Doppelkontinent einschliesslich Karibik) und dem Rest der Welt (Asien & Pazifik & Afrika).

Aus den Indikatoren bestimmen wir mit einem statistischen Verfahren zwei Untergruppen. Zur ersten Gruppe gehören diejenigen Variablen, welche einen engen Zusammenhang mit den Auf- und Abschwüngen der Weltkonjunktur zeigen und ihr dabei um einige Monate vorauslaufen. Die zweite Gruppe umfasst jene Variablen, die sich annähernd gleichzeitig mit der Weltkonjunktur entwickeln. Mit einem weiteren statistischen Verfahren fassen wir diese beiden Variablengruppen in zwei neuen Variablen zusammen: dem vorauslaufenden und dem gleichlaufenden Globalen Barometer. Weitere Informationen zur Methodik finden sich im Kasten am Ende des Textes.

Konstruktion in Pseudo-Echtzeit

Da wir die Berechnungen jeden Monat aktualisieren, passen sich die Variablenauswahl und die daraus berechneten Barometer automatisch an sich verändernde Entwicklungen und Zusammenhänge an. Um zu beurteilen, wie gut die Globalen Barometer den Weltkonjunkturzyklus in der Vergangenheit angezeigt hätten, simulieren wir beide in Pseudo-Echtzeit. («Pseudo», da wir nicht über Echtzeit-Veröffentlichungen für die Variablen und das globale BIP verfügen.) Grafik G 5 zeigt die simulierten Globalen Barometer zusammen mit der Referenzreihe. Das vorauslaufende Barometer läuft wie erwünscht der Referenzreihe und dem gleichlaufenden Barometer voraus. Dafür ist das vorauslaufende Barometer erkennbar volatiler als das gleichlaufende. Der «Preis» für den Vorlauf besteht somit in einem etwas weniger engen Zusammenhang mit der Weltkonjunktur.

Pseudo-Echtzeit

Weitere Informationen zur Methodik

Die Indikatorvariablen

Vor dem Durchlaufen der Auswahlprozedur werden alle Variablen saisonbereinigt. Abhängig von den unterliegenden Fragen fügen wir der Ausgangsmenge noch Transformationen der Variablen hinzu. Die potenziellen Transformationen sind der Logarithmus und/oder die Differenzen (1-Monats-, 3-Monats- oder 12-Monats-Differenzen für monatliche Variablen bzw. 1-Quartals- oder 4-Quartals-Differenzen für vierteljährliche). Für potenziell nichtstationäre Variablen greifen wir nur auf die Differenzen der Variablen zurück. Bei stationären Variablen berücksichtigen wir sowohl die Niveaus als auch die Differenzen. Um die für unsere Zwecke benötigte Vollständigkeit der Daten sicherzustellen, verschieben wir alle Reihen mit Publikationsverzögerungen auf Basis der Erfahrung im vorangegangenen Jahr nach rechts an den aktuellen Rand des Zeitfensters.

Dann berechnen wir für jede Indikatorreihe die Kreuzkorrelationen mit der Referenzreihe. Der zeitliche Vorsprung der Variable zur Referenzreihe wird als derjenige identifiziert, bei dem die absolute Kreuzkorrelation maximiert ist. Der Stichprobenzeitraum für die Berechnung der Kreuzkorrelationen wird auf ein rollendes Fenster von zehn Jahren festgelegt. Dies verringert die Abhängigkeit von weit zurückliegenden Beobachtungen und bewirkt eine schnelle Aktualisierung der Variablenauswahl. Das Ende des 10-Jahres-Fensters wird auf den Monat der letzten Beobachtung der Referenzreihe gesetzt. Damit verschiebt sich das 10-Jahres-Fenster jedes Quartal um drei Monate nach vorn, d.h. jedes Mal, wenn unsere Referenzreihe um ein Quartal aktualisiert wird.

Damit eine Variable ausgewählt wird, muss der Vorsprung, bei dem die absolute Kreuzkorrelation maximiert ist, innerhalb eines 7-Monats-Fensters liegen, das auf einem Vorlauf von entweder null oder sechs Monaten zentriert ist. Darüber hinaus muss das Vorzeichen der Korrelation beim relevanten Vor- bzw. Gleichlauf den ökonomischen Erwartungen entsprechen und einen 5-Prozent-Signifikanztest bestehen, wobei wir einseitige Tests für Variablen mit theoretisch erwarteten Vorzeichen und zweiseitige für Variablen mit erwartungsoffenen Vorzeichen durchführen. Die Auswahlkriterien werden auf alle Transformationen derselben Ausgangsvariablen angewendet. Wenn mehrere Transformationen die Kriterien erfüllen, wird nur die Transformation mit der maximalen absoluten Korrelation beim anvisierten Gleich- bzw. Vorlauf ausgewählt.

Aggregation der Indikatorvariablen zu den Globalen Barometern

Die beiden ausgewählten Variablengruppen werden mit dem Partial-Least-Squares-Verfahren (PLS) aggregiert, welches aus einer grösseren Variablenmenge eine kleinere Anzahl «Faktoren» bestimmt, die möglichst viel der Kovarianz zwischen der Variablenmenge und der Referenzreihe erklären.3

Da mehr als die Hälfte der Ausgangsvariablen aus Europa stammt, begrenzen wir bei der Konstruktion der Globalen Barometer diese Überrepräsentation mittels regionaler Gewichtung. Wir extrahieren dafür aus den gleichlaufenden und aus den vorauslaufenden Variablen je einen gleichlaufenden und einen vorauslaufenden PLS-Faktor für jede unserer drei Regionen. Die regionalen PLS-Faktoren werden gewichtet mit den BIP-Anteilen aggregiert. Die beiden Reihen zentrieren wir jeweils auf 100, skalieren sie auf eine Standardabweichung von zehn und erhalten damit die Globalen Barometer.

1) Eine bemerkenswerte Ausnahme ist das aktuelle KOF Konjunkturbarometer.

2) Für die aktuellen Variablen siehe https://kof.ethz.ch/prognosen-indikatoren/indikatoren/kof-globalbaro.html.

3) Wir benutzen den NIPALS-Algorithmus aus: Wold, S., A. Ruhe, H. Wold, and W. J. Dunn (1984): The Collinearity Problem in Linear Regression. The Partial Least Squares (PLS) Approach to Generalized Inverses, SIAM Journal on Scientific and Statistical Computing, 5(3), 735─743.

Eine ausführliche Version dieses Beitrags findet sich in den «KOF Analysen» 2/2020.

Kontakt

Prof. Dr. Michael Graff
Dozent am Departement Management, Technologie und Ökonomie
  • LEE G 206
  • +41 44 632 09 89

KOF Konjunkturforschungsstelle
Leonhardstrasse 21
8092 Zürich
Schweiz

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