Corona-Krise: Wie steht der Schweizer Arbeitsmarkt im internationalen Vergleich da?

Wegen der Corona-Krise hat die Arbeitslosigkeit in der Schweiz in der ersten Jahreshälfte massiv zugenommen. Trotzdem kam die Schweiz im internationalen Vergleich bisher einigermassen glimpflich davon. So stieg die Arbeitslosigkeit hierzulande bislang weniger stark als etwa in Grossbritannien oder Kanada, jedoch etwas stärker als in Schweden oder Deutschland. Das Beispiel Schweden zeigt, dass die Krise den Arbeitsmarkt empfindlich trifft, selbst wenn die Behörden auf einen Lockdown verzichteten.

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Die Corona-Krise hat im März und April in der Schweiz zu einem historisch einmaligen Anstieg der Arbeitslosigkeit geführt. Bereinigt um saisonale Schwankungen, stieg die Zahl jener, die gemäss Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO) auf den regionalen Arbeitsämtern als arbeitslos registriert sind, in diesen zwei Monaten um nicht weniger als 50 000 Personen. Insgesamt betrug die Quote der registrierten Arbeitslosen Ende Mai saisonbereinigt 3.5%, nachdem sie Ende Februar noch bei 2.3% gelegen hatte. Damit stieg die registrierte Arbeitslosigkeit in nur drei Monaten praktisch gleich stark wie in den ersten zehn Monaten der Finanz- und Wirtschaftskrise 2009.

Der Anstieg der Arbeitslosenzahl war dabei nur zu gut zwei Drittel auf Zuflüsse in die Arbeitslosigkeit zurückzuführen – also beispielweise, weil Beschäftigte entlassen oder ihr Vertragsverhältnis nicht verlängert wurde. Ein Drittel des Anstiegs war auf einen starken Rückgang der Abgänge aus der Arbeitslosigkeit zurückzuführen: Wegen der Krise kam es in vielen Betrieben zu einem Anstellungsstopp, wodurch es für die Arbeitslosen sehr schwierig geworden ist, passende Stellen zu finden. Glücklicherweise stieg die Arbeitslosigkeit im Mai – nach der schrittweisen Lockerung der Schutzmassnahmen – nur noch ein Drittel so stark wie in den zwei Monaten davor. Das Ende des Lockdowns minderte die arbeitsmarktlichen Auswirkungen der Krise etwas.

Corona-Krise vernichtet weltweit in kürzester Zeit viele Stellen

Mit dem beispiellosen Anstieg der Arbeitslosigkeit in den ersten Monaten der Pandemie steht die Schweiz nicht alleine da. In praktisch allen Volkswirtschaften der Welt vernichtete die Krise innert kürzester Zeit sehr viele Stellen. Die folgenden Grafiken zeigen den Anstieg der Arbeitslosigkeit in verschiedenen Ländern anhand von Daten der Organisation für wirtschaftliche Zuammenarbeit und Entwicklung (OECD). In Anlehnung an die mittlerweile geläufige Infektionskurve illustrieren die Grafiken das Wachstum relativ zum Tag, an dem der 50. COVID-Fall in einem Land gemeldet wurde (der Monat, vor dem der 50. Fall bekannt wurde, dient als Referenzpunkt).

Die beiden Grafiken unterscheiden sich in der Art, wie die Arbeitslosigkeit gemessen wird. Grafik G 1 zeigt den Anstieg der registrierten Arbeitslosen – jener Arbeitslosen also, die gemäss nationaler Statistik bei der öffentlichen Arbeitsvermittlung gemeldet sind. Die Zahlen sind sehr verlässlich und meist zeitnah verfügbar, da sie aus Registerdaten gewonnen werden. Die Messung der Arbeitslosigkeit anhand der Registrierung hat aber verschiedene Nachteile. So weist ein Land mit einer generösen Arbeitslosenversicherung praktisch definitorisch mehr registrierte Arbeitslose auf als ein Land, in dem die Arbeitslosenentschädigung sehr tief oder zeitlich sehr beschränkt ist. Das Niveau der registrierten Arbeitslosigkeit ist daher international nicht vergleichbar. Die Grafik zeigt deshalb den prozentualen Anstieg der Arbeitslosigkeit gegenüber dem Tag mit dem 50. Fall.

Ergänzend zeigt die zweite Grafik die Entwicklung der Arbeitslosenquote gemäss Definition der International Labour Organization (ILO). Diese Zahlen sind international vergleichbar und beruhen auf international harmonisierten, monatlichen oder quartalsjährlichen Umfragen bei Haushalten. In der Schweiz wird die so berechnete Arbeitslosenquote oft als Erwerbslosenquote bezeichnet und vom Bundesamt für Statistik ermittelt. In diesem Fall fokussiert die Grafik auf den Anstieg der Arbeitslosenquote in Prozentpunkten: Uns interessiert, wie sich die Zahl der Arbeitslosen im Verhältnis zur Zahl der Erwerbspersonen entwickelt hat. Die Schweizer Zahlen, die nur vierteljährlich erscheinen, wurden in der Grafik anhand der SECO-Zahlen bis Ende April fortgeschrieben.

Anstieg der Arbeitslosigkeit liegt ungefähr im Durchschnitt

Gemäss beiden Grafiken verzeichnete die Schweiz bislang einen Anstieg der Arbeitslosigkeit, der ungefähr im Durchschnitt der betrachteten Länder liegt. Seit dem 50. Fall stieg die saisonbereinigte Zahl der registrierten Arbeitslosen gemäss den OECD-Zahlen um ca. 32.5%. Der Anstieg ist damit zwar grösser als in Belgien, Schweden und Deutschland, aber wesentlich geringer als in Grossbritannien und Russland. Betrachtet man die Zahlen gemäss ILO, zeigt sich auch, dass die Schweiz in punkto Arbeitslosigkeit wesentlich glimpflicher davonkam als die USA und Kanada.

Verschiedene Faktoren dürften die Unterschiede im Anstieg der Arbeitslosigkeit zwischen den Ländern erklären. Hierzu zählen erstens die Branchenstruktur eines Landes – Länder mit einem grossen Tourismussektor wie Österreich sind tendenziell stärker betroffen. Eine Rolle spielt auch die Betroffenheit von der Pandemie sowie die von den Behörden ergriffenen Gegenmassnahmen. Dass die Corona-Krise den Arbeitsmarkt empfindlich trifft, selbst wenn die Behörden keine umfassenden Betriebsschliessungen verordneten, zeigt das Beispiel Schwedens. Hier wuchs die registrierte Arbeitslosigkeit seit dem 50. Fall in einem ähnlichen Ausmass wie in der Schweiz. Die Krise hat aufgrund der internationalen Vernetzung der Volkswirtschaften auch dann erhebliche Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt, wenn die Behörden auf einen Lockdown verzichten.

Nutzung der Kurzarbeit in der Schweiz am oberen Ende

Der wichtigste Erklärungsfaktor für die internationalen Unterschiede ist allerdings das Instrument der Kurzarbeit. In Ländern wie Russland, Kanada oder d USA, die kein Kurzarbeitsregime kennen, kam es wegen des Lockdowns und dessen wirtschaftlichen Effekten zu enormen Anstiegen bei der Arbeitslosigkeit. In Ländern wie der Schweiz, Deutschland, Belgien, Italien, Frankreich und Schweden verhinderte die Kurzarbeit viele Entlassungen bis dato weitgehend. So lagen in der Schweiz Anfang Juni für den Monat März für 1,6 Millionen und für den Monat April für 1,9 Millionen Angestellte kantonale Bewilligungen zum Bezug von Kurzarbeitsentschädigung vor. Damit waren auf dem Höhepunkt der Krise mehr als ein Drittel der Schweizer Beschäftigten von Kurzarbeit betroffen, womit die Nutzung dieses Instruments in der Schweiz gemäss Daten der OECD im internationalen Vergleich am oberen Ende liegen dürfte.

Das Beispiel Italien illustriert die Tücken der Messung der Arbeitslosenquote anhand des ILO-Konzepts. Gemäss der Grafik sank die Arbeitslosenquote in Italien deutlich, obwohl das Land von der Pandemie besonders stark getroffen wurde. Der Rückgang der Arbeitslosigkeit ist allerdings messbedingt: Seit Februar erhöhte sich die Zahl der 15- bis 64-jährigen Nichterwerbspersonen –Personen also, die nicht mehr aktiv am Arbeitsmarkt teilnehmen, weil sie keine Suchanstrengungen an den Tag legen – gemäss Daten des nationalen Statistikamtes um gut 3 Prozentpunkte. Dadurch sank die gemessene Arbeitslosenquote gemäss ILO-Konzept sogar – der Zähler der Arbeitslosenquote umfasst nur Personen, die sich auch am Arbeitsmarkt beteiligen. Dieses Phänomen sollte bei der nächsten Veröffentlichung der ILO-Arbeitslosenzahlen auch in der Schweiz berücksichtigt werden. In einer repräsentativen Umfrage unter Stellensuchenden in der Schweiz zeigte sich, dass viele von ihnen mangels passender Stelleninserate während des Lockdowns deutlich weniger aktiv suchten oder ihre Suchanstrengungen gar gänzlich einstellten (Lehmann et al., 2020).

registrierte Arbeitslose
Arbeitslosenquote

Anstellungsrate dürfte noch länger unterdurchschnittlich bleiben

Die obigen Grafiken erlauben eine erste Einschätzung, wie sich die Corona-Krise auf die nationalen Arbeitsmärkte niedergeschlagen hat. Ausgestanden ist die Krise allerdings noch lange nicht. Das gilt auch für den Schweizer Arbeitsmarkt, der sich weiterhin in einer historischen Unterauslastung befindet. Viele Unternehmen können ihren Betrieb hochfahren, indem sie lediglich die Arbeitszeit der bestehenden Belegschaft erhöhen, die sich in Kurzarbeit befindet. Aus Mangel an offenen Stellen werden es viele Arbeitslose schwer haben, eine Stelle zu finden, weshalb die gesamtwirtschaftliche Anstellungsrate aus der Arbeitslosigkeit noch während Monaten unterdurchschnittlich bleiben dürfte.

Darüber hinaus besteht die Gefahr, dass die Rezession der Weltkonjunktur sowie permanente Folgen der Krise für das Konsumverhalten zu Betriebsschliessungen und Massenentlassungen in gewissen Betrieben in der zweiten Jahreshälfte führen. Dadurch werden in den nächsten Monaten voraussichtlich viele Arbeitnehmende ihren Job verlieren, die gegenwärtig noch eine Stelle haben beziehungsweise in Kurzarbeit sind. Entsprechend geht die KOF in ihrer Konjunkturprognose davon aus, dass die Arbeitslosenquote in der Schweiz auch in der zweiten Jahreshälfte weiter ansteigen wird.

Literatur

Michael Siegenthaler (2013): externe SeiteDie «Erwerbslosenquote» ist die eigentliche Arbeitslosenquote, Ökonomenstimme.

Lalive, Rafael, Tobias Lehmann, und Michael Siegenthaler (2020): externe SeiteDie Schweizer Stellensuchenden im Covid19-Lockdown.

Kontakt

Dr. Michael Siegenthaler
Dozent am Departement Management, Technologie und Ökonomie
  • LEE G 301
  • +41 44 633 93 67

KOF Konjunkturforschungsstelle
Leonhardstrasse 21
8092 Zürich
Schweiz

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