Abwanderung auf höchstem Stand seit den Siebzigern – auch jene der Schweizer

Die Nettozuwanderung in die Schweiz war 2018 so tief wie seit zwölf Jahren nicht mehr. Das liegt allerdings nicht an einer tieferen Zuwanderung, sondern an einer vermehrten Abwanderung – auch von Schweizerinnen und Schweizern. Häufig wandern Junge aus, auffällig oft aber auch 64- und 65-Jährige.

Abwanderung

Letztes Jahr ist der Wanderungssaldo der Schweiz – die Zahl der Zuwanderer abzüglich der Zahl der Abwandernden – auf den tiefsten Stand seit 2006 gefallen (siehe Grafik G1). Insgesamt lag die Nettozuwanderung 2018 nur bei knapp 40 000 Personen. Bereits im Vorjahr waren netto lediglich rund 46 000 Personen in die Schweiz gekommen. Zwischen 2007 und 2016 waren hingegen im Schnitt netto über 75 000 Personen pro Jahr zugewandert.

Der Rückgang des Wanderungssaldos ist derweil nicht etwa auf eine tiefere Zuwanderung zurückzuführen. Diese bewegte sich 2018 mit rund 170 000 Zuwanderern weiterhin auf hohem Niveau. Vielmehr stieg in den letzten Jahren die Abwanderung stetig. 2018 wanderten 1.5% der ständigen Wohnbevölkerung der Schweiz aus – mit insgesamt rund 130 000 Personen etwa die Bevölkerung der Stadt Bern.

Ein Viertel der Abwandernden sind Schweizer

Man muss bis in die Mitte der siebziger Jahre zurückgehen, um in der Schweizer Wanderungsstatistik ähnlich hohe Auswanderungszahlen zu finden. Auffällig ist zudem, dass die Abwanderungsbewegung
breit abgestützt ist. Zahlenmässig am bedeutendsten ist die Abwanderung der EU-28-Staatsangehörigen, die gut die Hälfte (53.1%) aller Auswanderer ausmachen. In den letzten Jahren fiel vor allem die zunehmende Abwanderung von Franzosen, Portugiesen und Spaniern ins Gewicht.

Weniger beachtet wird in der Öffentlichkeit aber, dass in den letzten Jahren auch die Abwanderung von Schweizer Staatsangehörigen zugenommen hat. Heute macht die Abwanderung der Schweizerinnen und Schweizer rund ein Viertel der gesamten Abwanderung aus. In den Jahren 2017 und 2018 lag die Abwanderung der Schweizer bei je rund 32 000 Personen – das sind die höchsten Werte seit dem Jahr 1991, in dem die ersten öffentlich verfügbaren Zahlen vorliegen. Gleichzeitig wanderten damit in den beiden Jahren rund 8000 mehr Schweizer aus der Schweiz aus als in die Schweiz zurück.

Veränderung der ausländischen ständigen Wohnbevölkerung

Wichtigste Zielländer der Schweizer Auswanderer waren, in abnehmender Wichtigkeit: Frankreich, Deutschland, die Vereinigten Staaten, das Vereinigte Königreich, Italien und Spanien (siehe Tabelle T1). Dies deutet darauf hin, dass immer mehr Schweizer Staatsangehörige von den Möglichkeiten des freien Personenverkehrs innerhalb der EU Gebrauch machen.

Zudem suggerieren die öffentlich verfügbaren Zahlen, dass die Abwanderung aus der Schweiz wohl drei Hauptmotive hat. Der wichtigste Faktor dürfte die Aufnahme eines Studiums oder der Antritt einer Stelle im Ausland sein. So sind 36% aller Schweizer Auswanderer zwischen 20 und 35 Jahre alt. Zweitens dürfte die Abwanderung der Schweizer zu einem beachtlichen Teil durch Personen geprägt sein, die in früheren Jahren in die Schweiz eingewandert sind und nun – mit einem Schweizer Pass im Gepäck – wieder in ihre Herkunftsländer zurückkehren.

Schliesslich wandern auch erstaunlich viele ältere Schweizerinnen und Schweizer aus, wie in Tabelle 1 ersichtlich wird. 2018 waren fast 30% aller Schweizer Auswanderer zum Zeitpunkt der Auswanderung älter als 50 Jahre. Eine auffällige Häufung von Abwanderungen findet sich dabei im Alter von exakt 64 bzw. 65 Jahren. Das deutet darauf hin, dass einige Schweizerinnen und Schweizer ins Ausland abwandern, um ihren Lebensabend nach der Pensionierung dort zu verbringen. Es dürfte vor diesem Hintergrund denn auch kein Zufall sein, dass sich unter den beliebtesten Auswanderungsdestinationen der Schweizerinnen und Schweizer auch exotische Länder wie Thailand und Brasilien finden. Tatsächlich ist Thailand unter den 50- bis 69-Jährigen sogar die viertbeliebteste Auswanderungsdestination.

Die Zuwanderung dürfte alterungsbedingt wieder steigen

Der Rückgang der Nettozuwanderung hat wichtige Konsequenzen für das Wachstum in der Schweiz. Zwischen 2007 und 2016 war das Wachstum des Bruttoinlandprodukts (BIP) nämlich wesentlich davon geprägt, dass die Bevölkerung durch die Zuwanderung im Schnitt um über 1.1% pro Jahr wuchs. In den letzten beiden Jahren sind die Bevölkerungswachstumsraten aber wegen der gesunkenen Nettozuwanderung deutlich tiefer ausgefallen. Sie betrugen nur noch 0.8% (2017) und 0.7% (2018). Diese Abschwächung ist fast vollständig auf die tiefere Nettozuwanderung zurückzuführen. Falls der Rückgang der Nettozuwanderung permanent ist, hätte dies Auswirkungen auf die Potenzialwachstumsrate des Schweizer BIP, die fast eins zu eins mit der Bevölkerungswachstumsrate schwankt.

Das Bevölkerungsszenario der KOF geht allerdings nicht davon aus, dass es sich um einen permanenten Rückgang handelt. Dies vor allem deshalb, weil der Arbeitskräftebedarf auf dem Schweizer Arbeitsmarkt in naher Zukunft strukturell steigen wird: In den nächsten zehn Jahren verlassen die Babyboomer den Arbeitsmarkt, wodurch die Schweiz eine regelrechte Pensionierungswelle erleben wird. Das führt zu einem Ersatzbedarf an Arbeitskräften, den die Schweizer Firmen zu einem grossen Teil mit Zuwanderern decken dürften. Für Schweizerinnen und Schweizer wird eine Auswanderung damit weniger attraktiv.

Abwanderungs-Zielländer von Schweizern

Weitere Informationen zum Thema finden Sie in den DownloadKOF Analysen vom Herbst 2019.

Kontakt

Dr. Michael Siegenthaler
Dozent am Departement Management, Technologie und Ökonomie
  • LEE G 301
  • +41 44 633 93 67

KOF Konjunkturforschungsstelle
Leonhardstrasse 21
8092 Zürich
Schweiz

Ähnliche Themen

JavaScript wurde auf Ihrem Browser deaktiviert