Globalisierung verschiebt Steuerlast auf Kosten des Mittelstands

Die global zunehmende Mobilität von Unternehmen und Arbeitskräften mit hohem Einkommen erschwert deren effektive Besteuerung. Eine neue Studie zeigt: Regierungen erhöhten als Folge dessen die Einkommenssteuerlast des Mittelstandes. Gleichzeitig sank jene der Spitzenverdiener und Unternehmen.

Ökonomen wissen seit Langem, dass zunehmende Globalisierung zu erheblichen, aber ungleich verteilten Gewinnen führt. Verantwortlich dafür sind heterogene Effekte auf Beschäftigung, Löhne oder Preise. So kann das Verschwinden von Handelsbarrieren in bestimmten Branchen und Arbeitsmärkten zu negativen Beschäftigungseffekten führen.

Theoretisch könnte die globalisierungsinduzierte Ungleichheit durch Innenpolitik gemildert werden. Dies würde jedoch einen Mechanismus erfordern, der die von Globalisierung benachteiligten Personen durch die Umverteilung von Gewinnen entschädigt. Die vielerorts abwehrenden Reaktionen auf die zunehmende Globalisierung lassen jedoch darauf schliessen, dass solche Umverteilungsmechanismen in vielen Fällen nicht vorhanden oder nicht effektiv sind.

Das natürlichste und am häufigsten eingesetzte Instrument für eine solche Umverteilung ist die Einkommenssteuer. Man könnte daher erwarten, dass die steigende Globalisierung mit steigender Einkommensbesteuerung einhergeht, um Personen mit höherem Einkommen einer relativ höheren Steuerbelastung auszusetzen. Eine neue Studie von Peter Egger, Sergey Nigai und Nora Strecker zeigt, dass seit Mitte der 1990er Jahre jedoch ein gegenteiliger Effekt eintrat. Die oberen 5% der Verdiener erlebten eine Senkung ihrer relativen Steuerbelastung, die sich vermehrt auf Arbeiternehmer im mittleren und oberen mittleren Einkommensbereich verlagerte.
 

Unternehmens- und Einkommenssteuern

Mobilität schränkt Wirksamkeit von Steuern ein

Grafik 5 zeigt, wie sich die Steuersätze für Unternehmen und Einkommen zwischen 1980 und 2007 in den 65 grössten Volkswirtschaften entwickelt haben. Die durchschnittlichen Unternehmenssteuersätze (rote Linie) sind im untersuchten Zeitraum konstant gesunken. Dieses Ergebnis veranschaulicht das sogenannte «Race to the Bottom»: Es zeigt auf, wie der Steuerwettbewerb zwischen verschiedenen Standorten dazu führt, dass Unternehmenssteuersätze an allen Standorten sinken. Interessanterweise zeigt die Abbildung G 5 auch, dass die reichsten Lohnverdiener einen ähnlichen Steuerwettbewerb erlebten – auch ihr durchschnittlicher Einkommenssteuersatz ist seit den 1980er Jahren kontinuierlich gesunken. Im Gegensatz dazu ist der Durchschnittssteuersatz für den Arbeitnehmer im Median im gleichen Zeitraum kontinuierlich gestiegen.

Warum erlebten die Personen in der Mitte der Lohnverteilung im Vergleich zu Firmen und Gutverdienern so unterschiedliche Steuereffekte? Die Antwort auf diese Frage könnte in der Globalisierung selbst zu finden sein. Sinkende Handels- und Migrationsbarrieren ermöglichen es Unternehmen und einkommensstarken Arbeitnehmern, sehr mobil zu sein. Diese Mobilität beeinflusst das Ausmass, in dem Regierungen Steuereinnahmen von diesen Akteuren beziehen können, bevor sie aus steuerlichen Gründen wegziehen. Die Wirksamkeit der Besteuerung in einer globalisierten Welt ist daher durch diese Mobilität stark eingeschränkt.

In ähnlicher Weise sind niedrigere Effektivsteuersätze ein wesentlicher Faktor, um ausländische Firmen und hoch qualifizierte Arbeitskräfte anzuziehen. Auf der anderen Seite sind Arbeitnehmer in der Mitte der Lohnverteilung deutlich weniger mobil. Dies kann daran liegen, dass ihre Qualifikationen nur schwer grenzüberschreitend transferiert werden können oder sie nicht über die Mittel verfügen, um aus steuerlichen Gründen umzuziehen. Diese eingeschränkte Mobilität könnte der Grund sein, warum Regierungen weltweit begonnen haben, sich vermehrt auf Arbeitnehmer im Mittelstand zu verlassen, um ihre Steuerbasis zu stabilisieren.

Koordination bei der Besteuerung als mögliche Lösung

Peter Egger, Sergey Nigai und Nora Strecker schätzen, dass durch die wachsende Globalisierung zwischen 1994 und 2007 die obersten 1% der Einkommensempfänger in den Ländern der Organisation für wirtschaftliche Entwicklung und Zusammenarbeit (OECD) im Durchschnitt eine Verringerung ihrer relativen Einkommenssteuerlast um 0.59 bis 1.45 Prozentpunkte erlebten. Auf der anderen Seite hat sich die relative Steuerbelastung des Mittelstands um 0.03 bis 0.05 Prozentpunkte erhöht. Dies deutet darauf hin, dass die globalisierungsinduzierte Änderung der Steuerprogressivität die Nettoungleichheit verstärkt und nicht verringert hat. Dieser Prozess wird wahrscheinlich mit der wachsenden Mobilität von Grossunternehmen und hoch qualifizierten Arbeitnehmern weiter voranschreiten.

Eine 2014 durchgeführte Umfrage des Pew Research Centers ergab, dass rund 60% der Befragten Ungleichheit als eine grosse Herausforderung ansahen und progressive Besteuerung als eine Möglichkeit, dieses wachsende Problem anzugehen. Eine unilaterale Erhöhung der Grenzsteuersätze kann in einer globalisierten Welt jedoch nicht die Lösung sein. Denn solange der Steuerwettbewerb um hoch produktive Arbeitnehmer und Firmen besteht, ist es für Länder unilateral nur schwer möglich, Ungleichheit mit progressiven Steuern zu bekämpfen. Eine mögliche Lösung könnte jedoch eine Harmonisierung und Koordination bei der internationalen Einkommensbesteuerung sein. Obwohl dies bei Kapitalsteuern bereits ein Thema ist, wird wenig über die internationale Koordination von Einkommenssteuern diskutiert. Es wäre also lohnenswert, die Kosten und Nutzen einer solchen multilateralen Koordination zu untersuchen.

Literatur

Egger, P. H., S. Nigai, and N. M. Strecker (2019): The Taxing Deed of Globalization, American Economic Review, 109(2), 353–390.
 

Kontakt

Keine Datenbankinformationen vorhanden

Ähnliche Themen

JavaScript wurde auf Ihrem Browser deaktiviert