Fünf Einsichten über die Löhne in der Schweiz

Obwohl die Schweizer Wirtschaft 2015 und 2016 eine schwierige Phase durchlief, sind die Reallöhne in dieser Zeit vergleichsweise stark gewachsen. In den nächsten beiden Jahren sanken sie dann wieder. Aus dieser Entwicklung lassen sich fünf Einsichten über die Lohnsetzung in der Schweiz gewinnen.

Die Löhne sind in der Schweiz in den letzten zwei Jahren, wenn man die Teuerung abzieht, geschrumpft. Zuvor waren sie drei Jahre recht stark gewachsen. Die folgende Abbildung (siehe G 2) illustriert dieses Auf und Ab. Sie zeigt die Entwicklung der Real- und der Nominallöhne, der Konsumenten-preise – gemessen am Landesindex der Konsumentenpreise (LIK) – und der Arbeitsproduktivität. Insgesamt wuchsen die Reallöhne gemäss Schweizerischem Lohnindex zwischen 2013 und 2018 um gut 3%. In gleichem Ausmass stieg die Arbeitsproduktivität. Das ist kein Zufall: Die Arbeitsproduktivität ist langfristig der mit Abstand wichtigste Treiber des Lohnwachstums.

Lohn-, Preis- und Produktivitätsentwicklung

Die Abbildung zeigt auch, dass die Nominallöhne über die betrachtete Vierjahresperiode hinweg ziemlich gleichmässig wuchsen, während sich die Reallöhne alles andere als konstant entwickelten. In den Jahren 2015 und 2016 wuchsen die Reallöhne vergleichsweise kräftig. Danach sanken sie zwei Jahre in Folge. Dies ist auf den ersten Blick verwunderlich. Denn 2015 und 2016 waren aufgrund des Frankenschocks keine besonders einfachen Jahre für die Schweizer Wirtschaft.

Der wichtigste Grund für das starke Reallohnwachstum in diesen Jahren war, dass die Preise 2015 und 2016 überraschend sanken. Im Jahr 2015 beispielsweise vergünstigten sich die Konsumgüter in der Schweiz um mehr als 1%. Hauptursache der fallenden Preise war die Aufhebung der Wechselkursuntergrenze des Schweizer Frankens gegenüber dem Euro, die zum Frankenschock führte. Durch die Aufwertung wurden Konsumgüter aus dem Ausland in Schweizer Franken deutlich billiger. Dank sinkender Preise konnten sich Ende 2015 und 2016 selbst jene Lohnbezügerinnen und -bezüger mehr Güter und Dienstleistungen kaufen, deren vertraglich festgelegter Lohn der gleiche blieb.

Wenig Raum für Lohnerhöhungen

Der Spiess drehte sich 2017 um. Die Konsumentenpreise begannen wieder zu steigen. Und obwohl sich die Geschäftslage der Schweizer Firmen allmählich verbesserte, war der Raum für Lohnerhöhungen in vielen Betrieben eingeschränkt. Um Kunden zu halten, änderten viele Exporteure die Preise nach dem Frankenschock in Euro nicht, obwohl diese in Franken einbrachen. Dadurch stiegen die Kosten im Verhältnis zu den Erträgen. Wegen der tieferen Margen fehlte das Geld für Investitionen in Maschinen und in die Forschung und Entwicklung. Viele Unternehmen wollten deshalb zunächst die verpassten Investitionen nachholen, bevor sie höhere Löhne gewährten. 2017 und 2018 kamen daher nur wenige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Genuss einer Lohnerhöhung. Und nun belasteten die wieder steigenden Preise das Portemonnaie von Herrn und Frau Schweizer. Die Folge: Die Reallöhne sanken in zwei aufeinanderfolgenden Jahren. Auch für das nächste Jahr bleiben die Aussichten für die Lohnbezüger wenig rosig: Gemäss der Konjunkturprognose vom Winter 2018 werden die Löhne auch 2019 nach Abzug der Teuerung nur wenig steigen.

Diese Betrachtungen zeigen: Die Lohnentwicklung in der Schweiz war in den letzten Jahren wesentlich von der Entwicklung der Konsumentenpreise geprägt. Die folgende Abbildung (siehe G 3) verdeutlicht, dass die Preisrückgänge wiederum von der Wechselkursentwicklung verursacht wurden.

Preisentwicklung

2014 kam das Preisniveau im Durchschnitt wie im Vorjahr zu liegen. Doch Anfang 2015 kamen mit der überraschenden Aufgabe des Mindestkurses die Preise unter Druck. Sowohl die Preise für importierte als auch für inländische Produkte waren 2015 deutlich rückläufig. Dies wurde von der Entwicklung der internationalen Rohwarenpreise noch begünstigt. Der Rohölpreis auf den Weltmärkten halbierte sich 2015 gegenüber dem Vorjahr fast. Im August 2015 fiel die Jahresteuerung mit -1.4% auf den tiefsten Wert in diesem Jahrhundert. Auch das Preisniveau der Inlandgüter fiel innert Jahresfrist deutlich (-0.5%). Grund dafür war die steigende Konkurrenz aus dem Ausland. Sowohl die inländischen privaten Dienstleistungen, die öffentlichen Dienstleistungen als auch die inländischen Waren vergünstigten sich.

Auch das Jahr 2016 war geprägt von der Anpassung der Schweizer Wirtschaft an die Frankenaufwertung. Obwohl die Effekte der Aufwertung auf die Importgüter abzuklingen begannen, führte der verstärkte Wettbewerb aus dem Ausland dazu, dass die gesamte durchschnittliche Inlandteuerung in den negativen Bereich sank. Dies war auch für die Schweiz ein neues Phänomen. Insgesamt blieben die Preise 0.4% unter dem Vorjahr. Anfang 2017 drehte die Teuerung dann wieder ins Positive. Gründe dafür waren unter anderem eine stärkere weltwirtschaftliche Entwicklung und ein seit längerer Zeit stabiler Wechselkurs, welcher in der zweiten Jahreshälfte deutlich nachgab. Zudem begannen sich die Preise für Importgüter allmählich zu erholen und die ansteigende weltwirtschaftliche Dynamik erhöhte auch den Rohölpreis wieder. Die Dynamik der vergangenen Jahre hatte sich somit endgültig umgedreht. Die Teuerung lag im Jahresdurchschnitt zum ersten Mal seit 2010 im positiven Bereich. Diese Entwicklung setzte sich 2018 fort.

Erkenntnisse über die Lohnsetzung in der Schweiz

Die Analyse der Teuerung in den vergangenen Jahren zeigt, dass diese massgeblich von zwei schwer vorhersehbaren Faktoren geprägt war: dem Erdölpreis und der Entwicklung des Schweizer Frankens. Für einige Lohnbezüger stellte der Frankenschock 2015 damit quasi ein verspätetes Weihnachtsgeschenk dar: Ohne ihr Zutun erhöhte sich die Kaufkraft ihrer Löhne deutlich.

Insgesamt lässt sich aus der Entwicklung der Löhne in den letzten Jahren einiges über die Lohnsetzung in der Schweiz lernen. Hier sind fünf Einsichten.

  1. Unerwartete Veränderungen der Konsumentenpreise bestimmen die Entwicklung der Kaufkraft der Löhne. In der Schweiz – wie auch in anderen Ländern – wird über die Nominallöhne und nicht über die Reallöhne verhandelt. Zwar fliesst die Teuerung in die Lohnverhandlungen ein, weil die Gewerkschaften oder die Arbeitnehmer einen Teuerungsausgleich fordern. Kommt es aber zu überraschenden Preisveränderungen wie 2015 nach dem Frankenschock, dann weicht die Entwicklung der Reallöhne unter Umständen stark von der Entwicklung der Nominallöhne ab. Das Risiko von Veränderungen in den Konsumentenpreisen tragen also die Lohnbezüger.
  2. Die Löhne werden an die vergangene und nicht an die künftige Teuerung angepasst. In den Lohnverhandlungen in der Schweiz werden die Löhne hauptsächlich an die vergangene Teuerung angepasst, obwohl es eigentlich sinnvoller wäre, die Löhne vor allem an erwartete Konsumentenpreissteigerungen zu knüpfen.
  3. Die Löhne reagieren nur schwach und verzögert auf konjunkturelle Schwankungen. Die Konjunkturentwicklung beeinflusst das Lohnwachstum in der Schweiz, allerdings in einem bescheidenen Ausmass. Das Bruttoinlandprodukt (BIP) schwankt deutlich stärker als die Nominallöhne, die in den letzten Jahren trotz konjunktureller Schwankungen recht konstant wuchsen. Ein Grund für diese Verzögerung ist, dass in der Schweiz die Löhne in bestehenden Arbeitsverhältnissen üblicherweise im Herbst und nur einmal pro Jahr verhandelt werden. Kommt es danach zu einem unerwarteten Konjunktureinbruch – wie etwa im Januar 2015 wegen des Frankenschocks –, dann spiegelt sich das erst im darauffolgenden Lohnherbst in den Lohnabschlüssen wider. Eine wichtige Ausnahme von dieser Regel sind die Löhne von neuen Angestellten: Diese reagieren schneller und stärker auf Konjunkturschwankungen.
  4. Die Nominallöhne in der Schweiz werden selbst in schwierigen Phasen kaum gesenkt. Die Unternehmen in der Schweiz sind sehr zurückhaltend, die vertraglich vereinbarten Löhne ihrer Mitarbeiter zu senken. Das galt selbst nach dem Frankenschock, obwohl dieser die Wettbewerbsfähigkeit vieler Unternehmen stark belastete. Das wirft die Frage auf, was die Firmen davon abhält, die Löhne ihrer Mitarbeiter zu senken. Ein wichtiger Grund dürfte sein, dass sich Lohnsenkungen negativ auf die Moral der Angestellten auswirken und zudem dazu führen könnten, dass die besten Mitarbeiter die Firmen verlassen.
  5. Langfristig wachsen die Reallöhne im Ausmass der Arbeitsproduktivität. Langfristig steigen die Löhne in der Schweiz eins zu eins mit der Arbeitsproduktivität. Würden die Löhne über längere Zeit stärker steigen als die Arbeitsproduktivität, würden sich die Lohnbezüger einen ständig grösseren Teil des gesamtwirtschaftlichen Kuchens sichern können. In der Schweiz ist dieser Anteil allerdings seit Jahrzehnten erstaunlich konstant. In der kurzen Frist können die gesamtwirtschaftliche Produktivitäts- und die Lohnentwicklung aber durchaus voneinander abweichen, wie der Frankenschock gezeigt hat, als die Lohnbezüger vor allem 2015 und 2016 quasi über ihren Verhältnissen lebten.

Dieser Text ist als Gastbeitrag im externe Seite«Lohnbuch Schweiz 2019» des Amtes für Wirtschaft und Arbeit des Kantons Zürich erschienen. Eine ausführliche Version finden Sie auf der externe Seite«Ökonomenstimme».

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