Verschuldung im Euroraum (2/3): Der Finanzsektor

Der zweite von drei Beiträgen zur Verschuldung im Euroraum beschäftigt sich mit dem Finanzsektor. Während der Krisenjahre standen viele Finanzunternehmen unter anderem aufgrund ihrer Abhängigkeit von öffentlichen Stützungsmassnahmen in der Kritik. Seither hat sich im institutionellen Regelwerk der Währungsunion einiges verändert und systemische Risiken sind vielerorts, aber nicht überall, reduziert worden.

Euro

Bei öffentlichen Haushalten ist die Ermittlung des Eigenkapitals als Bestandsgrösse schwierig, weshalb häufig die Wirtschaftsleistung als Massstab für eine angemessene Verschuldung herangezogen wird (siehe dazu den ersten Beitrag zur Verschuldung der öffentlichen Haushalte im Februar-Bulletin). Bei privaten Unternehmen und insbesondere Banken hingegen ist das Verhältnis zwischen Fremdkapital und Eigenkapital, der sogenannte Verschuldungsgrad, die ausschlaggebende Grösse für die Schuldentragfähigkeit und damit den Gläubigerschutz.

Implizite Fehlanreize wie die «too-big-to-fail»-Problematik sorgten lange Zeit für eine gesellschaftlich ineffizient hohe Risikoaufnahme bei vielen europäischen Banken. Während der Finanzkrise äusserte sich das in einer unzureichenden Eigenkapitalunterlegung, was staatliche Stützungsmassnahmen bei systemisch relevanten Instituten notwendig machte. In der Folge wurde 2014 die Europäische Bankenunion geschaffen, die für ein widerstandsfähigeres und harmonisiertes Finanzsystem sorgen soll. Grundlage ist ein einheitliches Regelwerk, das für alle Finanzinstitute in der Europäischen Union verbindlich ist. Es beinhaltet insbesondere Regelungen über die Eigenkapital- und Liquiditätsanforderungen, die Abwicklung von ausfallenden Banken und die Einlagensicherung.

Der erste Stützpfeiler der Bankenunion ist der bei der Europäischen Zentralbank (EZB) angegliederte Bankenaufsichtsmechanismus («Single Supervisory Mechanism»). Er überwacht  rund 120 signifikante[1] Institute und damit 82% des Bankvermögens im Euroraum und den teilnehmenden EU-Mitgliedstaaten, die nicht dem Euroraum angehören. Nicht als signifikant eingestufte Banken unterliegen weiterhin nationalen Aufsichtsbehörden. Diese werden von der 2011 gegründeten Europäische Bankenaufsichtsbehörde (EBA) unterstützt, die Aufsichtsstandards basierend auf den Basel-III-Vorschriften entwickelt und den Austausch unter den nationalen Aufsichten fördert sowie Stresstests durchführt.

Der zweite Stützpfeiler der Bankenunion ist der einheitliche Abwicklungsmechanismus («Single Resolution Mechanism»), der die Regeln für eine geordnete Abwicklung oder Sanierung illiquider Banken vereinheitlicht und einen Abwicklungsfonds bereitstellt. Während die Abwicklung signifikanter Institute durch die EZB erfolgt, unterliegen die anderen Banken den nationalen Behörden. Dadurch sollten Verluste zulasten der Gläubiger gehen und ein Bailout durch den Staat nicht mehr erlaubt sein. Bei der Abwicklung der spanischen «Banco Popular» hat die Abwicklung funktioniert, in Italien wurden jedoch vergangenes Jahr noch staatliche Mittel eingesetzt, um in Schieflage geratene Banken zu retten. Als dritter Pfeiler wird die Einführung eines europäischen Einlagenversicherungssystems diskutiert.

Kernkapital

Durch den graduellen Entschuldungsprozess seit der Finanzkrise werden die regulatorischen Vorschriften mittlerweile erfüllt, wobei es allerdings noch grosse Unterschiede zwischen den Ländern gibt. Hierbei ist insbesondere die Kernkapitalquote von Interesse, die den Anteil der risikotragenden Positionen einer Bank, der durch Eigenkapital gedeckt ist, angibt. Im Durchschnitt des Euroraums kletterte das Kernkapital in Relation zu den risikogewichteten Aktiva von 8% im Jahr 2007 auf zuletzt über 14% (siehe Grafik G 2).

Während Deutschland von den grossen Ländern die höchste Eigenkapitaldeckung aufweist, ging sie in Italien zuletzt wieder zurück. Auch im Verhältnis zu den ungewichteten Aktiva stieg das Kernkapital der Banken im Euroraum um etwa einen Prozentpunkt auf etwa 6.5%. Zum einen ist dies auf den Abbau riskanter Anlagen zurückzuführen, zum anderen wurde zusätzliches Eigenkapital durch das Einbehalten von Gewinnen und Kapitalerhöhungen aufgebaut. Diese Bereinigung der Bankbilanzen hat jedoch die Kreditvergabe gedämpft und dürfte eine Rolle bei der langsamen konjunkturellen Erholung im Euroraum gespielt haben.

Ausfallgefährdete Kredite

Risiken in Italiens Finanzsektor

Ein weiterer Indikator für die Schuldentragfähigkeit im Finanzsektor, jedoch auf der Aktivseite der Bilanz, ist der Anteil an ausfallgefährdeten[1] Krediten an allen ausstehenden Krediten. Dieser Anteil ist seit dem Höhepunkt im Jahr 2014 zwar wieder leicht zurückgegangen, liegt aber in einigen Ländern weiterhin sehr hoch (siehe Grafik G 3). In Italien hat er sich zwischen 2008 und 2016 nahezu verdreifacht und lag zuletzt bei knapp 17%. Aufgrund der Grösse des italienischen Finanzsektors liegt mittlerweile rund ein Drittel der notleidenden Kredite des Euroraums in Italien.

Die Probleme des italienischen Bankensektors zeigen sich auch bei der Betrachtung der Aktivseite der Bilanzen. Der Anteil inländischer Staatsanleihen an den italienischen Bankbilanzen ist mit 11% doppelt so hoch wie im Durchschnitt des Euroraums. Mit den Krediten an den Staat, die einen Anteil von 7% an den Bilanzen ausmachen, verhält es sich ähnlich (siehe Grafik G 4). Wenn im Falle einer Krise der Staat in Finanzierungsschwierigkeiten gerät, wirkt sich dies direkt auf die Zahlungsfähigkeit der heimischen Banken aus, was in Kombination mit einem hohen Anteil notleidender Kredite und im europäischen Vergleich geringen Kernkapitalquote der italienischen Banken zu Insolvenzen führen kann.

Interessenkonflikt bei den Aufsichtsbehörden?

Die Bankenunion soll auch dazu beitragen, die Verflechtungen zwischen Staaten und den heimischen Banken zu reduzieren, um die mit ihnen einhergehenden gegenseitigen Ansteckungen zukünftig zu vermeiden. Allerdings besteht die Gefahr, dass die Ansiedlung der europäischen Bankenaufsicht unter dem Dach der EZB zu Interessenkonflikten mit deren geldpolitischen Zielen führt.

Klumpenrisiken

 

[1] Als signifikant gelten Banken mit einer Bilanzsumme von mehr als 30 Mrd. Euro, einer Bilanzsumme von mehr als 20% vom BIP des teilnehmenden Staats und mindestens 5 Mrd. Euro oder die drei grössten Banken in jedem teilnehmenden Staat.

[2] Ein Kredit gilt als ausfallgefährdet oder notleidend, wenn der Schuldner für mindestens 90 Tage seinen Zahlungsverpflichtungen nicht nachgekommen ist.

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