Das Arbeitgeberdilemma: Lohnt sich eine Beteiligung an Berufsbildungsreformen?

Da eine Diskrepanz zwischen vorhandenen und nachgefragten Qualifikationen besteht und die Jugendarbeitslosigkeit hoch ist, reformieren viele Länder ihre Berufsbildungssysteme, um sie auf die Kompetenzanforderungen zuzuschneiden. Die Beteiligung von Arbeitgebern ist eine klassische Komponente solider Berufsbildungsprogramme. Aber wie genau sollte sie während der Reformvorhaben aussehen?

Die meisten Reformen werden in Systemen durchgeführt, in denen Fähigkeiten im Bildungssystem entwickelt und dann von Arbeitgebern eingesetzt werden. Berufsbildungsreformen mit dem Ziel der Verbesserung der Arbeitsmarktergebnisse nehmen gewöhnlich zwei unterschiedliche Formen an (siehe G 2). Im Modell 1 beteiligen sich Arbeitgeber an der Entwicklung der Lehrpläne. In Modell 2 nehmen Arbeitgeber an allen Phasen der Berufsbildung teil: Lehrplangestaltung, Betreuung von Auszubildenden und Initiierung der Lehrplanaktualisierung. Das 2. Modell macht Arbeitgeber nicht nur zu Verbrauchern von Kompetenzen, sondern auch zu deren Produzenten.

Modelle von Berufsbildungsreformen

Die Autorinnen einer neuen Studie über Arbeitgeberbeteiligung, Katherine Caves und Ursula Renold, argumentieren, Modell 1 erzeuge ein Gefangenendilemma, welches Beteiligung verhindert, auch wenn es als Option mit dem geringeren Engagement erscheint. Investiert eine Firma Zeit und Know-how in Berufsbildungslehrpläne und entscheidet ihr Konkurrent dies nicht zu tun, verliert die investierende Firma einige besser ausgebildete Absolventen an ihren Wettbewerber, der von deren Kompetenzen profitiert, ohne zu investieren. Firmen steigen daraufhin aus den Programmen aus oder reduzieren ihre Investitionen. Darunter leidet die Qualität der Programme und die Reform misslingt (siehe G 3).

Modell 2 vermeidet dieses Dilemma (siehe G 4). Auszubildende leisten produktive Arbeit und einige von ihnen bleiben nach der Berufsausbildung in der Firma. Diese Erträge sind höher als die Kosten für die Ausbildung oder gleichen diese aus. Firmen, die an Reformen gemäss Modell 2 teilnehmen, profitieren immer von ihrer Teilnahme, unabhängig vom Verhalten der Konkurrenzfirmen.

Gefangenendilemma

In ihrer Untersuchung der Fortschritte bei Engagement und Implementierung ziehen Caves und Renold Fallstudien aus acht laufenden Reformen heran, die im Juli 2015 begonnen wurden. Fälle A, B, C und D sind US-amerikanische Grossstädte oder Bundesstaaten. IA und IB sind internationale Reformen und NA und NB sind nicht standardisierte, regierungsunabhängige Reformen. Alle Projekte waren Teil des Summer Institutes 2015 des CEMETS. Die teilnehmenden Experten untersuchten die Berufsbildungsreformen, überarbeiteten ihre Reformvorhaben und beteiligten sich an einer Datenerhebung. Die Autorinnen bewerteten die Arbeitgeberbeteiligung der Fallbeispiele in einem qualitativen Raster (siehe KOF Working Paper). Nachdem sie die Reformvorhaben zwei Jahre lang begleitet haben, stuften Caves und Renold die Fortschritte qualitativ ein als Stagnation (1), schrittweise Verbesserung (2) oder radikale Fortschritte (3).

Stärkeres Engagement, grössere Fortschritte bei der Implementierung

Der Vergleich der Reformfortschritte zeigt, dass Projekte mit stärkerer Arbeitgeberbeteiligung grössere Fortschritte erzielen (siehe G 5). C schliesst Arbeitgeber aus und die Reformfortschritte stagnieren. NB, NA und IA beteiligen Arbeitgeber teilweise und machen einige Fortschritte. B, D und A weisen eine starke Beteiligung auf und machen radikale Fortschritte. IB ist die Ausnahme mit geringer Beteiligung und radikalen Fortschritten – dieses Projekt wurde von einer stark hierarchischen Regierung durchgeführt.

Arbeitgeberbeteiligung und Fortschritt

Reformübergreifend können die Autorinnen aufzeigen, dass Projekte mit Arbeitgeberintegration grössere Fortschritte bei der Implementierung beruflicher Bildung machen. Aber Arbeitgeberbeteiligung ist nicht immer eine notwendige Voraussetzung: Top-down-Reformen können unabhängig von einer Beteiligung Fortschritte erzielen, auch wenn sie Fragen aufwerfen über allfällige Qualität und Ergebnisse. Dies ist eine qualitative Studie, theoriebildend statt kausal. Sie ist begrenzt, denn Arbeitgeberbeteiligung ist nicht der einzige Faktor, und die Studie widmet sich bezüglich der Ergebnisse nicht der Qualität der Reformen – keines der Reformvorhaben ist über den Status eines Pilotprojekts vorangeschritten. Die zugrundeliegende Stichprobe ist tiefgehend, aber sehr klein, und unsere Variablen wurden notwendigerweise qualitativ bewertet. Caves und Renold verfolgen weiterhin alle Projekte und nehmen jedes Jahr neue Fallbeispiele hinzu.

Arbeitgeber können von Kompetenzverbrauchern zu Kompetenzkoproduzenten und -koverbrauchern werden. Sie aufzufordern, mehr Verantwortung zu übernehmen, scheint eine der Intuition widersprechende Strategie für die Durchführbarkeit von Reformen. Tatsächlich aber löst dies das Gefangenendilemma von Reformen mit geringerer Beteiligung. Können Arbeitgeber ihre Investitionen durch produktive Leistungen und eine vermeintlich künftige Anstellung der Auszubildenden zurückgewinnen, lohnt sich eine Teilnahme, unabhängig von der Entscheidung anderer Arbeitgeber. Arbeitgeber zu bitten, sich stärker an der Implementierung neuer und besserer Berufsbildungssysteme zu beteiligen, birgt für bildungsorientierte Reformer Gefahren, scheint aber der sicherste Weg für das Gelingen ihrer Reformvorhaben zu sein.

KOF Working Paper Nr. 423 “The Employer’s Dilemma. Employer engagement and progress in vocational education and training reforms” von Katherine Caves und Ursula Renold.

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