Neue Warenkorbgewichtung: Wie die Corona-Krise die Inflationsmessung verändert

Die Covid-19-Pandemie hat das Konsumverhalten schlagartig verändert. Dem trägt die Neugewichtung des Warenkorbs zur Messung der Inflation fortan Rechnung. Die Aktualisierung der Warenkorbgewichte erfolgt in diesem Jahr aber auf leicht andere Art und Weise als üblich.

Inflation
Die Menschen haben während der Corona-Krise mehr Geld im Supermarkt ausgegeben.

Der Landesindex der Konsumentenpreise (LIK) gilt als einer der wichtigsten Wirtschaftsindikatoren, da er in vielfältiger Weise verwendet wird, zum Beispiel bei der Anpassung von Löhnen, Renten und Mieten an die Teuerung («Indexierung»), bei der Preisbereinigung statistischer Daten («Deflationierung») oder als Grundlage für wirtschaftspolitische Entscheidungen, insbesondere für die Geldpolitik der Schweizerischen Nationalbank.

Dem Wesen nach ist der LIK ein Instrument zur Messung der Inflation. Er misst die durchschnittliche Veränderung des Preisniveaus der von Schweizer Haushalten konsumierten Waren und Dienstleistungen. Zu diesem Zweck besteht er aus drei Elementen:

Erstens, dem Warenkorb. Der Warenkorb strukturiert die Preiserhebung, indem er alle Waren und Dienstleistungen enthält, die repräsentativ für die Konsumausgaben der privaten Haushalte in der Schweiz sind. Zu diesen Waren und Dienstleistungen zählen beispielsweise Nahrungsmittel, Bekleidung, oder Ausgaben für Kommunikation und Verkehr.

Zweitens, den Preisen selbst. Jeden Monat werden in ausgewählten Geschäften in der ganzen Schweiz die Preise von über 50 000 Waren und Dienstleistungen erhoben. Nicht alle diese Preise sind für die Konsumausgaben der Haushalte aber gleich wichtig. Ein Haushalt gibt im Durchschnitt einen wesentlich grösseren Teil seines Budgets für Wohnen (rund 21%) als für den Kauf von Kleidern und Schuhe (rund 3%) aus.

Aus diesem Grund besteht der LIK  drittens  aus Gewichten, die die relative Bedeutung der erfassten Preisbewegungen berücksichtigen und die jeweiligen Positionen im Warenkorb entsprechend gewichten.

Grundlage für die Warenkorbgewichtung ist die Haushaltsbudgeterhebung (HABE), die jährlich vom Bundesamt für Statistik (BFS) durchgeführt wird und aus einer Zufallsstichprobe gezogene private Haushalte nach ihren Konsumausgaben befragt. Mit den Befragungsresultaten wird die Gewichtung des Warenkorbes jährlich aktualisiert. Genauer werden für die Berechnung der Warenkorbgewichte eines Jahres (t) die Resultate der HABE aus den beiden vorangegangenen Jahren (t-2 und t-1) verwendet.

Die Corona-Krise offenbart eine Schwachstelle in der bisherigen Warenkorbgewichtung

Es gibt gute Gründe dafür, die Warenkorbgewichtung auf diese Weise mit Vergangenheitsdaten zu berechnen und die Gewichte über den Zeitraum eines Jahres konstant zu halten. Die Methode ist einfach, transparent und auch international gängig. Wenn umgekehrt die Warenkorbgewichte analog zu den Preisen monatlich aktualisiert würden, erfasste der LIK nicht mehr nur Veränderungen im Preisniveau, sondern auch Veränderungen in den Konsumausgaben. Der Preisindex verkäme zur Umsatzstatistik.

Während sich diese Praxis in normalen Zeiten also durchaus bewährt hat, hat die COVID-19-Pandemie eine wesentliche Schwachstelle offenbart. Die Pandemie hat das Konsumverhalten der Konsumentinnen und Konsumenten grundlegend verändert. Wie sehr sich das Kaufverhalten in der Krise verändert hat, zeigt sich eindrücklich in Kartenzahlungsdaten. Diese spiegeln deutlich die Massnahmen wider, die der Bundesrat zur Eindämmung der Pandemie im Frühjahr 2020 ergriffen hat. Während des fast zweimonatigen Lockdowns von Mitte März bis Mitte Mai war ein Grossteil des privaten Konsums stark eingeschränkt. Ausgaben für Unterhaltung, Beherbergungen und auswärtige Verpflegungen waren quasi inexistent. Umgekehrt haben Ausgaben für Lebensmittel erheblich zugenommen.
 

Derartig abrupte Veränderungen sorgten dafür, dass die Warenkorbgewichtung nicht mehr repräsentativ dafür war, was während des Lockdowns konsumiert wurde beziehungsweise überhaupt noch konsumiert werden konnte. Damit kann sich die Teuerung der tatsächlich konsumierten Güter von der offiziell ausgewiesenen Teuerung unterscheiden.

Mit der Neugewichtung des Warenkorbs im Jahr 2021 trägt das BFS diesen Veränderungen Rechnung. Da sich mit den normalerweise verwendeten HABE-Resultaten -- die Resultate aus dem Jahr 2019 -- die Konsumstruktur seit der Corona-Krise nicht sinnvoll schätzen lässt, hat das BFS für die Neugewichtung die HABE-Resultate aus den Monaten Dezember 2019 bis November 2020 verwendet. Indem es aktuellere Daten vom letzten Jahr verwendet, weicht das BFS vom sonst üblichen Prozess zur Aktualisierung der Warenkorbgewichte ab. Zum heutigen Zeitpunkt ist nicht bekannt, ob es sich bei diesem Vorgehen um eine einmalige oder permanente Anpassung der Methode zur Berechnung der Warenkorbgewichte handelt.
 

Warenkorbgewichte

Dadurch, dass die Gewichte neu das durch die Pandemie veränderte Konsumverhalten widerspiegeln, ergeben sich ungewohnt grosse Verschiebungen in den Warenkorbanteilen. Das Gewicht der Hauptgruppe «Nahrungsmittel und nichtalkoholische Getränke» erhöht sich um 13.2 Prozent am stärksten und macht neu 11.9% des Warenkorbs aus. Aber auch die Bedeutung der Hauptgruppen «Gesundheitspflege» (Anstieg um 12.1 Prozent auf 17.6%), «Alkoholische Getränke und Tabak» (Anstieg um 9.3 Prozent auf 3.0%) und «Wohnen und Energie» (Anstieg um 8.8 Prozent auf 27.2%) nimmt markant zu.

Auf der anderen Seite des Spektrums sinkt das Gewicht der Hauptgruppe «Unterricht» mit 43.9 Prozent am stärksten. Mit einem Warenkorbanteil von 0.6% ist ihr Einfluss auf den Gesamtwarenkorb hingegen verschwindend klein. Gewichtiger sind die Veränderungen in den Hauptgruppen «Restaurants und Hotels» (Reduktion um 27.5 Prozent auf 6.9%), «Bekleidung und Schuhe» (Reduktion um 18.9 Prozent auf 2.8%) und «Freizeit und Kultur» (Reduktion um 10.7 Prozent auf 7.5%).

Dienstleistungen aus der Reisebranche und Tourismusindustrie erfahren prozentual die grössten Gewichtsreduktionen. Die Gewichte von «Pauschalreisen ins Ausland/Inland», «Luftverkehr» und «Hotellerie» machen neu nur noch einen Drittel bis halb so viel wie vor einem Jahr aus. Umgekehrt werden im Jahr 2021 die Preise von «Dienstleistungen für Wohnungsreinigung» (+41%), «Personalcomputer und Zubehör» (+36%) oder «Sanitätsmaterial» (+35%) viel stärker gewichtet.
 

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