Wie sich Geldpolitik durch Sprachanalyse entschlüsseln lässt

Zentralbanken prägen die globalen Finanzmärkte durch ihre sorgfältig gestalteten Reden. Wortlaute lösen oft sofortige Marktreaktionen aus und bieten ein zeitnäheres Signal als viele regel­mässig aktualisierte Wirtschaftskennzahlen. In ihren Analysen nutzt die KOF natürliche Sprach­verarbeitung, um Indikatoren aus Zentralbank-Protokollen zu entschlüsseln, die es ermöglichen, Marktbewegungen zeitnah nachzubilden und vorherzusagen.

Die Protokolle der Sitzungen des Zentralbankausschusses (Federal Open Market Committee, FOMC) sind ein wichtiges Instrument, um der Öffentlichkeit und den Marktteilnehmern die Diskussionen und Entscheidungen des Ausschusses in Bezug auf die Wirtschaftspolitik und die wirtschaftlichen Bedingungen zu vermitteln. Die verwendete Sprache ist klar, enthält aber auch subtil eingebettete, nuancierte Ausdrücke und Hinweise auf künftige wirtschaftspolitische Massnahmen und Aktionen, so dass die Analyse und Interpretation dieser Dokumente für das Verständnis künftiger wirtschaftlicher und politischer Richtungen entscheidend sind.

Während man die Ausdrucksweise manuell interpretieren und daraus Erkenntnisse ableiten kann, ermöglicht es die Verwendung von Computermethoden, systematisch und reproduzierbar spezifische Indikatoren aus dem Text zu extrahieren und die nuancierte Sprache in quantifizierbare Daten für Wirtschaftsprognosen zu verwandeln.

In diesem Zusammenhang verwendet die KOF einfache Methoden der natürlichen Sprachverarbeitung (Natural Language Processing, NLP) und nutzt einen wörterbuchbasierten Ansatz, der es ermöglicht, den Text rechnerisch zu analysieren und spezifische Indikatoren zu formulieren. Dieser relativ einfache, aber effektive Ansatz hilft dabei, relevante Informationen aus den FOMC-Protokollen zu extrahieren und die Textdaten in quantifizierbare Indikatoren umzuwandeln, die für die Wirtschaftsprognose genutzt werden können.

Analyse von Wirtschaftsindikatoren

Die Methode zielt darauf ab, wirtschaftliche Schlüsselbegriffe (siehe Grafik G 2 – dargestellte Grösse des Schlüsselbegriffs ist relativ zu Häufigkeit) im Text zu identifizieren und die umgebenden Wörter hinsichtlich ihrer positiven oder negativen Konnotation zu überprüfen. Als Grundlage für die Bewertung dient das Loughran-Wörterbuch, das speziell für finanzielle Inhalte entwickelt wurde. Dadurch wird sichergestellt, dass die identifizierten Stimmungen im Kontext wirtschaftlicher und finanzieller Diskussionen stehen.

In der Praxis bedeutet dies, dass diese Methode die häufigsten Begriffe wie «Inflation» oder «Arbeitslosigkeit» im Text erkennt. Anschliessend überprüft dieser Ansatz die 20 Wörter, die dem jeweiligen Schlüsselbegriff am nächsten stehen, auf ihre Stimmung – positiv oder negativ – im Wörterbuch. Schliesslich wird für jeden Begriff und jedes Veröffentlichungsdatum ein Durchschnitt erstellt. Das Ergebnis ist eine Zeitreihendarstellung der Stimmungen zu verschiedenen wirtschaftlichen Aspekten.

Ein Blick auf die allgemeine Nettostimmung (siehe Grafik G 4), die aus der Methode abgeleitet wurde, zeigt mögliche Zusammenhänge mit wirtschaftlichen Ereignissen und Krisen. Es fällt auf, dass die durchschnittliche allgemeine Stimmung (dargestellt durch die graue Linie) während der meisten Wirtschaftskrisen (in hellrot gekennzeichnet) tendenziell negativ ist.

Darstellung einzelner Indizes

Während Wort-Zeitreihen wertvolle Einblicke in die wirtschaftliche Stimmung geben können, können sie aufgrund ihrer sporadischen Natur und seltenen Vorkommen Schwankungen unterliegen. Deshalb kombiniert die vorgestellte Methode mehrere Wort-Zeitreihen miteinander, um ein Aggregat aus Wörtern zu schaffen, das eine klarere und stabilere Abbildung der zugrunde liegenden wirtschaftlichen Variablen bietet. Durch den Einsatz von Methoden des maschinellen Lernens werden die Wort-Zeitreihen automatisch selektiert und in einem Index zusammengefasst.

Grafik 3 gibt einen visuellen Überblick über die erstellten Indizes. Jede Untergrafik visualisiert eine spezifische Wirtschaftsvariable, repräsentiert durch zwei standardisierte Linien: Die grüne Linie stellt den Index dar, der durch die Harmonisierung der Stimmungen ausgewählter Schlüsselwörter (im Untertitel aufgeführt) erzeugt wurde, während die rote Linie die tatsächlichen Beobachtungsdaten darstellt.

Ein Beispiel hierfür ist der «Inflation»-Index (CPI Durables), der aus den Wortbedeutungen «future», «direct», «value», «committee seek» und «open market committee» zusammengesetzt ist. Bei Betrachtung der Grafik wird ersichtlich, dass die grüne Linie, die unseren konstruierten Index repräsentiert, den tatsächlichen Arbeitslosenzahlen (rote Linie) bemerkenswert nahekommt. Ein ähnliches Muster ist bei der «Arbeitsstunden»-Grafik zu beobachten, bei dem der Index aus Begriffen wie «employment», «indicate», «nonfarm» und «job» synthetisiert wird.

Nicht alle Wörter, die zur Erstellung der Indizes verwendet werden, haben direkten Bezug zu der wirtschaftlichen Variable, die nachgestellt werden soll, per se. Begriffe wie «committee», «future» und «run objective» werden oft in den Protokollen erwähnt und fangen daher eine allgemeine Stimmung ein. Der Algorithmus selektiert dann diese Wörter und mischt diese den zielgerichteten Wörtern bei – das Ergebnis ist dadurch weniger von Ausreissern geprägt.

Der Weg in die Zukunft: Echtzeit-Daten aus Text

Die Analyse der FOMC-Protokolle ermöglicht es uns, Indizes zu erstellen, die den Trend echter Kennzahlen nachzeichnen können. Es ist zu beachten, dass viele ökonomische Variablen mit einer Verzögerung von mehreren Monaten aktualisiert werden. In Situationen, in denen zeitnahe Informationen wertvoll sind, wie zum Beispiel in Krisenzeiten, bieten die aus Textdaten gewonnenen Indizes eine zusätzliche Perspektive. Es bleibt abzuwarten, inwieweit diese Methode konkrete Vorteile für die Wirtschaftsprognose bietet. Die KOF verfolgt diese Forschung weiterhin, um das Potenzial und die Grenzen der Nutzung von Textdaten für Wirtschaftsprognosen besser zu verstehen.

Ansprechpartner

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