Ölbohrung

Szenario Ölpreisschock – so würden Schweizer Managerinnen und Manager reagieren

Was würde ein sprunghafter Anstieg des Erdölpreises für Schweizer Firmen bedeuten? Über welche Wege überträgt sich ein solcher Schock konkret auf ihre Wirtschaftsaktivitäten? Und welche Branchen wären besonders betroffen? Eine Befragung der KOF zeigt: Die Unsicherheit und die höheren Kosten wiegen am schwersten. Sie führen gemäss den befragten Managern und Managerinnen zu Umsatzverlusten und Preisanstiegen.

Es kam genau so, wie es viele Beobachter befürchtet hatten: Als Russland am 24. Februar 2022 die Ukraine angriff, explodierte der Ölpreis. Die Kosten für ein Fass Rohöl der Sorte Brent stiegen innert weniger Tage von rund 93 Dollar auf über 130 Dollar – ein Plus von 40%. Schnell machte das Wort «Ölpreisschock» die Runde und Befürchtungen wurden laut, der rasante Preisanstieg werde die Inflation in den westlichen Ländern noch weiter anheizen und die Weltwirtschaft abkühlen.

Politiker und Politikerinnen sowie Ökonomen und Ökonominnen sahen sich an den ersten und gleichzeitig den schlimmsten Ölpreisschock der Geschichte erinnert. Als die arabischen Ölstaaten 1973 ihre Förderung drosselten und ein Embargo gegen westliche Staaten verhängten, die Israel im Yom-Kippur-Krieg unterstützten, vervierfachte sich der Ölpreis innert weniger Wochen. Die Industriestaaten schlitterten in eine tiefe Rezession mit hoher Inflation. Besonders stark getroffen wurde damals die Schweiz. Das Bruttoinlandprodukt schrumpfte um rund 7%, die Inflation stieg im Jahresmittel auf beinahe 10%.

Welche Folgen hätte ein Ölpreisschock für Schweizer Unternehmen?

Seit dieser ersten Ölpreiskrise vor fünfzig Jahren geht die Ökonomie der Frage nach, wie sich abrupte Anstiege von Energiepreisen auf die Volkswirtschaften auswirken. Sie gelten als geradezu klassische Beispiele für exogene Schocks, also für unvorhergesehene, massive Änderungen des Angebots oder der Nachfrage, die Marktteilnehmer nicht beeinflussen können. Die KOF legt nun in einem kürzlich veröffentlichten Working Paper mit dem Titel externe Seite„What Do Firm Managers Tell Us About the Transmission Channels of Oil Price Shocks?“ den Fokus auf die Ebene der Unternehmen. Das heisst: Die Studienautoren befragten CEOs und CFOs von 1000 Firmen, die repräsentativ für die Schweizer Wirtschaft sind. Ein Ziel war, herauszufinden, welche Folgen die Manager und Managerinnen durch einen Ölpreisschock erwarten: Wie stark würde sich der Preisanstieg auf die Kosten, die Preise und den Umsatz ihres Unternehmens auswirken? Das Schock-Szenario, das dabei vorgegeben wurde: Der Ölpreis steigt, bei ansonsten unveränderter Wirtschaftslage, um 30% – und verharrt dann auch bei 30% über den bisherigen Preiserwartungen der befragten Manager und Managerinnen. Bemerkenswert: Obwohl die Umfrage deutlich vor dem Krieg in der Ukraine durchgeführt wurde, entspricht dieses Szenario ziemlich genau der Entwicklung in den ersten Monaten nach der russischen Invasion, auch wenn sich der Ölpreis mittlerweile wieder in etwa beim Vorkriegsniveau eingependelt hat.

Besonders interessierte die Autoren zweitens, wieso und über welche Wege – den sogenannten Transmissionskanälen – sich ein solcher Schock konkret auf die Wirtschaftsaktivitäten der Firmen überträgt. Und drittens wollten sie wissen, welche Branchen in der Schweiz aus welchen Gründen unterschiedlich stark von einem Ölpreisschock betroffen sind.

Die Ergebnisse:

1. Kosten-, Preis- und Umsatz-Erwartungen

Die meisten Manager und Managerinnen gehen davon aus, dass sich ein Ölpreisschock von 30% nur beschränkt auf ihre Kosten, die Einkaufs- und Verkaufspreise sowie auf den Umsatz ihres Unternehmens auswirken wird. Bei allen Firmen zusammengefasst, wird zum Beispiel nur ein moderater Anstieg der Einkaufspreise von 1.2% in den kommenden sechs Monaten (1.5% in 18 Monaten) erwartet (siehe Grafik G 1). Der Gesamtaufwand steigt bei den Firmen laut der Umfrage um 0.7% in sechs Monaten (0.9% in 18 Monaten). Diese Verteuerungen würden sich in der Schweiz zudem nur zum Teil in höhere Produzentenpreise umsetzen: Die Manager und Managerinnen erwarten, dass die inländischen Preise um etwa 0.5% (0.6%) steigen würden.

Diese Durchschnittswerte geben allerdings nur einen Teil der Realität wieder, was der heterogenen Zusammensetzung der Schweizer Wirtschaft geschuldet ist. Ein signifikanter Teil der Manager und Managerinnen befürchtet nämlich deutliche Kostensteigerungen und Preiserhöhungen von 5% und mehr. Ein ähnlich heterogenes Bild zeigt sich denn auch bei den Umsatzentwicklungen. Über alle Unternehmen gesehen, wird ein Umsatzrückgang von nur 0.4% in sechs Monaten (0.6% in 18 Monaten) erwartet. Ein signifikanter Teil der Firmen (ca. 8%) geht allerdings von Verlusten von 5% und mehr aus.

2. Die Transmissionskanäle

Drei Transmissionskanäle, die in der theoretischen Literatur häufig genannt werden, konnte die KOF-Studie mit ihrer repräsentativen Umfrage empirisch überprüfen, zum Teil zum ersten Mal überhaupt: Die Auswirkungen vom Erdölanteil an der Produktion, vom Grad der Marktmacht und vom Ausmass der Unsicherheit über die künftige Entwicklung (siehe Grafik G 2).

Erdölanteil an der Produktion: Steigende Ölpreise erhöhen theoretisch die Produktionskosten und – wenn sie überwälzt werden – die Produzentenpreise. Beides wirkt sich dämpfend auf die Wirtschaftstätigkeit aus. Die KOF-Studie konnte diese Annahme nun empirisch klar bestätigen. Firmen, die für ihre Geschäftstätigkeit verhältnismässig mehr Erdöl brauchen, also plötzlich höhere Kosten haben, erwarten tatsächlich höhere Umsatzverluste und Preisanstiege.

Marktmacht: Theoretische Modelle gehen davon aus, dass sich ein Ölpreisschock je nach Marktmacht einer Firma unterschiedlich auf ihre Preise und ihre Umsatzzahlen auswirkt. Dieser Zusammenhang wurde indes bis heute empirisch nie bestätigt oder widerlegt. Der KOF-Studie gelingt es jetzt zu zeigen, dass Firmen mit vergleichsweise hohen Margen (was für ihre Marktmacht spricht) wirklich mit stark steigenden Preisen bei stark sinkenden Umsätzen rechnen. Sie könnten dank ihrer Marktmacht die höheren Kosten auf ihre Kunden und Kundinnen überwälzen. Firmen mit tieferen Margen (und dementsprechend weniger Marktmacht) können sich das dagegen nicht erlauben. Firmen, die einer harten Konkurrenz ausgesetzt sind, denken sogar daran, trotz höherer Kosten ihre Preise zu senken, um einen drohenden Abschwung bei der Nachfrage zu bremsen.

Unsicherheit: In der Literatur geht man davon aus, dass die Unsicherheit über die künftige Entwicklung die negativen Auswirkungen von exogenen Schocks auf die Wirtschaft noch verstärken kann, zum Beispiel dadurch, dass weniger investiert wird. Auch diese Theorie hat die KOF-Studie nun bestätigt: Firmenmanager und Firmenmanagerinnen, die vergleichsweise unsicher bezüglich ihrer Geschäftsaussichten sind, erwarten höhere Umsatzverluste wegen des Ölpreisschocks.

3. Wie die Branchen betroffen sind

Die KOF-Umfrage zeigt, dass sich die verschiedenen Branchen sehr unterschiedlich von einem Ölpreisschock betroffen sehen. Der Erdölanteil an der Produktion spielt eine grössere Rolle für die Transport- und Logistikbranche sowie die chemische und pharmazeutische Industrie, weil deren Energiebedarf relativ hoch ist. Dagegen ist er praktisch irrelevant für die Finanzindustrie.

Die höheren Preise dagegen, die zu einer sinkenden Nachfrage führen, wirken sich stärker auf die Tourismus- und die Computer-/Unterhaltungselektronik aus (sowie ein bisschen weniger stark auch auf die Maschinen- und Automobilindustrie sowie auf die Telekommunikation). Diese Branchen bieten Dienstleistungen und Güter an, deren Nachfrage elastisch auf Veränderungen beim verfügbaren Einkommen reagiert. Einfach ausgedrückt: Wenn das Geld wegen höherer Ölpreise knapper wird, spart man schnell mal bei den Ferien oder beim Kauf eines neuen Geräts.

Eine relativ hohe Marktmacht hat die Schweizer Nahrungsmittelindustrie. Denn sie ist zum einen durch protektionistische Massnahmen zum Teil von den Weltmärkten etwas abgeschottet. Zum anderen reagiert die Nachfrage verhältnismässig unelastisch auf Preisänderungen, denn bei der Nahrung kann man schlicht schlechter sparen als an anderen Orten. Gar keine Marktmacht haben dagegen die Maschinen- und Automobilindustrie sowie die Tourismusbranche. Sie sind einem harten globalen Konkurrenzkampf ausgesetzt. Die Unsicherheit betrifft vor allem die Tourismusbranche, weil ihre Angebote kurzfristig storniert, ihre Investitionen aber nicht schnell geändert werden können.

Unsicherheit ist Gift

Die Studienautoren haben die einzelnen Umfragedaten schliesslich auf die gesamtwirtschaftliche Ebene aggregiert, um den Beitrag jedes einzelnen Transmissionskanals zu den erwarteten Auswirkungen des Ölpreisschocks zu bestimmen. Sie errechneten, dass über die ganze Wirtschaft gesehen, die Unsicherheit die wichtigste Rolle für den Umsatzrückgang spielt. Mit ihr kann rund die Hälfte des Rückgangs erklärt werden. Ein höherer Erdölanteil ist dagegen am stärksten für die Preissteigerungen verantwortlich, die als Reaktion auf den Schock erwartet werden. Sie können etwa 40% des Anstiegs erklären.

Das KOF Working Paper zeigt so zum ersten Mal empirisch auf, welche Transmissionskanäle auf der Ebene der Firmen eine bedeutende Rolle spielen und leistet damit einen wichtigen Beitrag zur Forschung über die Auswirkungen von Ölpreisschocks.

Das Working Paper von Dirk Drechsel, Heiner Mikosch, Samad Sarferaz und Matthias Bannert mit dem Titel “What Do Firm Managers Tell Us About the Transmission Channels of Oil Price Shocks?” finden Sie hier: externe Seitehttps://doi.org/10.3929/ethz-b-000584846  

«Lasst uns die Firmen direkt befragen»

Vergrösserte Ansicht: Samad
Samad Sarferaz

Samad Sarferaz, Leiter des Forschungsbereich «Data Science und Makroökonomische Methoden», ordnet die Studie im Interview ein.

Sie sitzen am Bartresen und werden aufgefordert, Ihr Working Paper in fünf Sätzen zusammenzufassen. Was sagen Sie?
Ich würde mich verrennen (lacht). Ein Versuch: Wir haben 1000 Schweizer Firmen gefragt, wie sie auf einzelne unvorhergesehene Szenarien reagieren würden. In diesem Fall: auf einen Ölpreisschock. Im Grossen und Ganzen gehen die meisten Geschäftsführer und Finanzvorstände davon aus, dass er sich nur wenig auf ihre Kosten, die Einkaufs- und Verkaufspreise oder auf ihren Umsatz auswirken würde. Allerdings – und das ist spannend – ist die Heterogenität in der Schweiz gross: Es gibt Firmen, die stark reagierten, andere hingegen kaum. Darüber hinaus haben wir herausgefunden, dass das Wettbewerbsumfeld, die Unsicherheit und der Anteil des Öls an der Produktion der Unternehmen eine wichtige Rolle bei ihrer Reaktion auf einen Ölpreisschock spielen.

Die Methode des Umfrageexperiments kennt man aus den Sozialwissenschaften, weniger aus der Ökonomie. Warum entschieden Sie sich trotzdem dafür, Manager und Managerinnen mit einem fiktiven Schockszenario zu konfrontieren?
Um Kausaleffekte in der Makroökonomie zu erfassen, wird klassischerweise die Zeitreihenanalyse angewendet. Dabei werden Daten wie Zinsen, Inflation und Wirtschaftswachstum über einen bestimmten Zeitraum hinweg untersucht. Man sucht nach Mustern. Diese Muster werden dann verwendet, um die Auswirkungen von makroökonomischen Schocks zu erklären. Allerdings erfordert diese Vorgehensweise oft, starke Annahmen zu treffen. Diese Annahmen können unsere Ergebnisse so stark beeinflussen, bis sie ungenau werden. Dazu kommt: Im Aggregat, also dem zusammenfassenden Überblick, wird meist ein grosser Teil der spannenden Variationen auf Firmen- bzw. Industrieebene verdeckt. In unserem Fall hätten wir zum Beispiel bloss moderate Effekte eines Ölpreisschocks auf Unternehmen gesehen – nicht besonders informativ. Interessant wird es doch erst, wenn wir erfahren, welche Unternehmen wie betroffen sind. Dafür mussten wir auf Firmenebene runtergehen.

Makroökonomische Schocks treten in der Realität nicht isoliert, sondern oft gleichzeitig auf. In den Befragungen – es waren mehrere – nahmen Sie sich jeweils nur einen Schock vor. Ein weiterer Vorteil der Methode?
Absolut. Gleichzeitig auftretende Schocks sind im Aggregat schwierig zu identifizieren. Es kann etwa sein, dass plötzlich ein Krieg ausbricht und der Ölpreis unerwartet ansteigt, die Regierung Pakete schnürt oder die Schweizerische Nationalbank überraschende geldpolitische Entscheide trifft. Diese Entwicklungen in der Zeitreihe auseinanderzuhalten ist schwierig. Wir sagten uns also: ‘Lasst uns die
Unternehmen doch einfach fragen, wie sie auf die einzelnen Szenarien reagieren würden!` Und daraus leiteten wir dann die aggregierten Effekte ab. 2012 starteten wir mit dem Ölpreisschock. Damals waren wir mit die ersten, die auf diese Idee kamen. Heute wächst dieser Bereich in der Ökonomie stark.

Wie wurden die Firmen ausgewählt?
Sie stammen alle aus unserem umfangreichen Adresspool. Die KOF führt schon lange regelmässig Konjunkturumfragen durch und erhält so einzigartige Einschätzungen zur Wirtschaftslage. Der Vorteil: Alle Firmen kennen und kooperieren gerne mit uns.

Welchen Nutzen ziehen Entscheider und Entscheiderinnen jetzt aus dem Paper?
Der Politik helfen unsere Ergebnisse, ein besseres Verständnis der einzelnen Branchen zu gewinnen. So ist sie auf kommende Schocks besser vorbereitet. Dies ermöglicht dann fundierte und schnellere Entscheide.

Zu den Ergebnissen: Was hat Sie überrascht?
Wir sind Zeitreihenökonometriker – natürlich haben wir parallel auch die altbewährte Methode angewendet. Was uns wirklich sehr überrascht hat: Als wir die Antworten der Firmen auf das grosse Ganze aggregierten, erhielten wir bei beiden Methoden beinahe identische Ergebnisse. Firmen sehen also weit mehr, als nur ihr eigenes Business. Sie haben die Ökonomie gut im Blick, verstehen die
grossen Zusammenhänge, beziehen Rahmenbedingungen und Veränderungen realistisch in Ihre Überlegungen mit ein.

Ansprechpersonen

Dr. Samad Sarferaz
Dozent am Departement Management, Technologie und Ökonomie
  • LEE G 302
  • +41 44 632 54 32

KOF Konjunkturforschungsstelle
Leonhardstrasse 21
8092 Zürich
Schweiz

Dr. Heiner Mikosch
  • LEE G 205
  • +41 44 632 42 33

KOF Konjunkturforschungsstelle
Leonhardstrasse 21
8092 Zürich
Schweiz

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