Wie die Digitalisierung den Schweizer Arbeitsmarkt umkrempelt

Neue Technologien verändern die Arbeitsnachfrage auch in der Schweiz grundlegend. Droht den Schweizer Arbeitskräften die Verdrängung durch Roboter, künstliche Intelligenz und andere digitale Technologien?

Der technische Fortschritt brachte zahllose Innovationen, etwa im Bereich der Medizin, der Energiegewinnung oder Produktherstellung, die unsere Lebensqualität verbessern, und er gilt als Haupttreiber einer stetig wachsenden Wirtschaft. In jüngerer Zeit haben die enorme Verbesserung der digitalen Speicherkapazität und das Aufkommen der Internetkommunikation die zunehmende Informatisierung und Automatisierung unserer Volkswirtschaften im Allgemeinen und des Arbeitsmarktes im Besonderen ermöglicht.

Sowohl in der Öffentlichkeit als auch in der Wissenschaft herrscht eine lebhafte Debatte über die Auswirkungen der Digitalisierung auf dem Arbeitsmarkt. Während der technische Fortschritt in der Vergangenheit stets bestimmte Arten von Arbeit verdrängt und andere geschaffen hat, war der Netto-Beschäftigungseffekt im Allgemeinen positiv. In der Gesellschaft ist jedoch die Sorge weitverbreitet, dass es dieses Mal anders sein könnte und Computer, künstliche Intelligenz, Roboter und dergleichen die menschliche Arbeitskraft letztendlich ganz verdrängen könnten.

Die Wirtschaftswissenschaften ermittelten zwei vorherrschende Mechanismen, welche die Auswirkungen der Digitalisierung auf den Arbeitsmarkt prägen. Der erste besagt, dass die digitalen Technologien die Nachfrage nach Arbeitskräften mit höherer Ausbildung generell erhöht – je höher der Qualifikationsgrad der Arbeitnehmenden, desto eher können sie also in einer sich digitalisierenden Arbeitswelt mit (noch) besseren Löhnen und Beschäftigungsaussichten rechnen (Katz & Murphy 1992). Der zweite postuliert, dass sich mit digitalen Technologien insbesondere Routinetätigkeiten «automatisieren» lassen, also solche, die gemäss klar definierten Anleitungen und Verfahren ausgeführt werden. Dementsprechend würden Arbeitskräfte mit einem hohen Anteil solcher Routinetätigkeiten – z.B. Fabrikarbeiter, die Produkte sortieren und lagern, oder Büroangestellte, die Bilanzen oder Register führen und kontrollieren – an Arbeitsmöglichkeiten einbüssen (Goos, Manning & Salomons 2014). Da solche Routineberufe z.B. in den USA generell ein mittleres Einkommen einbringen und dort seit Anfang der 1990er Jahre ein deutlicher Rückgang solcher Jobs zu beobachten ist, wird dieser Mechanismus auch oft mit dem Schwund der Mittelklasse und zunehmender Ungleichheit in Verbindung gebracht.

Deutlicher Rückgang an körperlicher und kognitiver Routinejobs

In der Schweiz lassen sich beide Wirkungsmechanismen der Digitalisierung beobachten. Der Anteil Beschäftigter, die in Routineberufen arbeiten, ist seit den 90er Jahren konstant zurückgegangen. Unterscheiden lässt sich neben dem Routineanteil von Berufen auch zwischen einem mehrheitlich körperlichen und einem mehrheitlich kognitiv fordernden Job. Werden die Schweizer Beschäftigten zusätzlich anhand dieser Unterscheidung eingeteilt, wird sichtbar, dass immer weniger Arbeitnehmende in kognitiv fordernden Routineberufen tätig sind. Dies ist in Grafik G 1 ersichtlich, die zeigt, wie sich die Anteile der so unterschiedenen Erwerbstätigen sowie der Erwerbslosen und Nichterwerbspersonen entwickelt haben. Nichterwerbspersonen sind Individuen, die nicht arbeitstätig und – im Gegensatz zu den Erwerbslosen – auch nicht auf Stellensuche sind, etwa Vollzeitstudentinnen oder Hausmänner.

Ebenfalls ersichtlich ist, dass schon vor der Jahrtausendwende nur ein kleiner Teil der Schweizer Arbeitskräfte in körperlich intensiven Routinejobs arbeitete, dieser hat sich aber seither noch weiter verringert. Im Gegensatz dazu hat der Anteil Beschäftigter, der in kognitiv fordernden Berufen tätig ist, die wenig bis keine Routinetätigkeiten beinhalten und tendenziell einen höheren Bildungsgrad erfordern, deutlich und beständig erhöht. Während sich der Anteil der körperlichen Nicht-Routineberufe kaum verändert hat, ist ein deutlicher Rückgang bei den Nichterwerbspersonen zu beobachten, zurückzuführen insbesondere auf die vermehrte Erwerbstätigkeit der Frauen.

Wie ging dieser strukturelle Wandel vonstatten? Eine Analyse der Bewegungen auf dem Arbeitsmarkt (Gschwendt 2022) zeigt, dass Routinearbeitskräfte weder vermehrt in der Arbeitslosigkeit gelandet noch vergleichsweise häufig in den Ruhestand getreten sind. Allerdings haben zunehmend weniger Arbeitskräfte eine Neuanstellung in einem Routineberuf gefunden, die vorher in einem tendenziell schlechter bezahlten körperlichen Nicht-Routinejob tätig waren, etwa weil weniger Routinejobs zu besetzen waren. Solchen Arbeitskräften fällt es also zunehmend schwer, in tendenziell besser bezahlte Routinejobs aufzusteigen. Zudem ist die Tendenz, mit einem kognitiven Routinejob in die Erwerbstätigkeit einzusteigen, insbesondere bei Personen mit tiefer oder mittlerer Bildung sowie Personen mittleren Alters gesunken.

Für das Beschäftigungswachstum in kognitiv fordernden Nicht-Routineberufen waren hingegen schon in den 90er Jahren insbesondere junge und gut ausgebildete Berufseinsteiger und Berufseinsteigerinnen verantwortlich. Dieses Wachstum hält bis heute weiterhin an und wurde lediglich durch die Finanzkrise von 2008 unterbrochen, es ist hauptsächlich der Zunahme an Personen geschuldet, die einen tertiären Bildungsabschluss erlangen und in diesen Berufsfeldern auf freie Stellen treffen. Wie Beerli et al. (2022) zeigen, machen aus dem Ausland Zuwandernde einen wesentlichen Teil dieser gut ausgebildeten Berufseinsteigerinnen und Berufseinsteiger aus.

Ein Anstieg der Arbeitslosigkeit aufgrund der Digitalisierung ist in der Schweiz nicht zu beobachten

In den USA und Grossbritannien hat die Digitalisierung dazu geführt, dass zuvor in Routinejobs tätige Arbeitskräfte vermehrt arbeitslos werden, in schlechter bezahlten Dienstleistungsjobs landen oder gar ganz aus der Erwerbstätigkeit ausscheiden. In der Schweiz sind solche beunruhigenden Entwicklungen kaum zu beobachten. Während die beiden angelsächsischen Länder über einen äusserst liberalen Arbeitsmarkt und einen zurückhaltenden Sozialstaat verfügen, besitzt die Schweiz stärkere Arbeitsmarktinstitutionen sowie einen umfangreicheren Wohlfahrtsstaat, welche das Wachstum von schlecht bezahlten Dienstleistungsjobs hemmen. Zudem ermöglicht das duale Schweizer Bildungssystem den Arbeitskräften eine grössere Flexibilität, um auf im Zuge der Digitalisierung ändernde Bedürfnisse seitens der Arbeitgebenden zu reagieren.

Die Schweizer Beschäftigten zeigen sich bisher also durchaus resilient angesichts des grundlegenden, durch die Digitalisierung angetriebenen Strukturwandels. Insbesondere ist die Nachfrage nach menschlicher Arbeitskraft in der Schweiz unverändert gross. Dem Bildungssystem, und insbesondere der Berufsbildung, fällt bei der Vorbereitung der Berufseinsteigerinnen und Berufseinsteiger jedoch eine grosse Verantwortung zu: Auch angehende Arbeitstätige ohne höheren Bildungsabschluss sind auf Fähigkeiten angewiesen, mit denen sie in einem sich auch in Zukunft weiter digitalisierenden Arbeitsmarkt bestehen können.

Literatur

Beerli, A., R. Indergand, & J. S. Kunz (2022): The supply of foreign talent: how skill-biased technology drives the location choice and skills of new immigrants. Journal of Population Economics, 1-38.

Gschwendt, C. (2022): externe SeiteRoutine job dynamics in the Swiss labor market. Swiss Journal of Economics and Statistics, 158(1), 1-21.

Goos, M., A. Manning, & A. Salomons (2014): Explaining job polarization: Routine-biased technological change and offshoring. American economic review, 104(8), 2509-26.

Katz, L. F. & K. M. Murphy (1992): Changes in relative wages, 1963–1987: supply and demand factors. The quarterly journal of economics, 107(1), 35-78.

Kontakt

Christian Gschwendt
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Universität Bern
Department Volkswirtschaftslehre, Forschungsstelle für Bildungsökonomie
Schanzeneckstrasse 1
3001 Bern
Schweiz

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