«Corona war ein Booster für die Digitalisierung»

Martin Wörter und Mathias Beck beschäftigen sich in einem vom Nationalen Forschungsprogramm (NFP) geförderten Forschungsprojekt mit der digitalen Transformation. Die beiden Innovationsökonomen erklären im Interview, warum die Corona-Krise die Digitalisierung beschleunigt hat und warum Europa trotzdem technologisch immer noch den USA hinterherhinkt.

Während des Corona-Lockdowns haben wir alle gelernt, mit digitalen Tools wie zum Beispiel mit Software für Videokonferenzen umzugehen. Hat uns die Corona-Krise einen Schub bei der Digitalisierung gegeben?

Wörter: Corona war in der Tat ein Booster für die Digitalisierung. Die Unternehmen haben aufgrund der Corona-Krise nicht nur bei der Anwendung von digitalen Technologien Fortschritte gemacht, sondern auch im Innovationsbereich. Die Unternehmen denken verstärkt Digitalisierungskomponenten wie Schnittstellen und Sensoren mit, um ihre Produkte attraktiver zu machen.

Warum haben die Unternehmen das nicht schon vor der Corona-Krise gemacht? Haben sie die Digitalisierung verschlafen?

Wörter: Manchmal braucht es einen Anstoss von aussen, was wir Ökonomen «externen Schock» nennen. Durch Corona hat sich auch das Marktumfeld geändert. Viele Bereiche haben sich digitalisiert, was Chancen für neue digitale Produkte und Dienstleistungen kreiert hat. Da haben sich viele Unternehmen gesagt «Wenn nicht jetzt, wann dann?».

Haben alle Unternehmen in der Corona-Krise Fortschritte bei der Digitalisierung gemacht oder gilt das nur für bestimmte Branchen und Unternehmen?

Beck: Vor allem kleine und mittlere Unternehmen, die sogenannten KMUs, haben bei der Digitalisierung und speziell beim Thema Homeoffice deutlich aufgeholt. Bei grossen Konzernen wie Google oder Microsoft war das Arbeiten von zu Hause aus schon vor Corona möglich, aber für den Mittelstand war das Neuland. Die KMUs in der Schweiz sind jetzt deutlich digitaler aufgestellt als vor der Krise. In den letzten Jahren haben vor allem die USA mit den gerade erwähnten Grosskonzernen wie Google, Apple, Microsoft, Facebook oder Amazon den Ton bei der Digitalisierung angegeben. Europa hinkte technologisch, von wenigen Ausnahmen wie SAP in Deutschland oder Logitech in der Schweiz abgesehen, meist hinterher.

Martin Wörter
«Corona hat den Abstand zu den USA hinsichtlich Digitalisierung vergrössert.»
Martin Wörter
Martin Wörter

Ist durch die Corona-Krise der Abstand zu den USA kleiner geworden?

Wörter: Ich würde eher sagen, dass der Abstand grösser geworden ist. Denn die wichtigsten Kommunikationstechnologien, die während der Corona-Krise eingesetzt wurden, wie Microsoft Teams, Skype, Google Meets oder Zoom kommen alle aus den USA.

Wie ist diese technologische Lücke zu erklären?

Wörter: Das hängt mit mehreren Faktoren zusammen, zum Beispiel mit der unterschiedlichen Marktstruktur in Europa und den USA. In der Geschichte der Kommunikationstechnologie gab es in Europa bis zur Jahrtausendwende regionale Monopole, die den Technologiewettbewerb eingeschränkt haben. In den USA sind derartige Monopole beispielsweise durch die Auflösung von AT&T in die «Baby Bells» schon viel früher aufgebrochen worden, was die Dynamik der technologischen Entwicklung erhöht hat. Zudem gibt es in den USA mehr Risikokapital, was für die Gründung von neuen Unternehmen ein Schlüsselfaktor ist.

Wie steht es um die Start-up-Kultur in der Schweiz?

Wörter: Die Start-up-Kultur in der Schweiz hat sich verbessert. Es gibt immer mehr Start-ups im Digitalisierungsbereich, vor allem an der Schnittstelle Digitalisierung/Finanzen und an der Schnittstelle Digitalisierung/Pharma. In diesen beiden Feldern können die Start-ups an die in der Schweiz erfolgreiche Finanz- und Pharmaindustrie andocken. Hier haben sich viele sogenannte digitale Ökosysteme gebildet.

Mathias Beck
«Der Technologieaustausch zwischen den Hochschulen und den Unternehmen funktioniert sehr gut.»
Mathias Beck
Mathias Beck

Das Silicon Valley in Kalifornien gilt als das Zentrum der digitalen Welt. Haben wir in Europa die Chance, auch ein digitales Zentrum zu schaffen, und welche Chancen hätte Zürich?

Beck: Die Entwicklung im Grossraum Zürich ist hochinteressant. Es ist kein Zufall, dass Google, Facebook und Microsoft sich hier angesiedelt haben. Der Technologieaustausch zwischen den Hochschulen und den Unternehmen funktioniert sehr gut. Schwierigkeiten sehe ich bei der Bereitstellung von Risikokapital. Gerade wenn man ein Geschäftsmodell skalieren, also auf viele Kunden ausweiten will, braucht man viel Kapital. Da sind uns die USA weiterhin voraus, weshalb das Silicon Valley wohl bis auf weiteres das Mass aller Dinge bleiben wird.

Wie hat sich die Digitalisierung bisher auf den Schweizer Arbeitsmarkt ausgewirkt?

Wörter: In unseren Studien haben wir festgestellt, dass durch die Digitalisierung die Nachfrage nach hoch qualifizierten Fachkräften gestiegen ist, während die Nachfrage nach minderqualifizierten Arbeitern und Arbeiterinnen gesunken ist. Im Durchschnitt hat die Digitalisierung aber einen positiven Effekt auf den Arbeitsmarkt. Es sind dank der Digitalisierung mehr Arbeitsplätze entstanden als vernichtet worden.

Haben wir in der Schweiz genug qualifizierte Fachkräfte, um die Digitalisierung zu meistern?

Beck: Unsere Umfragen zeigen, dass das Nicht-Vorhandensein von gut qualifizierten Absolventen und Absolventinnen eine wichtige Barriere bei der Digitalisierung ist. Deswegen ist die Aus- und Weiterbildung ein Schlüsselfaktor. Da sind wir auf einem guten Weg, aber noch lange nicht am Ziel. Wichtig ist auch zu verstehen, dass technisches Wissen über die Digitalisierung allein nicht ausreicht. Man muss Digitalisierung mit neuen Produkten, Prozessen und Geschäftsmodellen verbinden.

Die Börsenkurse von Unternehmen aus dem Technologiebereich sind in den letzten Jahren stark gestiegen, in diesem Jahr aber überproportional gesunken. Droht uns erneut das Platzen einer Technologie-Blase, wie wir es im Jahr 2000 beim Platzen der Dotcom-Blase am Neuen Markt erlebt haben?

Wörter: Damals hat man die Förderung der Gründerszene übertrieben und zu wenig auf Substanz und realistische Geschäftsmodelle geachtet. Das ist heute anders. Gerade hinter den grossen etablierten Digitalkonzernen wie Google, Microsoft, Apple oder Amazon stehen ein grosser Kundenstamm, ausreichend Kapital und ein solides Management. Deswegen sehe ich heute keine Parallele zum Jahr 2000.

Zukunftstechnologie oder nur heisse Luft? Drei Technik-Trends aus der digitalen Welt


Metaverse: Unter dem Kunstwort «Metaverse», zusammengesetzt aus den Wörtern «meta» (jenseits) und «universe» (Universum), versteht man einen digitalen Raum, der zum Beispiel durch digitale Brillen oder Ganzkörperanzüge mit der physischen Realität verknüpft ist und der Nutzern eine zweite Identität ermöglicht. Im Gaming-Bereich ist diese Technologie schon gang und gäbe. Aber das Metaverse geht darüber hinaus. In ihm können Nutzer der Idee nach ein zweites Leben führen und dort einkaufen, arbeiten, leben oder feiern. «Diese Idee ist nichts ganz Neues», sagt Martin Wörter. «Eine Art Metaverse gab es schon vor über einem Jahrzehnt unter dem Begriff Second Life.» Heute stecke aber viel mehr Kapital dahinter. So hat sich der Facebook-Konzern im letzten Jahr in «Meta Platforms» umbenannt, um der gestiegenen Bedeutung des Metaverse Rechnung zu tragen. «Wie viel ökonomisches Potenzial diese Technologie hat, bleibt abzuwarten», erklärt Martin Wörter.

Bitcoin und Blockchain: Der Bitcoin ist die bekannteste Kryptowährung. Er basiert auf der Technologie der Blockchain. Der Bitcoin wurde 2009 ins Leben gerufen. Mittlerweile gibt es über 10 000 Kryptowährungen. «Beim Bitcoin im Speziellen und bei Kryptowährungen im Allgemeinen gibt es grosse Unsicherheiten», sagt Mathias Beck. Aber die dahinterstehende Technologie der Blockchain sei hochinteressant, auch in der Anwendung ausserhalb von Kryptowährungen. «Mit dieser Technologie können zum Beispiel Lieferketten digitalisiert werden, ohne dass dafür Papier und Lieferscheine gebraucht werden», erklärt Martin Wörter.

Künstliche Intelligenz: Der Sammelbegriff vereint Technologien, bei denen Algorithmen so programmiert werden, dass sie wie ein menschliches Gehirn Probleme eigenständig lösen können. Ein klassisches Beispiel ist die Analyse von grossen Datenmengen («Big Data»), seien es Zahlen oder Texte, nach Mustern und Zusammenhängen. Oft wird in diesem Zusammenhang auch von maschinellem Lernen gesprochen. «Der Bereich künstliche Intelligenz hat ein grosses Potenzial, vor allem für die Schweiz», sagt Mathias Beck. «Schweizer Unternehmen konkurrieren nicht nur über den Preis, sondern auch über die Qualität ihrer Produkte. Wenn Produkte eine intelligente digitale Komponente haben, steigt damit auch das Potenzial für eine höhere Wertschöpfung.»

Das Forschungsprojekt

Die Forschungsgruppe Innovationsökonomik der KOF Konjunkturforschungsstelle unter der Leitung von Prof. Dr. Martin Wörter und Wissenschafter und Wissenschafterinnen der Professur für Strategic Management and Innovation unter der Leitung von Prof. Dr. Georg von Krogh vom Departement für Management, Technologie und Ökonomie der ETH Zürich untersuchen in einem vom Nationalen Forschungsprogramm (NFP) «Digitale Transformation» des Bundes geförderten Forschungsprojekt die digitale Transformation in Schweizer Unternehmen. Das von Dr. Mathias Beck geleitete Projekt zielt darauf ab, Mechanismen und Bedingungen für eine erfolgreiche digitale Transformation in Unternehmen zu identifizieren. Das Projekt ergänzt bisherige Erkenntnisse zur digitalen Transformation und bietet eine integrierte Sicht auf deren Auswirkungen auf Organisationen, Unternehmensleistung und Marktdynamik in der Schweiz. Neue, evidenzbasierte Erkenntnisse werden unser Verständnis von Veränderungsprozessen erweitern und diese in der Folge mit evidenzbasierten politischen Massnahmen begleiten und unterstützen. Ziel ist es, Politikern und unternehmerischen Entscheidungsträgern Grundlagen für evidenzbasierte Handlungsempfehlungen zu liefern. Weitere Informationen zum NFP77-Projekt «Digitale Transformation: Wie sich Unternehmen, Performance und Märkte durch die digitale Transformation verändern» finden Sie externe Seitehier.

Kontakte

Prof. Dr. Martin Wörter
Dozent am Departement Management, Technologie und Ökonomie
  • LEE F 111
  • +41 44 632 51 51

KOF Konjunkturforschungsstelle
Leonhardstrasse 21
8092 Zürich
Schweiz

Dr. Mathias Beck
Dozent am Departement Management, Technologie und Ökonomie
  • LEE F 113
  • +41 44 632 29 46

KOF FB Innovationsökonomik
Leonhardstrasse 21
8092 Zürich
Schweiz

Dr. Thomas Domjahn
  • LEE F 114
  • +41 44 632 53 44

KOF Bereich Zentrale Dienste
Leonhardstrasse 21
8092 Zürich
Schweiz

JavaScript wurde auf Ihrem Browser deaktiviert