Unternehmen versuchen, sich mit Vorprodukten einzudecken

Vorprodukte wie Halbleiter, aber auch manche Rohstoffe sind derzeit unter Unternehmen heftig umkämpfte Güter. Eine starke Konsumnachfrage nach Endprodukten und eine dadurch ausgelöste hohe Produktionstätigkeit sowie Reibungen bei der Bereitstellung und dem Transport von Vorprodukten lassen Letztere knapp und teurer werden. Zusätzlich könnte aber eine grosszügige Bestellpolitik der Unternehmen bei Vorprodukten den Mangel verstärken. Auch in der Schweiz gibt es dafür gewisse Hinweise.

Lager

Fehlende Vorprodukte sowie steigende Preise für die Vorleistungen sind derzeit international intensiv diskutierte Themen. So hat mitunter der Internationale Währungsfonds (IWF) in seinem World Economic Outlook im Oktober 2021 Lieferprobleme als eine Herausforderung bezeichnet, die unter anderem die kurzfristige Konjunkturerholung, vorrangig in den hochentwickelten Volkswirtschaften, belastet.1) Die Gründe für die schwierige Versorgungslage sind vielfältig. Die Pandemie führt bisweilen zu Produktionsausfällen wegen Schliessungen oder geringen Personalbeständen. Zudem kommt es zu Schwierigkeiten in der Logistik, etwa wenn die Warenabfertigung in Seehäfen eingeschränkt wird. Es gab aber auch weitere Probleme auf der Produktions- und Transportseite: So zwang beispielsweise ein Kälteeinbruch Anfang des Jahres 2021 Chiphersteller in Texas zu Produktionseinschränkungen, genauso wie Wasserprobleme andere Hersteller in Taiwan. Das Containerschiff Ever Given blockierte sechs Tage den Sueskanal und erzeugte einen grossen Stau an Frachtschiffen.

Welthandel und globale Industrieproduktion

Diese Störungen sollten aber nicht den Blick darauf verstellen, dass die globale Produktion und der internationale Warenhandel auf Hochtouren laufen. Beide haben sich nach einem Einbruch im Frühjahr 2020 rasant erholt (siehe Grafik G 4). Zu Beginn des Jahres 2021 wurde das Vorkrisenniveau jeweils deutlich überschritten. Der internationale Handel liegt also keinesfalls darnieder, im Gegenteil. Ein wesentlicher Grund für knappe Vorprodukte ist die überaus starke Nachfrage nach Endprodukten. Die hohe Nachfrage rührt etwa daher, dass die Konsumenten statt Dienstleistungen in dieser Pandemie vermehrt Waren kaufen. Grafik G 5 zeigt dies exemplarisch für die Konsumenten in den Vereinigten Staaten (U.S.). Die überaus starke Nachfrage bringt die – im Moment durchaus störanfälligen – Lieferketten an ihre Grenzen. Perspektivisch könnte daher im Laufe dieses Jahres eine Normalisierung des Konsummusters, gepaart mit weniger pandemiebedingten Störungen der Produktion und der Logistik, den Vorproduktemangel entschärfen.

Realer Konsum in den Vereinigten Staaten

Es stellt sich dennoch die Frage, ob die Unternehmen ihre Einkaufspolitik und Vorratshaltung von Vorprodukten angesichts der derzeit schwierigen Verfügbarkeit ändern. Darauf deutet etwa eine Umfrage der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK) bei ihren Mitgliedsunternehmen im Sommer 2021 hin.2) In dieser Umfrage in Deutschland gaben über alle Wirtschaftsbereiche hinweg mehr als die Hälfte (57%) der Unternehmen an, ihre Lagerhaltung erhöhen zu wollen. Dies soll die eigenen Produktionsmöglichkeiten sicherstellen. Gesamthaft gesehen kann eine solche Strategie aber die Vorprodukteproblematik wegen einer nochmals verstärkten Nachfrage verschärfen. Generell könnte hinter einer höheren Vorratshaltung eine langfristige Strategie stehen, etwa eine dauerhaft höhere Vorratshaltung und eine teilweise Abkehr von der «Just in time»-Idee. Es könnte sich aber auch um kurzfristige Effekte handeln und dadurch sich beispielsweise ein sogenannter Peitscheneffekt (englisch bullwhip effect) mit erhöhten Bestellschwankungen einstellen, wenn die Unternehmen jetzt zu reichlich ordern und später die Vorräte wieder reduzieren müssten, weil sie dann ihrer Ansicht nach zu viele Vorprodukte auf Lager haben.3)

Beurteilung Auftragsbestände und Vorproduktelager

Wie reagieren die Schweizer Unternehmen? Äufnen sie Vorprodukte? In den Ergebnissen der KOF Konjunkturumfragen im Verarbeitenden Gewerbe kann man auf Spurensuche gehen. Grafik G 6 zeigt, dass die Auftragsbücher der Unternehmen derzeit sehr gut gefüllt sind.4) Sie bewerten allerdings auch ihre Vorräte an Vorprodukten so häufig als zu gering wie selten zuvor. Sie betrachten die Bestände als eher klein, obwohl sie diese bereits in den vergangenen Monaten sehr häufig erhöht haben (siehe Grafik G 7). Zwar entwickelte sich auch die Produktion positiv und die Produktionsplanungen sind expansiv ausgerichtet, doch sind hier die Werte insgesamt nicht ganz so nach oben herausragend wie die Ergebnisse zum Vorproduktebestand. Eine ähnliche Beobachtung ergibt der Vergleich des geplanten Vorprodukteeinkaufs mit den Produktionsplanungen und dem erwarteten Bestellungseingang (siehe Grafik G 8). Alle drei Planungen/Erwartungen sind im mittelfristigen Vergleich zumindest bis zum Jahresende 2021 als überdurchschnittlich einzustufen. Die Planungen zum Vorprodukteeinkauf stechen jedoch ein wenig nach oben heraus.

Veränderung der Vorproduktebestände und der Produktion sowie Produktionserwartungen
Vorprodukteeinkauf, Produktion, Bestellungseingang nächste 3 Monate

Die Umfrageergebnisse des vergangenen Herbstes deuten an, dass die Unternehmen des Verarbeitenden Gewerbes eher grosszügig Vorprodukte einkaufen oder dies zumindest versuchen. Das Einkaufsverhalten hat sich aber nicht völlig von der Produktionsentwicklung und der erwarteten Nachfrage abgekoppelt. Die starke Nachfrage dürfte der Hauptgrund für die expansive Einkaufspolitik der Unternehmen sein, auch wenn diese zusätzlich wohl etwas reichlich Vorprodukte bestellen. Dies könnte sowohl an einer grundsätzlich veränderten Lagerstrategie liegen, aber auch daran, dass die Unternehmen wegen der schwierigen Situation bei den Vorprodukten auch bei der Nachfrage nach ihren Erzeugnissen eine Bremse sehen, die sich später lösen könnte. Dies könnte etwa bei Unternehmen, die innerhalb der Lieferketten stecken und nicht an deren Ende, eine Möglichkeit sein. Andererseits könnten die Unternehmen auch noch höhere Bestände an Vorprodukten anstreben, aber durch den Mangel in dieser Lagerstrategie ausgebremst werden. Wie auch immer die Intentionen der Unternehmen sind, es gibt vorsichtige Hinweise, dass sie eher grosszügig Vorprodukte bestellen. Sollte dies verbreitet und vor allem international der Fall sein, würde dieses Verhalten der Unternehmen den bereits durch die Konsumenten erzeugten Nachfrageüberhang noch verstärken.

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1 Internationaler Währungsfonds, «World Economic Outlook, Recovery During a Pandemic – Health Concerns, Supply Disruptions, and Price Pressures», Oktober 2021. Link: [externe Seitehttps://www.imf.org/en/Publications/WEO/Issues/2021/10/12/world-economic-outlook-october-2021], abgerufen am 23. Dezember 2021.

2 Siehe [externe Seitehttps://www.dihk.de/de/themen-und-positionen/wirtschaftspolitik/konjunktur-und-wachstum/blitzumfrage-lieferengpaesse], abgerufen am 23. Dezember 2021.

3 Vgl. etwa Hyun Song Shin, Bank of International Settlements, 2021, zu einer aktuellen Diskussion aus volkswirtschaftlicher Sicht:
externe Seitehttps://www.bis.org/speeches/sp211209.pdf

4 Die Indexierung erfolgt in allen Grafiken zu den Resultaten der KOF Konjunkturumfragen durch eine robuste Standardisierung der Form (x - Median(x))/MAD(x)*10+100. Durch diese Standardisierung sollen die Zeitreihen besser vergleichbar sein. Median und MAD werden verwendet, um den Einfluss sehr starker Ausschläge zu dämpfen. Die Ergebnisse zeigen sich aber in der Tendenz auch bei einer gewöhnlichen Standardisierung mit arithmetischem Mittel und empirischer Standardabweichung.

Kontakt

Dr. Klaus Abberger
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KOF Konjunkturforschungsstelle
Leonhardstrasse 21
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Schweiz

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