Wie steht es um die Gleichstellung der Geschlechter auf dem Arbeitsmarkt?

Der Hauptgrund für die bestehenden Geschlechterunterschiede auf dem Arbeitsmarkt ist die ungleiche Verteilung unbezahlter Arbeit. Sie führt unter anderem dazu, dass Frauen tiefere Arbeitspensen haben als Männer, was sich negativ auf deren Arbeitsmarktperformance auswirkt.

Seit 1971, als die Schweizer Frauen endlich das Stimm- und Wahlrecht erhielten, hat sich in Bezug auf die Gleichstellung der Geschlechter einiges getan. So stieg der Frauenanteil im Nationalrat von 0 auf 42%. Und auch der Arbeitsmarkt wurde weiblicher. Die Erwerbsquote der Frauen stieg von 43% im Jahr 1971 auf 63% 2019, während sich die Erwerbsquote der Männer im gleichen Zeitraum von 86% auf 74% reduzierte. In Europa weist nur Island eine höhere Frauenerwerbsquote auf als die Schweiz (Datenquellen: BFS; Head-König 2015). Und doch war vielen Frauen anlässlich des 50-Jahr-Jubiläums des Frauenstimmrechts nicht so recht zum Feiern zumute. Vielmehr gingen auch am 14. Juni 2021 beim sogenannten «Frauenstreik» Zehntausende Frauen in der ganzen Schweiz auf die Strasse und prangerten die weiterhin bestehenden Geschlechterunterschiede auf dem Arbeitsmarkt und anderen Lebensbereichen an.  

Streitpunkt unerklärter Lohnunterschied

Die mediale und politische Diskussion in Bezug auf die Geschlechterunterschiede im Arbeitsmarkt dreht sich oft um den sogenannten unerklärten Lohnunterschied. Dabei wird der Durchschnittslohn von Männern und Frauen auf eine Vollzeitstelle hochgerechnet und der Unterschied in zwei Teile aufgeteilt: Einen Teil, der mit objektiven Faktoren wie Ausbildung, Berufserfahrung, Branche, Unternehmensgrösse oder der Hierarchiestufe erklärt werden kann und einen unerklärten Teil. Der unerklärte Teil quantifiziert den Lohnunterschied zwischen einem Mann und einer Frau, die ansonsten gleiche Charakteristika aufweisen und in ähnlichen Jobs arbeiten. Im Jahr 2018 konnten gemäss Bundesamt für Statistik BFS rund 55% des standardisierten (d.h. auf eine Vollzeitstelle hochgerechneten) Lohnunterschieds von Fr. 1512.– durch objektive Faktoren erklärt werden. 45% des Lohnunterschieds blieben unerklärt. Dieser unerklärte Teil wird häufig als Diskriminierung interpretiert. Ob diese Interpretation korrekt ist, ist Gegenstand wilder Debatten.

Die eine Seite moniert, dass gewisse lohnrelevante Informationen in den Daten fehlten und die Diskriminierung deshalb tendenziell überschätzt werde. Tatsächlich ist es möglich, dass sich der unerklärte Lohnunterschied reduzieren würde, wenn bisher unbeobachtete Faktoren wie der Besuch von Weiterbildungskursen oder die effektive Berufserfahrung berücksichtigt würden. Die andere Seite wiederum beklagt, dass die angewandte Methode die tatsächliche Lohndiskriminierung unter- und nicht überschätzen würde, da auch manche der vermeintlich objektiven Faktoren das Resultat von Diskriminierung seien. Diese vorgelagerte Diskriminierung wird vom unerklärten Lohnunterschied nicht erfasst. Auch diese Kritik ist berechtigt. Indem z.B. die Hierarchiestufe als objektiver Faktor behandelt wird, wird ausser Acht gelassen, dass es für Frauen vermutlich deutlich schwerer ist, in höhere Hierarchiestufen vorzudringen als für Männer (vgl. z.B. Cullen und Perez-Truglia 2019).

Die negativen Auswirkungen geringer Arbeitspensen

G 5

Es besteht die Gefahr, dass andere, wichtige Dimensionen der Geschlechterungleichheit im Getöse der Diskussionen um den unerklärten Lohnunterschied untergehen. Doch die Geschlechterungleichheit kommt nicht nur daher, dass Frauen für denselben Job weniger verdienen als Männer, sondern vor allem daher, dass sie andere Jobs ausüben. So betrug der unerklärte Lohnunterschied im Jahr 2018 gemäss BFS Fr. 686.– pro Monat. Der gesamte Lohnunterschied zwischen Männern und Frauen belief sich jedoch auf rund Fr. 2630.– (siehe Grafik G 5). Rund Fr. 1100.– dieser Lohndifferenz (der Unterschied zwischen Bruttolohn und standardisiertem Bruttolohn) kann unmittelbar mit den verschiedenen durchschnittlichen Beschäftigungsgraden von Männern und Frauen erklärt werden. So arbeiteten im Jahr 2019 knapp 60% aller Frauen Teilzeit, jedoch nur knapp 18% der Männer.

Ein grosser Teil der übrigen Lohndifferenz hängt indirekt ebenfalls mit den unterschiedlichen Arbeitspensen zusammen. Denn Teilzeitarbeit ist ein zweischneidiges Schwert. Einerseits bietet sie die Möglichkeit, Beruf und familiäre Pflichten unter einen Hut zu bringen. Die hohe Teilzeitquote der Schweizer Frauen dürfte ein wichtiger Grund für deren hohe Erwerbsquote sein. Gleichzeitig bringt Teilzeitarbeit aber auch zahlreiche Nachteile mit sich. Sie führt nicht nur zu geringeren Einkommen, sondern verringert die Chancen massiv, im Unternehmen aufzusteigen. Denn nach wie vor sind Führungspositionen häufig an Vollzeitstellen gekoppelt. 2019 hatten in Unternehmen mit mehr als 50 Mitarbeitenden 86% aller Arbeitnehmenden in der Unternehmensleitung eine Vollzeitstelle inne (Berechnungen basierend auf der Schweizerischen Arbeitskräfteerhebung). Dies dürfte ein Grund sein, weshalb Frauen in Führungspositionen nach wie vor stark untervertreten sind. 2019 waren nur 27% aller Arbeitnehmenden in den Leitungsgremien von Unternehmen mit mehr als 50 Mitarbeitenden Frauen.

Teilzeitarbeit bedeutet aber auch, dass gewisse Arbeitsmarktsegmente gar nicht erst erreichbar sind. Viele sehr gut bezahlte Jobs, zum Beispiel in der Unternehmensberatung, dem Finanzsektor oder als Wirtschaftsanwalt, erfordern implizit oder explizit sehr lange Arbeitszeiten. Wer solch lange Arbeitszeiten nicht auf sich nehmen will oder kann, dem bleiben diese Hochlohnjobs verschlossen (vgl. Goldin 2014). Schliesslich führt Teilzeitarbeit zu einer schlechteren sozialen Absicherung. Dies gilt vor allem für die 2. Säule, wo der Koordinationsabzug und die Eintrittsschwelle dafür sorgen, dass mit Teilzeitpensen nur sehr wenig Alterskapital angespart wird. Eine direkte Folge davon sind deutlich tiefere Renten für Frauen in der 2. Säule. Gemäss Neurentenstatistik des BFS war die mittlere Altersrente aus der beruflichen Vorsorge der Männer mit Fr. 2144.– pro Monat (Median) fast doppelt so hoch wie diejenige der Frauen (Median von Fr. 1160.– pro Monat).

Das Private ist ökonomisch

G 6

Der Hauptgrund für die grossen Geschlechterunterschiede im Beschäftigungsgrad ist schnell gefunden: Frauen erledigen nach wie vor einen Grossteil der unbezahlten Arbeit. Dazu gehören unter anderem Kindererziehung, Pflege von Familienangehörigen, Essen zubereiten, Putzen oder Gartenarbeit. Während Frauen gemäss BFS pro Woche rund 30 Stunden für die unbezahlte Arbeit aufwenden, sind es bei Männern rund 20 Stunden. Die Differenz von 10 Stunden entspricht genau dem Unterschied der Anzahl Stunden, die Männer und Frauen mit Erwerbsarbeit verbringen (siehe Grafik G 6). Die ungleiche Aufteilung der Nichterwerbsarbeit ist der Hauptgrund für die Geschlechterunterschiede im Arbeitsmarkt. Sie führt nicht nur dazu, dass Frauen öfter Teilzeit arbeiten, sondern auch dazu, dass Frauen häufigere Erwerbsunterbrüche aufweisen, insbesondere nach der Geburt von Kindern. Studien zeigen, dass sich solche Erwerbsunterbrüche sehr nachteilig auf das Fortkommen im Arbeitsmarkt auswirken (Bertrand et al. 2010). Weil Frauen immer noch häufig die Hauptverantwortung für die Kindererziehung innehaben, müssen sie zudem oft Jobs in der Nähe ihres Wohnortes annehmen. Dies reduziert das Angebot an Stellen und kann dazu führen, dass Frauen gezwungen sind, schlechter bezahlte Jobs zu akzeptieren (Petrongolo und Ronchi 2020).

Der plausibelste Grund für die ungleiche Aufteilung von unbezahlter Hausarbeit ist die weiterhin starke Verankerung traditioneller Geschlechterrollenbilder. Und zwar nicht nur bei Stellensuchenden, sondern auch bei Arbeitgebern. Eine Untersuchung des Auswahlverhaltens von Rekrutierenden auf einer Online-Arbeitsmarktplattform zeigt, dass Männer, die eine Teilzeitstelle suchen, deutlich stärker abgestraft werden als Frauen, die Teilzeit arbeiten wollen, wenn es darum geht, ein Jobinterview zu ergattern (Kopp 2021). Soll die Geschlechterungleichheit auf dem Arbeitsmarkt weiter reduziert werden, müssen daher die Verteilung der unbezahlten Arbeit sowie die traditionellen Geschlechterrollenbilder stärker in den Fokus gerückt werden.

Literatur

Bertrand, M., C. Goldin, & L. F. Katz (2010): Dynamics of the gender gap for young professionals in the financial and corporate sectors. American economic journal: applied economics, 2(3), 228-55.

Cullen, Z. B. & R. Perez-Truglia (2019): The old boys' club: Schmoozing and the gender gap. NBER Working Paper 26530.

Goldin, C. (2014): A grand gender convergence: Its last chapter. American Economic Review, 104(4), 1091-1119.

Head-König, A. (2015): Frauenerwerbsarbeit. Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 05.03.2015, übersetzt aus dem Französischen. Online: externe Seitehttps://hls-dhs-dss.ch/de/articles/013908/2015-03-05/,konsultiert am 08.12.2021.

Kopp, D. (2021): Männer, die eine Teilzeitstelle suchen, werden benachteiligt. KOF Bulletin 154.

Petrongolo, B. & M. Ronchi (2020): Gender gaps and the structure of local labor markets. Labour Economics, 64, 101819.

Eine Aufzeichnung der Veranstaltung «KOF Beyond the Borders: 50 Jahre Frauenstimmrecht in der Schweiz. Wie weit sind wir mit der Gleichberechtigung?» finden Sie hier.

Kontakt

Dr. Daniel Kopp
Dozent am Departement Management, Technologie und Ökonomie
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KOF Konjunkturforschungsstelle
Leonhardstrasse 21
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Schweiz

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