Eine Perspektive aus dem All: Satellitendaten zur Ungleichheitsmessung

In grossen Teilen der Welt hat die ökonomische Ungleichheit in den letzten Jahrzehnten zugenommen, was mit sozialen und wirtschaftlichen Entwicklungen in Verbindung steht. Die Untersuchung dieses Phänomens wird jedoch durch die begrenzte Verfügbarkeit von konsistenten Ungleichheitsdaten erschwert. Eine Studie der KOF konstruiert ein Ungleichheitsmass basierend auf Satellitendaten. Die Grundidee ist dabei, dass die Lichtintensität die ökonomische Aktivität in einer geografischen Einheit abbildet.

Die Erstellung von globalen Ungleichheitsdatenbanken ist mit verschiedenen Herausforderungen verbunden: Quellen sowie Methoden variieren erheblich in der Qualität und Verfügbarkeit zwischen den Ländern, aber auch innerhalb desselben Landes über die Zeit. Traditionelle Ungleichheitsmasse stützen sich dabei in der Regel auf eine Mischung von Daten aus der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung, aus Haushaltsumfragedaten sowie aus Steuererklärungen. Alle genannten Quellen haben ihre Herausforderungen. Zum Beispiel neigen Haushaltsumfragen dazu, Stichproben mit zu wenigen wohlhabenden Haushalten zu ziehen. Daten aus der Volkwirtschaftlichen Gesamtrechnung und den Steuern sind oft nicht verfügbar, vor allem in Entwicklungsländern. Weitere Herausforderungen stellen Steuerhinterziehung und andere informelle Aktivitäten dar. Diese Messfehler können verzerrte Ergebnisse und Rückschlüsse generieren. Zudem führt eine Kombination von verschiedenen Quellen ebenfalls nicht zu einem vollständigen Datensatz.

Neuer Ansatz: Ungleichheitsmasse basierend auf Satellitendaten

Die vorliegende Studie verfolgt das Ziel, ein Mass für ökonomische Ungleichheit mit Hilfe von Satellitendaten zu konstruieren. Ähnlich der vorherrschenden wirtschaftswissenschaftlichen Literatur approximiert die Studie ökonomische Aktivität mit der Lichtintensität. Wichtig in diesem Kontext ist, dass die Lichtintensität nicht nur Einkommen, sondern auch Vermögen, Konsum sowie Ausgaben für Investitionen und Infrastruktur erfasst. Aus diesem Grund bildet das resultierende Ungleichheitsmass nicht lediglich Einkommens-, sondern eine generelle ökonomische Ungleichheit in einem Land ab.

Dafür nutzt die Studie die nächtliche Lichtaktivität (Night Lights), die vom Defense Meteorological Satellite Program (DMSP), einem Wetter-Satellitenprogramm der US-amerikanischen Streitkräfte, bereitgestellt wird. Diese Daten messen die Lichtausstrahlung gegen 21 Uhr zwischen der 75° nördlichen und 65° südlichen Breite. In dieses Spektrum fallen alle Länder der Welt, wobei Teile von sehr nördlichen Ländern abgeschnitten sind. Dies ist jedoch kein grosser Verlust, da diese Gebiete nahezu unbevölkert sind.

Satellitendaten haben mehrere Vorteile. Ein Vorteil liegt in ihrer Verfügbarkeit: Sie umfassen alle Länder der Welt seit 1992. Die Studie nutzt Jahresdaten der durchschnittlichen Lichtintensität, die zwischen 0 und 63 liegt, wobei 63 der höchsten Lichtintensität entspricht. Ein weiterer Vorteil ist die geografische Granularität: Jede Beobachtungseinheit umfasst lediglich 30 Bogensekunden, was am Äquator etwa einem Quadratkilometer entspricht. Diese Beobachtungseinheit wird auch als Pixel bezeichnet. Somit messen die Daten die jährliche Lichtintensität für jeden Quadratkilometer. In Grafik G 4 ist die Lichtintensität für Europa dargestellt. Dunklere Einfärbungen weisen auf eine höhere Lichtintensität hin. Die urbanen Regionen Europas sind deutlich zu erkennen. Insbesondere die Städte sind sehr dunkel eingefärbt. Die Alpen dagegen sind nahezu weiss.

G4

Satellitendaten in den Wirtschaftswissenschaften

Die Verwendung von Satellitendaten, insbesondere Daten zur nächtlichen Lichtintensität, hat in den Wirtschaftswissenschaften enorm zugenommen. Ökonominnen und Ökonomen verwenden diese Daten vor allem als Indikator für wirtschaftliche Aktivität. Henderson et al. (2012) sowie Pinkovskiy und Sala-i Martin (2016) nutzen diese Daten als Ergänzung zur volkwirtschaftlichen Gesamtrechnung, um die Wachstumsrate des Bruttoinlandprodukts auch in den Ländern zu schätzen, in denen keine adäquaten Daten gesammelt werden. Andere Anwendungen finden sich in regionalen Analysen (Hodler und Raschky, 2014) sowie bei der Berechnung von ethnischer Ungleichheit (Alesina et al., 2016).

Wo lebt die Bevölkerung?

Um ein Mass für ökonomische Ungleichheit zu berechnen, werden nicht nur Informationen zur ökonomischen Aktivität, sondern auch zur Bevölkerung benötigt. Für die Bevölkerungszahl verwendet die Studie zwei unterschiedliche Quellen, nämlich die Gridded Population of the World (GPW), welche von der Columbia Universität bereitgestellt wird, und die LandScan-Daten von dem Oak Ridge National Laboratory. Beide Quellen verfügen über Vor- und Nachteile. Die GPW-Daten umfassen auf regionaler Ebene gesammelte Zensusdaten, die auf das Level eines Pixels disaggregiert werden. Dies hat zur Folge, dass die Bevölkerung innerhalb einer Zensusregion gleichmässig auf alle Pixel aufgeteilt wird. Somit werden unter Umständen Teile der Bevölkerung in eigentlich unbewohnten Gebieten zugeteilt. Um solche Messfehler zu vermeiden, fasst die Studie die Lichtintensität ebenfalls für Zensusregionen zusammen und konstruieren so ein Mass für Ungleichheit auf der Ebene der Zensusregionen.

Die LandScan-Daten hingegen werden direkt auf Pixelebene erhoben, indem die Zensusdaten mit weiteren Daten zu Bodenbedeckung, Strassen, urbanen Gebieten, Ortslagen und weiteren Indikatoren kombiniert werden. Somit bilden diese Daten die Bevölkerung deutlich detaillierter ab. Die Unterschiede sind in Grafik G 5 zu beobachten. Der Nachteil dieser Daten besteht jedoch darin, dass diese nur begrenzt über die Zeit vergleichbar sind, da sich die Informationslage über die Zeit deutlich verbessert. Dadurch besteht die Gefahr, dass Änderungen in der Bevölkerungszahl in einem Gebiet nicht durch Migration, sondern durch eine verbesserte Datenqualität hervorgerufen werden.

Zusammenfassend kann man sagen, dass die GPW-Daten ein konsistenteres Bild über die Zeit zeigen, während die LandScan-Daten einen detaillierteren Einblick in die geografische Verteilung der Bevölkerung geben. Um die jeweiligen Vorteile jeder Quelle zu nutzen, kombiniert die Studie beide Datensätze und konstruiert Ungleichheitsmasse basierend auf beiden Quellen.

G5

Berechnung der Ungleichheit: Satellitendaten treffen auf Bevölkerungsdaten

Für die Berechnung der ökonomischen Ungleichheit werden die Satellitendaten mit den Bevölkerungsdaten kombiniert. Dabei verwendet die Studie den herkömmlichen Ansatz der Gini-Koeffizienten. Da keine Daten zu individuellen Einkommen vorliegen, berechnet die Studie die Ungleichheit basierend auf den jeweiligen geografischen Einheiten. Somit tauscht der Ansatz individuelle Einkommen durch ökonomische Aktivität in einem Pixel aus. Ein Pixel entspricht in etwa einem Quadratkilometer an Fläche. Aufgrund der unterschiedlichen Quellen für die Bevölkerungszahl werden verschiedene Gini-Koeffizienten für die jeweilige Quelle berechnet. Aus diesen unterschiedlichen Koeffizienten wird daraufhin ein gewichtetes Mass für Ungleichheit berechnet. Die Gewichte werden auf Basis der Korrelation mit einer weitverbreiteten Datenbank zu Einkommensungleichheit, nämlich der Standardized World Income Inequality Database (SWIID), gewählt. Da Einkommensungleichheit einen grossen Teil der ökonomischen Ungleichheit ausmacht, ist dieser Ansatz vertretbar. Abbildung 6 gibt einen Überblick über die resultierenden Masse für ökonomische Ungleichheit für jedes Land, wobei jeder Punkt den Durchschnitt über die Jahre 1992 bis 2013 repräsentiert. Die vertikale Achse misst die Gini-Koeffizienten, die auf Basis der Satellitenbilder berechnet wurden, die horizontale Achse bildet die Gini-Koeffizienten aus der SWIID ab.

Die Grösse der Punkte ist ein Indikator für die Datenqualität in den SWIID-Daten. Je grösser der Punkt, desto höher die Qualität. Die Grafik G 6 zeigt einen positiven Zusammenhang zwischen den beiden Ungleichheitsmassen. Die Korrelation ist besonders stark für Länder, die eine hohe Datenqualität in den herkömmlichen Massen haben. Somit bildet dieses Mass die ökonomische Ungleichheit gut ab. Auf der rechten Seite von Abbildung 6 sind zudem noch die Ungleichheitswerte für Länder abgebildet, die über keine Ungleichheitsdaten aus herkömmlichen Datenbanken verfügen. Für diese Länder stellt das verwendete Mass einen besonders bedeutenden Beitrag in der Ungleichheitsforschung dar.

G6

Relevanz für Forschung und Gesellschaft

Da die Analyse von ökonomischer Ungleichheit in den letzten Jahren stark zugenommen hat, ist ein geeignetes Mass unabdingbar. Die Ausweitung der Analysen auf Entwicklungsländer nimmt dadurch einen besonders hohen Stellenwert ein. Diese Länder können oft nicht auf herkömmliche Methoden zur Approximation von Einkommen und Vermögen zurückgreifen, da solche Daten oft gar nicht erst gesammelt werden. Aus diesem Grund ist das vorgestellte Mass für Ungleichheit insbesondere für Entwicklungsländer relevant. Allerdings können Satellitendaten auch in Industrieländern einen Beitrag zur Ungleichheitsforschung leisten. Selbst in wohlhabenderen Ländern ist der Zugang zu detaillierten Mikrodaten immer noch erschwert. Zudem weichen die verwendeten Berechnungen zwischen den Ländern ab. Die vorliegende Studie versucht, mit ihren Daten einen Beitrag zur zukünftigen gesellschaftsrelevanten Forschung zu leisten.

Die Satellitendaten sind externe Seitehier frei zum Download verfügbar.

Literatur

Alesina, A., S. Michalopoulos, and E. Papaioannou (2016): Ethnic Inequality. Journal of Political Economy 124(2), 428-488.

Galimberti, J. K., S. Pichler, and R. Pleninger (2021): Measuring Inequality using Geospatial Data. KOF Working Papers No. 493.

Henderson, J. V., A. Storeygard, and D. N. Weil (2012): Measuring Economic Growth from Outer Space. American Economic Review 102(2), 994-1028.

Hodler, R. and P. A. Raschky (2014): Regional Favoritism. The Quarterly Journal of Economics 129(2), 995-1033.

Pinkovskiy, M. and X. Sala-i-Martin (2016): Lights, Camera… Income! Illuminating the National Accounts-Household Surveys Debate. The Quarterly Journal of Economics 131(2), 579-631.
 

Kontakte

Dr. Regina Pleninger
Dr. Stefan Pichler
Dr. Jaqueson Galimberti
  • vCard Download

Ähnliche Themen

KOF Bulletin

JavaScript wurde auf Ihrem Browser deaktiviert