«Ein Modell ist nur so gut wie der Modell-Ingenieur»

KOF-Ökonom Heiner Mikosch erklärt im Interview, welche Daten und Algorithmen hinter dem neuen KOF Nowcasting Lab stecken und wie es sich von einer klassischen Konjunkturprognose unterscheidet.

Seit diesem Herbst liefert das KOF Nowcasting Lab täglich aktualisierte Prognosen für die Zuwachsrate des realen Bruttoinlandprodukts (BIP) für die Schweiz, den Euroraum und ausgewählte EU-Mitgliedsländer (Belgien, Deutschland, Frankreich, Italien, die Niederlande, Österreich, Spanien, Polen und Schweden) sowie das Vereinigte Königreich. KOF-Konjunkturexperte Heiner Mikosch erklärt die Funktionsweise des KOF Nowcasting Lab und spricht über mögliche Erweiterungen der Plattform.

Beim KOF Nowcasting Lab fliesst kein beurteilendes Expertenwissen ein und das Modell lernt selbständig. Heisst das, dass der Ökonom und die Ökonomin in Zukunft überflüssig werden und wir nur noch kluge Programmierer und Programmiererinnen brauchen?

Nein, ganz und gar nicht. Ökonometrische Modelle werden von Menschen gemacht. Alle Modelle sind eine Vereinfachung der Realität, um Komplexität zu reduzieren. Modelle können qua Ansatz nicht die ganze komplexe Realität widerspiegeln. Ein Modell ist nur so gut wie der Modell-Ingenieur, der dahintersteckt.

Wie funktioniert denn idealerweise die Zusammenarbeit zwischen dem Modell und dem Modellingenieur?

Wir Modellierer geben dem Modell eine bestimmte Realität vor und das ist ein notwendiger Ausschnitt der Realität. Was nicht funktioniert, ist in einem Modell alle Daten, die es auf der Welt gibt, einzuspeisen. Das Modell ist abhängig vom dem, was wir ihm geben. Das Modell versucht dann Zusammenhänge herzustellen, im Fall des KOF Nowcasting Lab zwischen gewissen vorlaufenden Indikatoren wie Unternehmensumfragen, Zinsen und der monatlich verfügbaren Industrieproduktion und dem Bruttoinlandprodukt (BIP). Ziel des Modells ist es, das BIP möglichst gut prognostizieren zu können.

Welchen Teil der Realität blendet das KOF Nowcasting Lab aus?

Wir müssen dem Modell einen Rahmen vorgeben. Modelle, wie sie auch im KOF Nowcasting Lab verwendet werden, beruhen in der Regel auf linearen Zusammenhängen. Das heisst, dass wir nicht lineare Zusammenhänge ausblenden. Jedes Modell bildet Teile der Realität ab. Andere Modelle können nicht lineare Zusammenhänge erfassen, haben dafür aber andere Schwächen. Deswegen ist ein Modellpluralismus, bei dem mehrere Modelle miteinander konkurrieren und sich ergänzen, wichtig.

Die Begriffe Machine Learning und Big Data sind heutzutage in aller Munde. Heisst das, dass der Forschende nur noch das Modell mit möglichst vielen Daten füttern muss, um so zu möglichst genauen Prognosen zu gelangen?

Nein. Machine Learning kann gut aus einer Masse von Daten für die Vergangenheit Zusammenhänge in einem Sample berechnen, hat aber seine Grenzen. Eine mathematische Erklärung der Vergangenheit zu finden, ist aus Sicht eines Prognostikers nur der erste Schritt. Für uns ist eine zutreffende Prognose der Zukunft die Königsklasse. Man geht dabei über den verfügbaren Datenstand hinaus und bewegt sich in ein neues Sample. Eine zentrale Erkenntnis dabei ist: Modelle, die funktionieren sollen, müssen einfach sein. Je komplexer wir die Modelle bauen, desto schlechter funktionieren sie nicht selten bei der Prognose. Es geht nicht nur um Big Data, sondern um Smart Data. Um es kurz technisch zu erklären: Das Bestimmungsmass R2 gibt den Anteil der Variation in den Daten, die das Modell erklären kann, an. Ab einem gewissen Punkt korreliert das R2 oft negativ mit der Prognosefähigkeit. Einen gewissen Minimalwert von R2 braucht man für eine gute Prognose. Aber ein Modell mit einem relativ hohen R2 liefert in der Regel schlechte Prognosen. Durch Komplexität dürfen keine Fehlsignale reinkommen.

Was ist der zentrale Unterschied zwischen dem KOF Nowcasting Lab und der vierteljährlichen Konjunkturprognose der KOF?

Der Unterschied zwischen einer vierteljährlichen Konjunkturprognose, wie wir sie bei der KOF erstellen, und dem KOF Nowcasting Lab ist fundamental. Bei der Konjunkturprognose der KOF fliessen sowohl mathematische Modellberechnungen als auch Experteneinschätzungen ein. Modellergebnisse werden von unseren Fachexperten, beispielsweise für den Arbeitsmarkt, für den Konsum oder für Investitionen, kritisch hinterfragt und nachjustiert. Der ökonomische Sachverstand ist bei einer Prognose mindestens genauso wichtig wie die reine mathematische Berechnung unserer Modelle. Wir würden nie ein unrealistisches Ergebnis eines Modells akzeptieren. Das ist beim KOF Nowcasting Lab anders. Da kann durchaus mal ein unrealistisches oder sogar völlig verrücktes Ergebnis rauskommen, ohne dass wir korrigierend eingreifen. Deswegen ist es auch ein Lab, also ein Labor mit experimentellem Charakter, das manchmal danebenliegt, aber manchmal auch erstaunlich gute Ergebnisse liefert.

Wie sieht die Zukunft des KOF Nowcasting Lab aus? In welche Richtung könnte es sich entwickeln?

Das KOF Nowcasting Lab ist nichts Fertiges, wir haben es absichtlich technisch offen für verschiedene Erweiterungen konzipiert. Das Lab ist umso lebendiger, je mehr alternative Modelle gleichzeitig auf der Plattform laufen. Deshalb würden wir uns über Forschungskooperationen mit anderen Instituten freuen.

Weitere Informationen zum KOF Nowcasting Lab finden Sie hier.

Hier kommen Sie direkt zum externe SeiteKOF Nowcasting Lab.

Kontakte

Dr. Heiner Mikosch
  • LEE G 205
  • +41 44 632 42 33

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Schweiz

Dr. Thomas Domjahn
  • LEE F 114
  • +41 44 632 53 44

KOF Bereich Zentrale Dienste
Leonhardstrasse 21
8092 Zürich
Schweiz

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