KOF-NZZ Ökonomenumfrage: Mehrheit der Wirtschaftsforscher befürchtet höhere Ungleichheit durch Corona-Krise

Die KOF hat im August gemeinsam mit der Neuen Zürcher Zeitung (NZZ) Ökonominnen und Ökonomen an Schweizer Hochschulen zu der Einkommens- und Vermögensungleichheit und damit verbunden der 99%-Initiative befragt. 70% der 142 Umfrageteilnehmenden gaben die Einschätzung ab, dass die Ungleichheit der verfügbaren Einkommen in der Schweiz durch die Corona-Krise bis zum heutigen Zeitpunkt zugenommen hat. Mehr als die Hälfte befürchtet auch langfristig eine Verschärfung der Einkommensungleichheit.

Im Kontext der 99%-Initiative und der Corona-Krise wurde in den vergangenen Monaten die ökonomische Ungleichheit in der Öffentlichkeit verstärkt thematisiert. Bezüglich des kurzfristigen Einflusses der Corona-Krise auf die Verteilung der verfügbaren Einkommen in der Schweiz sind sich die befragten Ökonominnen und Ökonomen relativ einig: Knapp 70% der Forschenden gaben die Einschätzung ab, dass sich die Ungleichheit bis zum Sommer 2021 (stark) akzentuiert hat (siehe Grafik G 4). 26% gehen dagegen von keinem Effekt aus und lediglich 1% von einer Schliessung der Schere zwischen Arm und Reich.1 Grund für die Verschärfung der Ungleichheit durch die Pandemie dürfte sein, dass geringer Verdienende eher von Kurzarbeit und Arbeitslosigkeit betroffen waren.2 Viele Wirtschaftszweige mit einem hohen Anteil an Tieflohnstellen waren überdurchschnittlich stark von den behördlichen Massnahmen zur Pandemiebekämpfung beeinträchtigt, beispielhaft dafür sind insbesondere die Branchen Detailhandel, Gastronomie und Beherbergung. Andere Branchen mit einem höheren Anteil von Besserverdienenden hatten dagegen eher die Möglichkeit, ins Homeoffice auszuweichen.

Ungleichheit verfügbare Einkommen

Auch hinsichtlich der langfristigen Entwicklung der Ungleichheit geht eine Mehrheit von einer Öffnung der Einkommensschere aus: 58% der Umfrageteilnehmenden befürchten langfristig eine höhere Ungleichheit (siehe Grafik G 5). Immerhin 39% der Wirtschaftswissenschaftler sind der Überzeugung, dass die Pandemie langfristig keinen Einfluss auf die Einkommensverteilung haben wird. 2% erwarten eine Angleichung der Einkommen. Die langfristige Entwicklung der Ungleichheit dürfte von der kommenden Erholung der Wirtschaft abhängen, hierbei werden der Rückgang der Arbeitslosigkeit wie auch der Strukturwandel eine Rolle spielen. Zudem stellt sich die Frage, ob oder wie sich die Pandemie auf den Bildungserfolg und damit auch auf die zukünftigen Einkommensmöglichkeiten von Kindern aus Haushalten mit unterschiedlicher Einkommenshöhe ausgewirkt hat. War etwa der Lernfortschritt im Heimunterricht von Kindern aus einkommensschwachen Haushalten geringer?

Ungleichheit verfügbare Einkommen langfristig

Vermögens- und Einkommensungleichheit hemmt Wirtschaftswachstum

Die Einkommens- und Vermögensungleichheit in der Schweiz kann im internationalen Vergleich als durchschnittlich angesehen werden.3 Allerdings ist der Anteil der sehr vermögenden Haushalte in der Schweiz relativ hoch. Gemäss den Umfrageresultaten ist fast die Hälfte der Befragten der Ansicht, dass das gegenwärtige Niveau der Vermögensungleichheit in der Schweiz die langfristige wirtschaftliche Entwicklung (eher) hemmt und 16%, dass dies (eher) wachstumsfördernd ist (siehe Grafik G 6). Die momentane Einkommensungleichheit sieht ein kleinerer Anteil (37%) als (eher) wachstumshemmend an (siehe Grafik G 7). 24% der Wirtschaftswissenschaftler erachten die Einkommensungleichheit als wachstumsfördernd. Die übrigen gehen von keinem Effekt aus.

Effekt Vermögensungleichheit
Effekt Einkommensungleichheit

Wirtschaftsforscher tendieren dazu, Kapitaleinkommen höher als Erwerbseinkommen besteuern zu wollen

In der Ökonomenumfrage vom August wurde auch die Volksinitiative «Löhne entlasten, Kapital gerecht besteuern» (inoffiziell «99%-Initiative») thematisiert, welche am 26. September 2021 vom Schweizer Stimmvolk abgelehnt wurde. Ziel der 99%-Initiative war, die soziale Gerechtigkeit zu erhöhen, indem Kapitaleinkommen (z. B. Zinsen und Dividenden) über einem bestimmten Freibetrag 1.5-mal so stark wie Arbeitseinkommen besteuert werden. Die daraus resultierenden Mehreinnahmen sollten zur Senkung der Einkommenssteuern für Menschen mit niedrigen bis mittleren Arbeitseinkommen und zur Finanzierung von Ausgaben für die soziale Wohlfahrt, Bildung und Gesundheit verwendet werden. Für die Bewertung des Verhältnisses der Besteuerung von Kapital- zu Arbeitseinkommen können verschiedene Faktoren eine Rolle spielen. Einerseits können Verteilungsfragen in den Überlegungen berücksichtigt werden. Negative Aspekte der ökonomischen Ungleichheit sind beispielsweise die Gefährdung des sozialen und politischen Zusammenhaltes oder ineffizient tiefe Investitionen in das Humankapital. Ein anderer Faktor ist die Effizienz der Besteuerung, die eher dafür sprechen würde, mobile Faktoren (etwa Kapital) geringer zu besteuern als immobile (dazu werden eher die Arbeitskräfte gezählt). Die Wirtschaftswissenschaftler wurden gefragt, ob aus ökonomischer Sicht Kapital- oder Arbeitseinkommen höher besteuert werden sollen (siehe Grafik G 8). 43% vertreten die Meinung, dass Kapitaleinkommen (leicht) höher besteuert werden soll. 39% befürworten hingegen einen gleich hohen Steuersatz und 14% eine (leicht) höhere Besteuerung der Löhne.

Besteuerung Kapitaleinkommen

Erbschafts- und Schenkungssteuer und Bildungswesen am besten geeignet, um Ungleichheit abzubauen

Doch ist die Besteuerung von Kapitaleinkommen ein zentrales Instrument, um eine zu hohe Ungleichheit zu reduzieren, oder sind andere steuerpolitische Instrumente besser geeignet? Die befragten Ökonominnen und Ökonomen sehen die Erbschafts- und Schenkungssteuer als das wirksamste steuerpolitische Instrument an (siehe Grafik G 9). Im Gegensatz zu anderen Instrumenten ist eine Besteuerung von Erbschaften und Schenkungen vorteilhaft, weil sie nicht eine produktive Leistung unattraktiv macht. Am zweit- und dritthäufigsten genannt wurden die Vermögens- und Kapitaleinkommenssteuern. Weniger zur Debatte stehen dagegen die Unternehmenssteuern, Steuern auf Erwerbseinkommen und Mehrwertsteuern.

Steuerpolitische Instrumente zur Reduktion der Ungleichheit

Bezüglich der nicht steuerpolitischen Instrumente sind sich die Wirtschaftswissenschaftler relativ einig: Die Sicherung von Bildungschancen wird als primäres Instrument zur Verringerung der Ungleichheit angesehen (siehe Grafik G 10). Auch die Subventionierung von Betreuungsaufwendungen, die Einführung von einem Mindestlohn und die Subventionierung von Gesundheitsleistungen stellen geeignete nicht steuerpolitische Instrumente dar. Als unwesentlicher gelten gemäss den befragten Volkswirtinnen und Volkswirte dagegen der Ausbau der Sozialleistungen wie auch geldpolitische Instrumente.

Nicht steuerpolitische Instrumente zur Reduktion der Ungleichheit

Die Umfrageteilnehmenden gaben zudem an, welcher Art der Instrumente ein höheres Gewicht gegeben werden soll, um eine zu hohe Ungleichheit zu reduzieren. 37% der Ökonominnen und Ökonomen sprechen sich für eine gleiche Gewichtung der beiden Instrumente aus (siehe Grafik G 11). Bei der Wahl zwischen den beiden Instrumentenarten wird eine höhere Gewichtung von steuerpolitischen (30%) im Gegensatz zu nicht steuerpolitischen Instrumenten (22%) bevorzugt. Die restlichen würden keines der Instrumente verwenden.

Gewicht der Instrumente

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1) Die restlichen zogen es vor, nicht zu antworten.

2) https://doi.org/10.3929/ethz-b-000472065

3) Siehe zum Beispiel externe Seitehier.

Weitere Informationen zur KOF-NZZ Ökonomenumfrage finden Sie hier.

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Professur f. Wirtschaftsforschung
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