Gesamtwirtschaftliche Unsicherheit und die Rolle des Kündigungsschutzes

Der Einfluss von Unsicherheit auf die Konjunktur wurde zuletzt im Rahmen der COVID-19-Pandemie verdeutlicht, war aber auch in vorherigen Krisen ein mitentscheidender Faktor. Eine aktuelle Studie der KOF untersucht in einer länderübergreifenden Analyse den Einfluss von Unsicherheit auf die wirtschaftliche Entwicklung. Der Fokus der Studie ist die Rolle des Kündigungsschutzes in der Übertragung von plötzlich auftretenden Unsicherheitsperioden auf die wirtschaftliche Entwicklung.

Phasen hoher Unsicherheit fallen vorwiegend mit Etappen konjunktureller Schwäche zusammen. Gemäss ökonomischer Theorie liegt das unter anderem am abwartenden Verhalten von Unternehmen und Konsumenten. Beide sind in Zeiten erhöhter Unsicherheit zögerlich mit Ausgaben sowie Neuanschaffungen und vertagen Entscheidungen. Dies mindert die Gesamtnachfrage in einer Ökonomie und führt zu einer Abschwächung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung.

Der Einfluss von Unsicherheit auf die wirtschaftliche Aktivität

Ökonomische Unsicherheit kann sich über vielfältige Kanäle auf den wirtschaftlichen Verlauf auswirken. Der bekannteste Kanal ist der bereits oben geschilderte Mechanismus des Abwartens, die sogenannten «Real-Options»-Theorie. Gemäss dieser Theorie kann die Entscheidungsfindung von Unternehmen (aber auch Konsumenten) in einer Aneinanderreihung von Optionen dargestellt werden. Je unsicherer nun z.B. die zukünftige Nachfrage des Unternehmens wird, umso eher wird es sich für die Option entscheiden, abzuwarten, bis sich die Unsicherheit auflöst, und keine neuen Mitarbeiter einstellen. Denn die zusätzlichen Einstellungen sind mit Kosten verbunden und das Unternehmen befürchtet, auf diesen Kosten sitzen zu bleiben, falls es den neuen Mitarbeiter oder die neue Mitarbeiterin anschliessend nicht benötigt. Die Einstellungskosten beinhalten u.a. Suchkosten, Registrierungskosten und Einschulungskosten. Zudem werden auch die Kosten, die im Rahmen eventueller Entlassungen anfallen würden, bereits bei der Einstellungsentscheidung mitberücksichtigt. Sobald sich die Unsicherheit um die Nachfrage herum aufgelöst hat, wird das Unternehmen dazu übergehen, auf die erhöhte Nachfrage zu reagieren und die aufgeschobenen Entscheidungen nachzuholen. Interessant hierbei ist, dass bei gleicher Unsicherheit höhere Anpassungskosten zu einem verstärkten Abwarten führen.

Globale Unsicherheit auf Basis von Datenrevisionen

Wie wird gesamtwirtschaftliche Unsicherheit gemessen?    

Für eine empirische Überprüfung dieser theoretischen Zusammenhänge sind präzise Unsicherheitsmasse unabdingbar. In der Forschung gibt es verschiedene Ansätze, Unsicherheit zu messen. Die Bandbreite reicht dabei von einfachen Textanalysemethoden bis zu hochkomplexen statistischen Verfahren. Eine neue Studie der KOF zeigt auf, wie Unsicherheit auf Basis von Revisionen in gesamtwirtschaftlichen Statistiken, wie z.B. von Revisionen des Bruttoinlandproduktes (BIP), geschätzt werden kann. Revisionen im BIP entstehen, weil den offiziellen Statistikämtern zum Zeitpunkt der Erstellung nicht alle Informationen zur Verfügung stehen. Um das BIP dennoch erstellen zu können, sind die statistischen Ämter auf Schätzungen von Unterkomponenten angewiesen. Nun ist die Güte dieser Prognosen eng mit der Entwicklung der gesamtwirtschaftlichen Unsicherheit verbunden. Die Datenrevisionsmethode macht sich genau diesen Zusammenhang zunutze. Durch den Einsatz von Machine-Learning-Verfahren werden aus Datenrevisionen Unsicherheitsindikatoren konstruiert. Im Vergleich zu vielen anderen Indikatoren kann diese neue Methode den genauen Zeitpunkt gesamtwirtschaftlicher Unsicherheit exakter einschätzen. Zudem kommt sie dem ökonomischen Konzept von Unsicherheit sehr nahe. Wichtiger noch ist, dass es diese Methode erlaubt, konsistente Unsicherheitsindikatoren für 39 Länder zu erstellen (Grafik G 3 stellt den aggregierten globalen Indikator dar). Dieser Umstand ermöglicht eine länderübergreifende Analyse des Zusammenhangs von Unsicherheit sowie wirtschaftlicher Entwicklung und erlaubt eine fundiertere Untersuchung der Effekte von Unsicherheit auf die wirtschaftliche Entwicklung.  

Länder mit starkem und weniger starkem Kündigungsschutz

Die Rolle des Kündigungsschutzes bei der Dämpfung von Unsicherheitseffekten

Die KOF-Studie nutzt die neuen Unsicherheitsmasse, um die Rolle von Entlassungskosten für die Auswirkungen von Unsicherheit auf die wirtschaftliche Entwicklung genauer zu untersuchen. In der Studie wurden die zu analysierenden Länder in zwei Gruppen aufgeteilt: eine Gruppe mit hohem Arbeitnehmerschutz und eine mit niedrigem Arbeitnehmerschutz. Zu den Ländern mit einem hohen Arbeiternehmerschutz gehören unter anderem Schweden und Deutschland, wohingegen die angelsächsischen Länder einen eher niedrigen Arbeitnehmerschutz aufweisen (siehe Tabelle T 1). Die Schweiz ist hier im Mittelfeld angesiedelt. Dies betrifft sowohl die Regulierung von Einzel- und Massenentlassungen als auch die Restriktionen bezüglich der Nutzung von Leiharbeitsverträgen. Die Ergebnisse der Analyse deuten darauf hin, dass der Grad des Arbeitsschutzes eine entscheidende Rolle bei den Unsicherheitseffekten spielt. Die dynamischen Effekte von Unsicherheit auf das BIP, die Investitionen, die Beschäftigung sowie auf den Konsum sind in Ländern mit niedrigem Kündigungsschutz negativer und länger anhaltend als in Ländern mit hohem Kündigungsschutz (siehe Grafik G 4). Diese Ergebnisse können damit erklärt werden, dass es in Ländern mit strengerer Kündigungsschutzgesetzgebung für Unternehmen teurer ist, Beschäftigung abzubauen. Folglich kann die Beschäftigung angesichts erhöhter Unsicherheit weniger stark verändert werden. Bei einer wirtschaftlichen Erholung können die Unternehmen, die zurückhaltender beim Beschäftigungsabbau waren, auf ihre verbliebenen Angestellten zurückgreifen und ihre Produktionskapazitäten in einer Aufschwungsphase somit einfacher erweitern. Zudem fahren die Unternehmen aufgrund der geringeren Reaktion der Beschäftigung ihre Investitionen weniger stark herunter, so dass die Produktion in einem geringeren Masse schrumpft. Ein starker Kündigungsschutz schlägt sich in einer höheren Arbeitsplatzsicherheit der Arbeitnehmer nieder. Somit lässt ein Anstieg der Unsicherheit die Arbeitnehmer weniger um ihr zukünftiges Einkommen bangen als im Falle eines schwachen Kündigungsschutzes. Die Haushalte erhöhen daher das sogenannte Vorsichtssparen nicht so stark und senken den Konsum in geringerem Umfang.

Dynamische Unsicherheitseffekte

Literatur

Dibiasi A. and S. Sarferaz (2020): Measuring macroeconomic uncertainty: a cross-country analysis. KOF Working Papers No. 479, 1–44, externe Seitehttps://doi.org/10.3929/ethz-b-000420180

Kontakt

Dr. Samad Sarferaz
Dozent am Departement Management, Technologie und Ökonomie
  • LEE G 302
  • +41 44 632 54 32

KOF Konjunkturforschungsstelle
Leonhardstrasse 21
8092 Zürich
Schweiz

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