Wie grosse Sportereignisse das Schweizer BIP verzerren

In diesem Jahr stehen zwei grosse Sportereignisse auf dem Programm: die Fussball-Europameisterschaft und die Olympischen Spiele in Tokio. Die dahinterstehenden Sportorganisationen, die UEFA und das IOC, haben beide ihren Hauptsitz in der Schweiz. Und so wirken sich die Wettkämpfe indirekt auch ökonomisch auf das Schweizer Bruttoinlandprodukt aus. 

Fussball

Seit 1896 finden die Olympischen Spiele der Neuzeit statt. Die Fussball-Weltmeisterschaft wird seit 1930 alle vier Jahre ausgetragen, die Fussball-Europameisterschaft seit 1960. Solche grossen Sportereignisse sind nicht nur für Leichtathletik- und Fussball-Fans interessant. Auch die Wirtschaftsleistung eines Landes wird durch diese publikumswirksamen Wettkämpfe beeinflusst. So erhält in der Regel der Tourismus im Gastgeberland einen Schub. Auch die Einnahmen durch Ticketverkäufe fliessen an die Veranstalter. Schliesslich ist auch die Bautätigkeit für Stadien und die Infrastruktur wirtschaftsfördernd.

Die Schweiz verdient an Sportereignissen mit

Doch selbst wenn die Olympischen Spiele wie in diesem Jahr (sofern sie denn nicht coronabedingt abgesagt werden) im fernen Asien stattfinden, verdient die Schweiz indirekt mit. Denn in der Schweiz sitzen neben dem Weltfussballverband FIFA, dem europäischen Fussballverband UEFA auch das Internationale Olympische Komitee IOC. Und diese Organisationen verbuchen alle vier Jahre durch den Verkauf von Fernseh- und Markenrechten hohe Einnahmen. «Die Schweiz ist ein relativ kleines Land. Deshalb wirken sich die Einnahmen spürbar auf das Schweizer Bruttoinlandprodukt aus», erklärt Yngve Abrahamsen, der an der KOF die Sektion Schweizer Konjunktur leitet. Den Einnahmen stehen allerdings Ausgaben gegenüber. Denn Organisationen wie die FIFA oder das IOC müssen wiederum Agenturen mit den Dreharbeiten beauftragen. «Die Differenz ist die Wertschöpfung und nur die ist BIP-relevant», sagt Abrahamsen. Diese Differenz sei nicht zu unterschätzen. Sie beträgt nach Berechnungen der KOF in WM- und Olympiajahren rund 0.4 Prozentpunkte des BIP-Wachstums. In den Folgejahren gibt es diesen Effekt dann allerdings nicht, so dass die Differenz zwischen einem WM- oder Olympiajahr und dem darauf folgenden Jahr ca. 0.8% des BIP beträgt. Aus diesem Grund weist die KOF seit 2017 ein BIP mit und ein BIP ohne Sportereignisse aus. «Diese Rechenmethode hat sich bewährt und mittlerweile durchgesetzt», so Abrahamsen. Viele Schweizer Institutionen benutzen mittlerweile ähnliche Rechenmethoden. Eine EM fällt übrigens weniger stark ins Gewicht als eine WM oder die Olympischen Spiele. Doch auch bei einer Europameisterschaft gibt es prinzipiell den gleichen Effekt, wenn auch quantitativ geringer ausgeprägt.

Sporteffekt wurde lange übersehen

Das Herausrechnen der Sportereignisse ergibt aus der prognostischen Perspektive deshalb Sinn, weil sie nicht mit dem klassischen Konjunkturverlauf zu tun haben. Das BIP ohne Sportereignisse gibt somit bessere Aufschlüsse über den tatsächlichen Konjunkturverlauf. «Das BIP mit Sportereignissen geht erratisch hoch und runter und ist deshalb schwer zu interpretieren. Das hatten Ökonomen lange Zeit nicht auf dem Radar», sagt Abrahamsen.

Reales Wachstum der Bruttowertschöpfung Kanton Waadt in Prozent

Je kleiner ein Wirtschaftsraum ist, desto grösser fallen solche Effekte relativ gesehen aus. So schwankt die Wertschöpfung im Kanton Waadt, der momentan 26 internationale Sportverbände und 20 internationale Sportorganisationen beherbergt, vor allem rund um Olympia-Jahre wie 2012 und 2016 beträchtlich (siehe G 4). Ein Land mit einem grossen BIP wie Grossbritannien kennt solche Effekte dagegen kaum, obwohl das Land zum Beispiel den Internationalen Tennisweltverband ITF beheimatet. Die zusätzliche Wertschöpfung fällt dort einfach kaum ins Gewicht.

Kaum Arbeitsmarkteffekte in der Schweiz

Auf den Arbeitsmarkt wirken sich die BIP-Schwankungen in der Schweiz übrigens kaum aus. «Die Sportorganisationen haben natürlich Angestellte. Aber diese sind dauerhaft angestellt und es findet kaum Personalaufbau in WM- und Olympia-Jahren statt», so Abrahamsen. Ein temporärer Arbeitsplatzaufbau sei eher in den Austragungsorten zu beobachten.

In diesem Jahr, in dem – Stand heute – eine Europameisterschaft und die Olympischen Spiele in Tokio stattfinden, fällt der Sporteffekt allerdings pandemiebedingt kleiner aus als sonst. Die KOF rechnet damit, dass sich das Schweizer-BIP durch die Sportereignisse nur um 0.2% statt wie üblich um 0.4% erhöht. Das hänge damit zusammen, dass die Fernsehstationen beim Kauf der Übertragungsrechte voraussichtlich einen Corona-Nachlass bekommen, erklärt Abrahamsen. Zudem seien die Produktionskosten für die Übertragung durch die Corona-Schutzmassnahmen höher als sonst, so dass die Differenz zwischen Einnahmen und Vorleistungen, also die BIP-relevante Wertschöpfung, geringer ausfällt.

Kontakt

Yngve Abrahamsen
  • LEE G 116

KOF FB Konjunktur
Leonhardstrasse 21
8092 Zürich
Schweiz

Dr. Thomas Domjahn
  • LEE F 114
  • +41 44 632 53 44

KOF Bereich Zentrale Dienste
Leonhardstrasse 21
8092 Zürich
Schweiz

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