Die Lage auf dem Arbeitsmarkt bleibt angespannt

Auf dem Papier ist die Beschäftigung in der Schweiz trotz der Corona-Krise kaum gesunken. Doch ein Blick hinter die Kulissen zeigt, dass die Pandemie und ihre wirtschaftlichen Auswirkungen auch den Arbeitsmarkt in Mitleidenschaft gezogen haben. Viele Firmen werden weiterhin zurückhaltend sein, in grossem Stil neue Stellen zu schaffen, bis sich die derzeitige Unsicherheit gelegt hat.

Es ist schon erstaunlich: Da wird die Schweizer Volkswirtschaft im Jahr 2020 von der schlimmsten Wirtschaftskrise seit Jahrzehnten heimgesucht, doch Ende Jahr sind fast gleich viele Personen beschäftigt wie ein Jahr zuvor. In Vollzeitäquivalenten ausgedrückt, waren Ende 2020 nur 0.3% weniger Personen beschäftigt als Ende 2019. Die Zahl der Erwerbstätigen lag gemäss der schweizerischen Arbeitskräfteerhebung im 4. Quartal 2020 ebenfalls praktisch wieder auf dem Niveau des Vorjahres. Ein genauerer Blick in die Arbeitsmarktdaten offenbart allerdings, dass diese Zahlen nur die eine Seite der Medaille zeigen. Das hat mindestens drei Gründe.

Erstens sank die Erwerbstätigenrate, d.h. der Anteil der Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter, der erwerbstätig ist. Ursächlich hierfür ist, dass auch 2020 die Bevölkerung der Schweiz wuchs. Gemäss den aktuellen Bevölkerungsszenarien der KOF nahm die ständige Wohnbevölkerung der Schweiz im vergangenen Jahr um 0.7% zu. Die erwerbsfähige Bevölkerung, d.h. Personen im Alter von 15 bis 64 Jahren, dürfte sich um 27 000 Personen vergrössert haben – ein Plus von 0.5%. Das Bevölkerungswachstum resultiert unter anderem aus einem positiven internationalen Wanderungssaldo. Gemäss aktuellen Zahlen des Staatssekretariats für Migration wanderten trotz COVID-Krise netto wie bereits im Vorjahr rund 55 000 Ausländer und Ausländerinnen in die Schweiz ein.

Die Grafik G 11 zeigt die Erwerbstätigenrate für vier Altersgruppen. Sie zeigt, dass es vor allem bei den beiden jüngeren Personengruppen zu einem Rückgang der Erwerbstätigenrate kam. Bei den 15- bis 24-Jährigen lag diese im 4. Quartal 2020 gut einen Prozentpunkt unter dem Vorkrisenniveau. Die Grafik suggeriert, dass die COVID-Krise bis dato vor allem für jüngere Personen die Chance reduzierte, einer Erwerbstätigkeit nachzugehen. Entsprechend gibt es gemäss Zahlen des Bundesamtes für Statistik gegenwärtig wesentlich mehr jüngere Personen, die zwar grundsätzlich zur Aufnahme einer Beschäftigung bereit wären, aber nicht aktiv danach suchen. Dies dürfte unter anderem darauf zurückzuführen sein, dass jüngere Arbeitnehmende überdurchschnittlich oft in den stark von der Krise betroffenen Branchen tätig sind.

Erwerbstätige

Staatsnahe Branchen stützen gesamtwirtschaftliches Beschäftigungswachstum

Ein zweiter Grund, warum die offiziellen Zahlen die Arbeitsmarktauswirkungen der COVID-Krise überdecken, ist, dass die gesamtwirtschaftlichen Beschäftigungszahlen wesentlich vom Beschäftigungsaufbau der staatsnahen Branchen getragen wurden. In den privaten Wirtschaftssektoren haben hingegen die meisten Branchen ihren Personalbestand abgebaut – in einigen Branchen sogar massiv.

Die Grafik G 12 zeigt, wie sich die vollzeitäquivalente Beschäftigung in verschiedenen Branchen zwischen Ende 2019 und Ende 2020 veränderte. Die Unterschiede innerhalb der Branchen sind gravierend. In einigen Branchen des Dienstleistungssektors kam es trotz oder sogar wegen der Krise zu einem beachtlichen Stellenzuwachs. So stieg die vollzeitäquivalente Beschäftigung bei den Banken (2%), Versicherungen (1.7%) und der Informations- und Kommunikationsbranche (2.2%), wobei hier nahezu nur die IT-Branche (+4.5%) beitrug. Stark gewachsen sind aber auch die staatsnahen Dienstleistungsbranchen wie das Gesundheits- und Sozialwesen (3%) sowie das Erziehungswesen (2.3%). Auch die öffentliche Verwaltung im engeren Sinn schuf im vergangenen Jahr gut 3 000 neue vollzeitäquivalente Stellen (2%). Hingegen kam es 2020 im Gastgewerbe, bei den Herstellern elektrischer Ausrüstung und bei den übrigen wirtschaftlichen Dienstleistern, zu denen die Reinigungs- und Temporärbranche sowie Reisebüros zählen, zu einem massiven Stellenverlust von mehr als 5%.

Beshcäftigungsentwicklung

In der Gastronomie ging trotz massiver Kurzarbeit jede sechste Stelle verloren

Die Grafik G 13 betrachtet die Entwicklung der Beschäftigung in einigen der von der Krise besonders betroffenen Dienstleistungsbranchen genauer. Den grössten Beschäftigungsrückgang verzeichnete die Gastronomie. In Restaurants, Bars und bei Cateringunternehmen ging im Verlauf des vergangenen Jahres fast jede sechste Stelle verloren – obwohl die Branche stark auf Kurzarbeit zurückgriff. Schlecht lief es auch in der Beherbergung und in der Schiff- und Luftfahrt mit einem Beschäftigungsrückgang von rund 7%. Immerhin kam es bei der Hotellerie und anderen Beherbergungsstätten – nach einem gravierenden Einbruch in der ersten Jahreshälfte – seit dem Sommer zu einer gewissen Erholung. Auch die Vermittlungsbranche verzeichnete nach einem massiven Beschäftigungsrückgang im ersten Halbjahr eine leichte Erholung in der zweiten Jahreshälfte. Temporärbeschäftigte, die in guten Zeiten als flexible Arbeitskräfte eingesetzt werden, um Nachfragespitzen zu decken, sind in Krisenzeiten, in denen diese Nachfragespitzen wegbrechen, mitunter die ersten, die entlassen werden.

«VZÄ-Beschäftigung in ausgewählten Dienstleistungsbranchen»

Im Detailhandel, der ebenfalls stark von den Eindämmungsmassnahmen betroffen war, kam es 2020 hingegen zu einem Stellenzuwachs. Ende 2020 gab es rund 1.7% VZÄ-Beschäftigte mehr als im Jahr zuvor. Dies stellt einen Bruch der Beschäftigungsentwicklung im Detailhandel dar: Zuvor war die Beschäftigung während Jahren rückläufig gewesen. Allerdings dürften diese Zahlen grosse Unterschiede zwischen einzelnen Betrieben innerhalb der Branche verbergen.

Der Arbeitsausfall war in der Krise so gross wie der Wertschöpfungseinbruch

Der wichtigste Grund, warum die Beschäftigungszahlen das Ausmass der Krise verschleiern, ist aber, dass die Corona-Krise zu einer massiven Reduktion der Arbeitszeit führte. Dies ist auf die Kurzarbeit zurückzuführen. Dank dieser konnten die Firmen das Arbeitsvolumen im Betrieb – und damit die Lohnkosten – reduzieren, ohne Entlassungen aussprechen zu müssen.

Beschäftigte, für die Kurzarbeit abgerechnet wird, werden in den Beschäftigungszahlen vollständig mitgezählt. Dadurch unterzeichnen die Beschäftigungs- und Erwerbstätigenzahlen den Arbeitsausfall, den die Krise verursachte, massiv. Dies illustriert die Grafik G 14. Sie zeigt, wie sich das reale Bruttoinlandprodukt (BIP), die Zahl der Erwerbstätigen, die Arbeitszeit pro Erwerbstätigen und das gesamte Arbeitsvolumen – das Total aller geleisteten Arbeitsstunden der Erwerbstätigen – im Krisenjahr 2020 entwickelten. Die Grafik verwendet dafür Zahlen zur Arbeitszeit pro Erwerbstätigen, welche das Bundesamt für Statistik (BFS) veröffentlicht. Die Grundlage der Daten ist die schweizerische Arbeitskräfteerhebung.

«Arbeitsausfall in der COVID-Krise»

Die Grafik zeigt, wie gravierend die Arbeitszeit pro Erwerbstätigen im Jahr 2020 einbrach. Im 2. Quartal betrug der Rückgang im Vergleich zum 4. Quartal 2019 rund 10%. Auch im 3. und 4. Quartal verharrte die Arbeitszeit pro Erwerbstätigen mindestens 2% unter dem Vorkrisenniveau. Der Rückgang der Arbeitsstunden pro Erwerbstätigen war gemäss den Daten wenigstens so gross wie der BIP-Einbruch. Jene Firmen, deren Nachfrage wegbrach oder deren Tätigkeit eingeschränkt wurde, übertrugen ihren Wertschöpfungseinbruch auf die Arbeitsstunden ihrer Belegschaft. Da trotz Kurzarbeit die Erwerbstätigenzahl (rot gestrichelte Linie) zeitweise abnahm, war der Rückgang des Arbeitsstundentotals – d.h. die Arbeitsstunden, die alle Erwerbstätigen zusammen geleistet haben (grüne Linie) – gemäss den Daten für das 2. bis 4. Quartal 2020 sogar grösser als der BIP-Einbruch.

Die Grafik hat zumindest zwei zentrale Implikationen. Erstens: Viele Erwerbstätige bekamen die Wucht der Krise über eine Reduktion ihrer Arbeitszeit zu spüren. Zweitens: Die Arbeitsproduktivität – die Wertschöpfung pro Arbeits-
stunde – war zum Jahresende möglicherweise höher als zu Beginn des Jahres, da das reale BIP ohne Sport im 4. Quartal weniger gesunken ist als das Total der Arbeitsstunden. Würde man die Arbeitsproduktivität stattdessen mit dem BIP pro Erwerbstätigen messen, käme man zu einem gegenteiligen Resultat.

Kurzarbeit fast sechsmal höher als während der Finanzkrise

Die massive Reduktion der Arbeitszeit pro Erwerbstätigen während der Krise ist eine zentrale Wirkung der breitflächigen Anwendung der Kurzarbeit. Auf dem Höhepunkt des ersten Lockdowns im April 2020 wurde für 1.34 Mio. Arbeitnehmende und damit rund 28% aller Arbeitnehmenden in der Schweiz Kurzarbeit abgerechnet. Im November 2020 rechneten immer noch 38 300 Betriebe für fast 330 000 Beschäftigte Kurzarbeit ab. Um den Jahreswechsel stieg der Rückgriff der Firmen auf Kurzarbeit erneut stark an, nachdem die Eindämmungsmassnahmen im Dezember verschärft und neuerliche Betriebsschliessungen beschlossen wurden. Basierend auf den Voranmeldedaten, ist davon auszugehen, dass im Februar 2021 für 500 000 bis 600 000 Beschäftigte Kurzarbeit abgerechnet wird. Damit waren im Februar rund fünf- bis sechsmal so viele Beschäftigte von Kurzarbeit betroffen wie auf dem Höhepunkt der Finanzkrise 2009. Das zeigt, dass die Krise auf dem Arbeitsmarkt noch lange nicht ausgestanden ist. Tatsächlich sinkt die Gesamtbeschäftigung gemäss der aktuellen Konjunkturprognose der KOF saisonbereinigt im 1. Quartal 2021 wieder leicht.

Aufholeffekt in der zweiten Jahreshälfte

Die Entwicklung des Arbeitsmarktes in den kommenden Monaten hängt massgeblich davon ab, ob es dank der Impfkampagne gelingt, die geplanten Lockerungen ohne einen starken Wiederanstieg der Fallzahlen zu vollziehen. Gelingt dies, ist aufgrund der schrittweisen Lockerungen mit einer Verbesserung der Arbeitsmarktlage in den nächsten Monaten zu rechnen. Die Firmen dürften wieder etwas mehr Stellen schaffen und jene, die gegenwärtig besonders unter den Krisenmassnahmen leiden, die Kurzarbeit zurückfahren. Schliesslich könnten Branchen, die wie etwa die Gastronomie wieder vermehrt ohne Einschränkungen wirtschaften können, von gewissen Nachholeffekten der Konsumentinnen und Konsumenten profitieren. Deshalb geht die KOF von Aufholeffekten aus, die im 2. Quartal dieses Jahres beginnen und dann insbesondere in der zweiten Jahreshälfte 2021 in der Beschäftigungsdynamik sichtbar werden: Die VZÄ-Beschäftigung und die Erwerbstätigenzahl wachsen – getrieben vom Stellenwachstum in Branchen, die besonders von den Eindämmungsmassnahmen betroffen waren – überdurchschnittlich.

Trotz dieses Zwischensprints dürfte die Lage auf den Arbeitsämtern aber bis Ende 2021 angespannt bleiben. Viele Firmen werden weiterhin zurückhaltend sein, in grossem Stil neue Stellen zu schaffen, bis sich die Unsicherheit über die weitere Entwicklung der Pandemie gelegt und sich ihre Margen verbessert haben. Zudem könnten sich in diesem Jahr die Betriebsschliessungen häufen. Schliesslich befinden sich sehr viele Beschäftigte in Kurzarbeit und es könnte sich in einigen Fällen herausstellen, dass diese Stellen nach dem Ende der Krise teilweise nicht benötigt werden. Wie die Erfahrungen aus der Finanzkrise nahelegen, dürfte es darüber hinaus in der zweiten Jahreshälfte zu Entlassungen kommen, weil die ersten Betriebe dann die maximale Bezugsdauer der Kurzarbeit von gegenwärtig 18 Monaten ausgeschöpft haben und gezwungen sind, die betroffenen Arbeitsstellen abzubauen.

Die aktuelle Konjunkturprognose der KOF für die Schweiz finden Sie in den externe SeiteKOF Analysen von Ende März.

Kontakt

Dr. Michael Siegenthaler
Dozent am Departement Management, Technologie und Ökonomie
  • LEE G 301
  • +41 44 633 93 67

KOF Konjunkturforschungsstelle
Leonhardstrasse 21
8092 Zürich
Schweiz

Ähnliche Themen

JavaScript wurde auf Ihrem Browser deaktiviert