Zweite Welle bremst Erholung der Weltwirtschaft

Die epidemiologische Lage hat sich in vielen Ländern wieder verschlechtert – auch im für die Schweizer Exportwirtschaft wichtigen europäischen Umfeld. Trotz der anlaufenden Impfkampagnen dürften die Schutzmassnahmen vielerorts bestehen bleiben. Bis sich die Weltwirtschaft von der Corona-Krise erholt, wird deshalb noch einige Zeit vergehen. Auch die Nachwehen der Krise dürften noch länger zu spüren sein.

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Die Massnahmen zur Eindämmung der COVID-19-Pandemie hatten einen beispiellosen konjunkturellen Einbruch zur Folge. Hinsichtlich der Eindämmung der Pandemie erwiesen sie sich grösstenteils aber als wirksam, so dass viele Länder im Sommer zu einem gewissen Grad der Normalität zurückkehren konnten. Damit erholte sich auch die Wertschöpfung wieder, die im dritten Quartal beispielsweise im Euroraum noch 4% unterhalb des Vorkrisenniveaus vom vierten Quartal 2019 lag. Im Rahmen dieser Normalisierung verzeichneten viele Länder äusserst hohe Zuwachsraten.

Dabei zeigten sich jedoch sowohl beim epidemiologischen als auch beim wirtschaftlichen Verlauf grosse Unterschiede. So konnte China die Epidemie rasch unter Kontrolle bringen und seine Wirtschaft nach wenigen Monaten fast vollständig wieder hochfahren. Das Vereinigte Königreich hingegen führte seine Eindämmungsmassnahmen mit Verspätung ein, weswegen das Bruttoinlandprodukt (BIP) im dritten Quartal noch fast 10% unterhalb des Vorkrisenniveaus lag. Ein weiterer Faktor dürfte hierbei auch die anhaltende Unsicherheit über die zukünftigen Beziehungen zur EU sein.

Nachwehen des Schocks dürften noch lange zu spüren sein

Die konjunkturelle Lage hat sich zuletzt wieder deutlich eingetrübt, insbesondere in dem für die Schweizer Exportwirtschaft wichtigen europäischen Umfeld. Im Oktober stiegen die Infektionszahlen in vielen Ländern stark an. Die erneute Abschwächung zeigte sich bereits im «Economic Sentiment Indicator» der Europäischen Kommission, der im November wieder um 4 Punkte auf 86.6 Punkte zurückging und damit weiterhin deutlich unterhalb seines langjährigen Mittelwertes von 100 liegt (siehe G 9). Auch in den Einkaufsmanagerindizes für den Dienstleistungssektor zeigt sich eine deutliche Verschlechterung der Geschäftslage.

Euroraum und Schweiz: Economic Sentiment Index

Insgesamt dürfte die Weltwirtschaft aus Schweizer Sicht im vierten Quartal 2020 leicht rückläufig sein (siehe G 10). Auch für die kommenden Monate ist noch keine rasche Besserung zu erwarten. In den Wintermonaten müssen die Schutzmassnahmen wohl länger in Kraft bleiben als bisher erwartet, um die Reproduktionszahl unter der Schwelle von 1 zu halten. Ab dem Frühjahr wird das wärmere Wetter eine Lockerung der Massnahmen erlauben. Auch die flächendeckende Verfügbarkeit von Impfstoffen dürfte die Reproduktionszahl weiter reduzieren.

Regionale Beiträge zum weltweiten BIP-Zuwachs

Die Herstellung und Verteilung dieser Impfstoffe könnte sich allerdings über einen längeren Zeitraum erstrecken und es ist nicht garantiert, dass eine genügend hohe Impfbereitschaft in der Bevölkerung besteht. Dementsprechend dürften vielerorts die Hygienemassnahmen und Schutzkonzepte bestehen bleiben, welche einen negativen Effekt auf Auslastung und Produktivität haben. Zudem dürften die Nachwehen des wirtschaftlichen Schocks wohl noch lange Zeit zu spüren sein. Die gestiegene Arbeitslosigkeit und die niedrigeren Erwerbsquoten könnten in vielen Ländern mit einer tieferen Konsum- und Investitionsbereitschaft einhergehen. Mittelfristig wird auch die Rückführung der hohen Verschuldungsniveaus von privaten und öffentlichen Haushalten auf den Ausgaben lasten.

Expansive Fiskal- und Geldpolitik stützen Wirtschaft auch im Jahr 2021

Bereits im Frühjahr 2020 beschlossen viele lokale, nationale und supranationale Behörden umfangreiche Rettungspakete, Kreditgarantien und Unterstützungsmassnahmen, um die Auswirkungen der Corona-Krise abzumildern. Als besonders wirksam zur Stabilisierung der konjunkturellen Lage erwies sich die Kurzarbeit. Im Euroraum, wo viele Mitgliedsländer dieses Instrument anwenden, stieg die Arbeitslosenquote seit Jahresbeginn lediglich um 1.3 Prozentpunkte auf 8.7% im Juli. In den Folgemonaten ging sie wieder etwas zurück. In den USA, wo das Instrument kaum eingesetzt wurde, stieg die Arbeitslosigkeit bis im April um über 11 Prozentpunkte auf 14.7% an, fiel bis im November aber auch wieder auf 6.7%.

Im Jahr 2021 dürfte die Fiskalpolitik weiterhin sehr expansiv ausgerichtet bleiben. So ist in der EU die erste Ausschüttung von Geldern im Rahmen des 750 Mrd. Euro schweren «Next Generation EU»-Konjunkturpakets vorgesehen. Auch in den USA wurde zuletzt ein weiteres Stimulus-Paket in einem ähnlichen Umfang beschlossen. Angesichts der geringen Kapazitätsauslastungen in vielen Volkswirtschaften und dem starken Rückgang der Energiepreise im März überrascht es nicht, dass die Inflationsraten zurzeit sehr niedrig sind. Um die Konjunktur zu stabilisieren und für Preisauftrieb zu sorgen, haben Zentralbanken weltweit ihre Geldpolitik gelockert. Auch wenn die Rohstoffpreise zuletzt wieder kräftig anzogen, ist eine dynamische Preisentwicklung in naher Zukunft unwahrscheinlich. Dementsprechend dürfte auch die Geldpolitik expansiv ausgerichtet bleiben. Im Euroraum ist sie bereits im Dezember mit einer Aufstockung und Verlängerung des Pandemie-Notfallkaufprogramms noch weiter gelockert worden.

Prognoserisiken weiterhin mehrheitlich abwärtsgerichtet

Die konjunkturelle Entwicklung wird weiterhin massgeblich vom Verlauf der Pandemie geprägt sein. Prognoserisiken entspringen vor allem der dem Basisszenario zugrunde liegenden Annahme, dass die Pandemie mit volkswirtschaftlich wenig schmerzhaften Massnahmen und regionalen Lockdowns unter Kontrolle gebracht werden kann. Es ist aber durchaus möglich, dass es nach den Weihnachtsfeiertagen wieder zu einem kräftigen Anstieg der Fallzahlen kommt, was in neuerlichen Eindämmungsmassnahmen münden würde. Diese könnten dann erst mit den vorteilhafteren Witterungsverhältnissen im Frühjahr oder nach umfangreichen Impfungen teilweise wieder aufgehoben werden. Ein Aufwärtsrisiko besteht darin, dass durch eine frühe und erfolgreiche Impfkampagne die Pandemie bereits im Sommer weitgehend ausgelöscht ist.

Die ausführliche Konjunkturprognose 2021/22 mit Tabellen und Grafiken finden Sie hier.

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