Was bedeutet die höhere Staatsverschuldung für die Schweiz?

Die Corona-Krise lässt die Staatsverschuldung in der Schweiz ansteigen. Bereits wird lebhaft diskutiert, wie auf diesen Anstieg reagiert werden soll. Die Schweizer Staatsfinanzen sind allerdings auch nach der Krise noch in einer soliden Verfassung. Berechnungen zeigen zudem, dass die Schuldenquote auch ohne finanzielle Austerität relativ rasch sinken dürfte.

Debt

Die Pandemie hat weltweit zu schockartigen Einbrüchen der Wirtschaftsaktivität und teils massiv höheren Staatsausgaben geführt. Die Bruttostaatsverschuldung im Verhältnis zum Bruttoinlandprodukt (BIP) hat sich dadurch in vielen Ländern stark erhöht.

Für die Schweiz erwartete der Bund Ende September bei der Schuldenquote nach der Maastricht-Berechnungsweise einen krisenbedingten Anstieg von 25.8% um 3.4 Prozentpunkte (PP).1 Im Oktober schätzte die KOF, dass sich die Schweizer Staatsschuldenquote infolge der Pandemie um 4.5 PP erhöhen dürfte. Im Vergleich mit dem Euroraum, für welchen 2020 mit einem Anstieg von fast 16 PP gerechnet wird, und den USA, für die sogar eine Zunahme von über 19 PP erwartet wird, befinden sich die Schweizer öffentlichen Finanzen also in einer vergleichsweise komfortablen Lage (siehe Grafik G 4).2 Infolge der zweiten Pandemiewelle dürfte der Anstieg der Schweizer Schuldenquote zwar derzeit nicht belastbarer prognostizierbar sein. Aber selbst bei einem Anstieg um 10 PP oder – wenn es viel schlimmer käme, als bislang zu erwarten – gar 20 PP wären Schuldenquoten von gut 35% oder gar 45% nach überstandener Krise im internationalen Vergleich noch immer äusserst niedrig.

Staatliche Bruttoschulden

Wann die Staatsverschuldung problematisch wird

Trotzdem wird in der Schweiz lebhaft diskutiert, ob und wie auf den krisenbedingten Anstieg der Staatsverschuldung zu reagieren sei. Ein Teil der Akteurinnen und Akteure in Politik und Wirtschaft sind der Ansicht, dass die Staatsverschuldung nach der Krise möglichst rasch wieder abzubauen sei. Aber muss der erhöhte nominelle Schuldenstand wirklich schnell wieder reduziert werden? Aus volkswirtschaftlicher Sicht ist diese Forderung nicht zwingend.

Staatsverschuldung wird unter Ökonominnen und Ökonomen als besonders problematisch angesehen, wenn sie in ausländischer Währung erfolgt, so dass die Verschuldung bei einer Abwertung der inländischen Währung ansteigt (die sogenannte «Erbsünde» der Staatsverschuldung). Dies ist in der Schweiz nicht der Fall.

Es herrscht zweitens auch Einigkeit, dass sich die Staatsschuldenquote nicht dauernd erhöhen darf, weil dann infolge des relativ zur Steuerbasis ansteigenden Schuldendienstes der staatliche Handlungsspielraum zunehmend beeinträchtigt wird. Über die akzeptable Höhe dieser Quote gibt es aber keine gesicherte Erkenntnis. Im Euroraum ist politisch ein Maximum von 60% gewollt. In der empirischen Forschung werden häufig Werte um 80% als zu tolerierende Obergrenze genannt, auch wenn darüber grosse Uneinigkeit herrscht. Wirtschaftlich im Grossen und Ganzen prosperierende Länder wie die USA und Japan liegen mit 125% respektive sogar mehr als 250% weit darüber. Die Schweizer Staatsschuldenquote ist seit Beginn des neuen Jahrtausends bis 2019 von gut 45% auf gut 25% gesunken (siehe Grafik G 4). Sogar mit Anstiegen auf 35% oder gar 45% läge sie noch weit entfernt von denen der hier zum Vergleich herangezogenen Länder – und auch noch unter dem Schweizer Höchststand der letzten vier Jahrzehnte (47% im Jahr 1998).

Schuldendienst: Schweiz in komfortabler Situation

Der dritte und fiskalisch wichtigste Gesichtspunkt betrifft den Schuldendienst. Dieser kann auch bei vergleichbar geringen Verschuldungsquoten zum Problem werden, wenn die Zinssätze auf die revolvierenden Emissionen von Staatsanleihen in die Höhe schiessen, wie die Eurokrise schmerzlich gezeigt hat. Auch hier befindet sich die Schweiz aber in einer historisch unvergleichlich komfortablen Situation. Der Schuldendienst ist gemessen am BIP in den letzten 25 Jahren deutlich gesunken und liegt derzeit mit weniger als 0.4% weit unter den Anteilen des Euroraums und der USA (siehe Grafik G 5). Die Bonität von Schweizer Staatsanleihen dürfte damit auf absehbare Zeit ausser Frage stehen.

Staatsschuldzinsendienst

Die Zinssätze von Schweizer Bundesanleihen sind momentan negativ und die effektiven Zinszahlungen sind über die letzten 25 Jahre von 4.5% auf nur noch 1.2% der ausstehenden Schweizer Staatsschulden gefallen (siehe Grafik G 6). Finanzielle Anleger sind aktuell sogar bereit, für sichere Schweizer Anleihen einen langfristig fixierten Negativzins zu zahlen. Da ausstehende Staatsschulden revolvierend neu aufgelegt werden, bedingt das aktuell rekordtiefe Zinsniveau, dass diese effektiven Zinsen für die Bedienung der Schweizer Staatsschulden noch für lange Zeit weiter sinken werden. Und auch bei einem Wiederanstieg der aktuellen Zinsen (wonach es für die absehbare Zukunft nicht aussieht) würde sich die Bedienung der Staatsschuld nur ganz allmählich verteuern.

Effektive Zinszahlung

Ausgeglichener Staatshaushalt würde Schuldenquote schnell senken

Die Schweizer Staatsfinanzen befinden sich in und nach der aktuellen Krise also in jeder Hinsicht in einer soliden Verfassung. Der vielfach geforderte schnelle Schuldenabbau ist damit nicht zwingend, allzumal bereits eine Rückkehr zu einem zukünftig über den Zyklus ausgeglichen Staatshaushalt die Schuldenquote schnell senken würde.

Die Arithmetik dahinter ist einfach: Die Veränderungsrate einer Quote ist die Differenz der Veränderungsraten von Zähler und Nenner. Mit der Schuldenbremse sollte das Budget nach der Krise über den Konjunkturzyklus hinweg wieder ausgeglichen sein, die Veränderungsrate des Schuldenstands also null betragen. Die Veränderungsrate der Schuldenquote entspricht dann über die Konjunkturzyklen hinweg in der langen Frist mit umgekehrten Vorzeichen der Wachstumsrate des nominalen BIP, also der Summe aus realem Wirtschaftswachstum und Inflationsrate. Bei ausgeglichenen Budgets und positivem nominalem Wirtschaftswachstum würde die Schuldenquote also von allein gegen null konvergieren.

Bei den jetzigen Aussichten ergibt sich dabei für die Rückkehr zur Vorkrisen-Staatsschuldenquote überschlagsweise Folgendes: Der infolge der Pandemie zu erwartende Anstieg der Schweizer Schuldenquote mag aus jetziger Sicht etwa 5 PP betragen. Vorsichtig kann man von 1.5% realem Wirtschaftswachstum und 0.5% Inflation nach der Krise ausgehen, optimistischer wären 2% reales Wirtschaftswachstum und 1% Inflation (das «inoffizielle» Inflationsziel der SNB). Beim Szenario mit einer Erhöhung der Schuldenquote um 5 PP und moderatem Wachstum des nominalen BIP wäre die Vorkrisen-Schuldenquote nach neun Jahren erreicht,3 beim Szenario mit kräftigerem Wachstum bereits nach sechs Jahren. Stiege die Schuldenquote um 10 PP, würde sie bei kräftigem Wirtschaftswachstum nach elf Jahren wieder den Ausgangswert erreichen, bei moderatem Wirtschaftswachstum nach 17 Jahren. Sollte es in der Schweiz noch weitere Pandemiewellen geben, welche die Verschuldungsquote um ganze 20 PP erhöhen, wäre der Ausgangswert selbst im Szenario mit nur 2% nominalem Wirtschaftswachstum nach 30 Jahren wieder erreicht. Anleihen des Bundes mit dieser Laufzeit werden momentan mit negativen Zinsen gezeichnet, so dass der Bund sogar Einkommen erzielte, wenn er den nominellen Schuldenstand konstant hielte, bis die Schuldenquote wieder auf das Vorkrisenniveau gesunken ist.

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1) Siehe externe Seitehttps://www.efv.admin.ch/efv/de/home/themen/finanzstatistik/daten.html.

2) Die Daten stammen aus der makroökonomischen Datenbank AMECO. Die Schuldenstände sind nach den Maastricht-Kriterien berechnet. Die Schweizer Schuldenquoten bis 2019 stammen von der Eidgenössischen Finanzverwaltung. Für 2020 bis 2022 wird auf eine Prognose der KOF zurückgegriffen.

3) Die Berechnung lautet wie folgt: Die Veränderungsrate eines Bruchs ergibt sich aus der Differenz der Veränderungsraten von Zähler und Nenner. Bei konstantem Schuldenstand ist die Veränderungsrate des Zählers gleich null, die Schuldenquote verändert sich dann mit umgekehrtem Vorzeichen in Höhe der Wachstumsrate des nominalen BIP. Ein Anstieg der Schuldenquote von 25 PP auf 30 PP entspricht einem Anstieg um 20%. Sobald das nominale BIP um 20% zugenommen hat, liegt die Schuldenquote wieder bei ihrem Ausgangswert. Bei 2% jährlichem (exponentiellem) Wachstum ist das nach neun Jahren der Fall.

Eine ausführliche Version dieses Beitrags finden Sie auf dem Blog externe Seite«Ökonomenstimme».

Kontakt

Prof. Dr. Michael Graff
Dozent am Departement Management, Technologie und Ökonomie
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  • +41 44 632 09 89

KOF Konjunkturforschungsstelle
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