Wie die Pandemie die Inflationsmessung beeinflusst

Die Corona-Krise hat das Konsumverhalten während des Lockdowns stark verändert. Das kann dazu führen, dass sich die Preisentwicklung der konsumierten Güter erheblich von der des Landesindex der Konsumentenpreise (LIK) unterscheidet. Um diese Unterschiede abzuschätzen, hat die KOF die offiziellen LIK-Daten mit Kartentransaktionsdaten verknüpft und einen alternativen COVID-Preisindex konstruiert. Dieser liefert Hinweise darauf, dass die Inflation seit Beginn der Corona-Krise unterschätzt wird.

Warenkorb

«Die Konsumentenpreise sind im August stabil geblieben», meldete das Bundesamt für Statistik (BFS) diese Woche. Gemäss den offiziellen Angaben betrug die Inflation im August -0.9%. Diese Zahl besagt, dass der Durchschnittspreis der von Schweizerinnen und Schweizern konsumierten Gütern und Dienstleistungen im August gegenüber dem entsprechenden Vorjahresmonat um 0.9% gesunken ist.

Wegen COVID-19 ist die offizielle Inflationsstatistik jedoch mit einem ungewöhnlich hohen Mass an Unsicherheit behaftet. Die Pandemie beeinflusst die Aussagekraft der Statistik, weil die Krise das Konsumverhalten der Konsumentinnen und Konsumenten grundlegend verändert hat.

Wie sehr sich das Kaufverhalten in der Krise verändert hat, zeigt sich eindrücklich in Kartenzahlungsdaten1. Grafik G 1 stellt die Veränderung des Schweizer Konsumverhaltens seit Januar 2020 gemessen an Debitkarten-Transaktionen dar.

Veränderungen im Konsumverhalten

Die Transaktionsvolumina spiegeln deutlich die Massnahmen wider, die der Bundesrat zur Eindämmung der Pandemie ergriffen hat. Während des fast zweimonatigen Lockdowns2 von Mitte März bis Mitte Mai war ein Grossteil des privaten Konsums stark eingeschränkt. Gleichzeitig sind in den Zahlungsdaten die beiden Lockerungsschritte vom 27. April und 11. Mai ersichtlich. So schossen Ende April beispielsweise die Ausgaben für «persönliche Dienstleistungen» in die Höhe, als Friseursalons, Massage- und Kosmetikstudios wiedereröffnet werden durften.

Ist der Warenkorb noch repräsentativ?

Generell haben sich die Konsumausgaben für die einzelnen Kategorien seit der Krise äusserst unterschiedlich entwickelt. Während zum Beispiel die Ausgaben für «Lebensmittel» seit dem Lockdown erheblich gestiegen sind, sind jene für «Unterhaltung» deutlich gesunken und liegen noch immer unter dem Vorkrisenniveau.

Solche abrupten und tief greifenden Veränderungen im Konsum können die Aussagekraft des Landesindex der Konsumentenpreise (LIK), der für die Messung der Inflation verwendet wird, erheblich beeinflussen. Denn die Inflation wird basierend darauf berechnet, wie stark sich die Kosten eines repräsentativen Warenkorbs im Laufe der Zeit verändern. Der LIK wird hierfür mit Ausgabengewichten erstellt, die während eines Jahres konstant gehalten werden. Die letzte Anpassung der Warenkorbgewichte fand im Dezember 2019 statt und basierte auf der Haushaltsbudgeterhebung aus den Jahren 2017 und 2018.

Dadurch ist das Gewichtungsschema jedoch nicht repräsentativ dafür, was während des Lockdowns konsumiert wurde oder überhaupt noch konsumiert werden konnte. Damit kann sich die Teuerung der tatsächlich konsumierten Güter von der offiziell ausgewiesenen Teuerung unterscheiden.

Debitkarten-Daten werden mit dem Warenkorb verknüpft

In einer kürzlich veröffentlichten Studie untersucht ein KOF-Forscher, welchen Einfluss solche Veränderungen im Ausgabenverhalten auf die Messung der Teuerung in der Schweiz während der Corona-Krise haben. Zu diesem Zweck werden die offiziellen LIK-Daten mit Konsumausgabenschätzungen verbunden, die auf Transaktionen mit Debitkarten basieren. Konkret werden die Kartentransaktionen mit den einzelnen Indexpositionen des LIK-Warenkorbs verknüpft, dessen Gewichte mit transaktionsbasierten Ausgabenänderungen aktualisiert und ein alternativer Preisindex auf der Grundlage solcher «COVID-Gewichte» berechnet. Anstatt zu konstanten Gewichten reflektiert der daraus resultierende COVID-Preisindex die Preisentwicklung zum jeweils aktuellen «COVID-Konsum», wie er aus den Kartenzahlungsdaten geschätzt werden kann.

Grafik G 2 vergleicht die Teuerungsraten dieses COVID-Preisindex mit derjenigen des Schweizer Landesindex der Konsumentenpreise.

Schweizer LIK

Die Teuerung des LIK war zu Beginn des Jahres gering, bevor sie mit dem Ausbruch der Pandemie ins Negative kippte und im Lockdown nochmals stark zurückging. Im Vergleich zum Vorjahresmonat fiel sie bis auf -1.3% im Mai 2020. Im Gegensatz dazu war die COVID-Inflation unentwegt höher. Die entsprechende Teuerungsrate belief sich im Mai 2020 auf -0.9%. Die Differenz zwischen den beiden Reihen war im April 2020 maximal und betrug rund 0.7 Prozentpunkte. Die unterschiedlichen zugrunde liegenden Warenkörbe führen also dazu, dass der LIK eine tiefere Teuerungsrate während des Lockdowns ausweist als der alternative COVID-Preisindex, welcher die Verschiebung der Konsumausgaben berücksichtigt.

Hochfrequente, alternative Daten könnten wichtiger werden

Dieser Befund steht im Einklang mit verschiedenen Beiträgen3 zur aktuellen Debatte über Inflation und ihre möglichen Verzerrungen während der Krise. Er ist eine Folge der relativen Gewichtsverschiebungen und insbesondere durch den relativen Anstieg des Konsums von «Lebensmitteln und alkoholfreien Getränken» bedingt. Diese Güter waren während des Lockdowns im Vergleich zu anderen Ausgabenkategorien stärker inflationär.

Mit der allmählichen Normalisierung des Konsumverhaltens (siehe G 2) schwindet zusehends auch die gewichtungsbedingte Differenz in der Inflationsmessung. Im August 2020 betrug die LIK-Inflation -0.9%, die COVID-Inflation -0.6%. Die Differenz zwischen den beiden Massen reduzierte sich entsprechend auf 0.3 Prozentpunkte.

Insgesamt tragen diese Erkenntnisse zur Beurteilung der Inflation in wirtschaftlich turbulenten Zeiten bei und werfen über die Krise hinaus konzeptionelle Fragen zur adäquaten Messung der Preisentwicklung auf. Insbesondere bei der Aktualisierung des repräsentativen Warenkorbs wird sich in naher Zukunft die Frage stellen, inwiefern das Jahr 2020 und der COVID-Konsum das Gewichtungsschema des Warenkorbs beeinflussen sollen. Im Hinblick auf diese Herausforderung könnte die Verwendung hochfrequenter und alternativer Datenquellen für Konsumausgaben eine wesentliche Rolle bei der Entwicklung robusterer und aussagekräftigerer Instrumente zur Preismessung spielen.

Einen Vorabdruck der vollständigen Studie finden Sie externe Seitehier.

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1) Diese Daten basieren auf dem wöchentlichen Transaktionsvolumen von Debitkarten in der Schweiz und umfassen Zahlungen an Verkaufsstellen wie Lebensmittelgeschäften oder Dienstleister (z.B. Friseure, Restaurants oder Tankstellen). Sie sind öffentlich zugänglich im Rahmen des Projekts «Consumption Monitoring Switzerland», das von der Universität St. Gallen (Prof. Martin Brown, Prof. Matthias Fengler) und Novalytica zusammen mit Dr. Robert Rohrkemper (Distinguished Expert, Senior Data Scientist bei Worldline) und Prof. Rafael Lalive (Universität Lausanne) ermöglicht wird. Siehe externe Seitehttp://monitoringconsumption.org/switzerland.

2) Mit der Ausrufung der «ausserordentlichen Lage» am 16. März wurden nicht lebensnotwendige Einzelhandelsgeschäfte und viele Dienstleistungsbetriebe wie Restaurants, Bars sowie Unterhaltungs- und Freizeiteinrichtungen vorübergehend geschlossen und der öffentliche Verkehr reduziert. Einzig Lebensmittelgeschäfte, Apotheken, Banken und Postämter blieben geöffnet.

3) Diese Ergebnisse sind konsistent mit dem analytischen Argument von Diewert & Fox (2020), wonach die gegenwärtigen Berechnungsmethoden die Konsumentenpreise nach unten verzerren. Jaravel & O'Connell (2020) dokumentieren empirisch anhand von Scannerdaten kurzlebiger Konsumgüter im Vereinigten Königreich einen Anstieg der Inflation im ersten Monat des Lockdowns. Unter Verwendung offizieller Preisindizes und einer Aktualisierung der Warenkorbgewichte in ähnlicher Weise wie in dieser Studie findet Cavallo (2020) vergleichbare Ergebnisse für die USA, aber insgesamt gemischte internationale Evidenz.

Literatur

Cavallo, A. (2020): Inflation with Covid consumption baskets. NBER Working Paper 27352.

Diewert, E. E., & K. J. Fox (2020): Measuring real consumption and CPI bias under lockdown conditions. NBER Working Paper 27144.

Jaravel, X., & M- O'Connell (2020): Inflation spike and falling product variety during the Great Lockdown. CEPR Discussion Paper DP14880.

Seiler, P. (2020): Weighting bias and inflation in the time of Covid-19: Evidence from Swiss transaction data. Swiss Journal of Economics and Statistics. Forthcoming.

Kontakt

Pascal Seiler
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  • +41 44 632 89 44

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