Hohe Hemmschwelle bei der Aufnahme von COVID-19-Krediten?

Um die Folgen der Corona-Krise für Selbständige und Firmen abzumildern, hat die Schweiz auf drei Instrumente gesetzt: Kurzarbeit, Erwerbsersatzentschädigung für Selbständige und die sogenannten COVID-19-Kredite. Forschende haben untersucht, welche Firmen von diesen Instrumenten am meisten Gebrauch gemacht haben. Sie können unter anderem zeigen, dass Firmen, die schon vor der Krise verschuldet waren, besonders häufig auf die COVID-19-Kredite zurückgriffen.

Kredite

Die Corona-Krise hat viele Unternehmen zu einer Vollbremsung gezwungen. Die Gesamtnachfrage in der Schweiz dürfte während des Lockdowns um mehr als 30% gesunken sein. Für das ganze Jahr 2020 erwartet die KOF derzeit einen Rückgang des Bruttoinlandprodukts um fast 5%. Um die Folgen dieses Einbruchs abzumildern, hat die Schweiz auf drei Unterstützungsmassnahmen gesetzt: Lohnersatz für beurlaubte Angestellte (Kurzarbeit), Einkommensbeihilfen für Selbständige und Kleinunternehmer sowie staatlich gesicherte Darlehen zur Deckung des Liquiditätsbedarfs von Unternehmen (COVID-19-Kredite).

Forschende der KOF und der Universität Lausanne untersuchen in einem Artikel, der im Swiss Journal of Economics and Statistics erscheint, in welchem Ausmass kleine und mittlere Unternehmen (KMU) von diesen Instrumenten Gebrauch gemacht haben. Sie analysieren die Daten aus einer repräsentativen Umfrage von Mitte April unter 1011 Selbständigen sowie Firmenbesitzerinnen und
-besitzern. Zwei Drittel der befragten Unternehmenseigner mussten ihren Betrieb während des Lockdowns im April ganz oder teilweise einstellen. 42% haben angegeben, dass sie von mindestens einer der drei Unterstützungsmassnahmen Gebrauch gemacht haben. 8% haben auf alle drei Massnahmen zurückgegriffen.

Verschuldungsgrad mit grösstem Einfluss auf Kreditbezug

Die Analyse zeigt, dass Unternehmen, deren Betrieb während des Lockdowns gesetzlich eingeschränkt war oder die im April mangels Kundschaft einen starken Umsatzeinbruch erlitten, erwartungsgemäss eher staatliche Unterstützung in Anspruch genommen haben. Gerade der Rückgriff auf Kurzarbeit kann gut durch die direkte Betroffenheit von der Corona-Krise erklärt werden. Das gilt aber bei Weitem nicht zu 100 Prozent: So haben nicht alle Unternehmen, die den Betrieb ganz einstellen mussten, Unterstützung beansprucht – dafür viele von denen, die den Betrieb weiterführen konnten. Die Forschenden haben deshalb nach weiteren Faktoren gesucht, welche den Rückgriff auf die Unterstützung beeinflussten.

Sie können unter anderem zeigen, dass die physische Nähe eine wichtige Rolle gespielt hat: So machten Unternehmen eher Gebrauch von der Kurzarbeit, wenn sich ihre Angestellten im Arbeitsprozess besonders nahekommen. Die Kurzarbeit und die Zahlung von Einkommensersatz scheinen also zur Eindämmung des Virus beigetragen zu haben, weil sie die nahen Kontakte am Arbeitsplatz verringerten.

Es zeigt sich auch, dass bereits verschuldete Unternehmen eher öffentliche Unterstützung in Form von COVID-19-Krediten beanspruchten. Dafür gibt es laut den Forschenden drei mögliche Erklärungen:

  1. Es ist denkbar, dass die Massnahmen vor allem von finanziell instabilen Unternehmen genutzt werden – also von solchen, die auch am ehesten auf Unterstützung angewiesen sind.
  2. Bei bereits verschuldeten Unternehmen könnte die Hemmschwelle tiefer liegen, öffentliche Unterstützung zu beantragen und weitere Schulden aufzunehmen.
  3. Bereits verschuldete Unternehmen haben möglicherweise auslaufende Schulden durch günstigere COVID-19-Kredite ersetzt.

Der Verschuldungsgrad eines Unternehmens hatte von allen untersuchten Variablen den grössten Einfluss auf den Bezug von COVID-19-Krediten. Das deutet auf einen gewissen Gewöhnungseffekt hin: Unternehmen, die bereits an die Aufnahme von Schulden gewöhnt sind, haben diesbezüglich weniger Hemmungen. Unternehmen hingegen, die es sich nicht gewöhnt sind, Schulden aufzunehmen, waren zurückhaltender.

Auch Sprachregionen und Geschlecht spielen eine Rolle

Es zeigen sich auch Unterschiede nach Sprachregionen. So griffen Unternehmen in der italienischsprachigen Schweiz eher auf die Kredite zurück als solche im Rest des Landes. Zudem scheint es, dass von Männern und nicht schweizerischen Staatsangehörigen geführte Unternehmen die Kredite leicht häufiger in Anspruch nahmen. Allgemein lässt sich die Aufnahme von Krediten weniger gut durch die objektive COVID-Betroffenheit der Firmen erklären als der Rückgriff auf Kurzarbeit und Erwerbsersatz. Bei der Entscheidung, ob man ein Darlehen aufnimmt oder nicht, spielen individuelle Verhaltens- und Einstellungsunterschiede der Firmenbesitzerinnen und -besitzer offensichtlich eine grössere Rolle als bei der Entscheidung, ob man Kurzarbeit oder Erwerbsersatz beantragt.

Die Analyse offenbart schliesslich auch, dass die Corona-Krise die KMU mehr oder weniger zufällig traf: Die Betroffenheit von der Krise ist praktisch unabhängig von den Kennzahlen des Unternehmens im Jahr vor der Krise. Dieses Resultat spricht für die staatliche Intervention: Denn ohne eine solche hätten viele «gesunde», also wirtschaftlich gut aufgestellte Firmen ihren Betrieb redimensionieren oder einstellen müssen, womit der wirtschaftliche Schaden der Krise noch grösser geworden wäre. Die Tatsache, dass ganze Sektoren unverschuldet von einem aussergewöhnlich seltenen Ereignis getroffen wurden, impliziert auch, dass die Anreizprobleme, die sich normalerweise bei öffentlichen Unterstützungsmassnahmen für Unternehmen ergeben, in den ersten Monaten der Corona-Krise sehr gering waren.

Anpassungen bei Darlehen empfehlenswert

Die Forschenden kommen zum Schluss, dass die Massnahmen, die das Arbeitseinkommen gestützt haben (also Kurzarbeit und Einkommensbeihilfen), ihre Ziele eher erreichten als die COVID-19-Kredite. Denn bei ersteren spielten die direkten Auswirkungen des Lockdowns und die wirtschaftlichen Verhältnisse der Unternehmen eine wichtige Rolle. Die Aufnahme von Krediten hingegen wurde stärker von der früheren Verschuldung und anderen, objektiv wenig relevanten Variablen getrieben.

Laut den Forschenden wäre es deshalb überlegenswert, die Darlehen stärker auf die wirtschaftliche Lage einzelner Unternehmen zuzuschneiden. Die Bedingungen für die Rückzahlung der Kredite könnten beispielsweise von zukünftigen Gewinnen abhängig gemacht werden – ähnlich wie Studiendarlehen, die erst zurückgezahlt werden müssen, wenn Studierende ein gewisses Einkommen erreichen.

Wichtig ist laut den Forschenden, dass die politischen Unterstützungsmassnahmen schrittweise heruntergefahren werden – oder durch Massnahmen ersetzt werden, welche den Strukturwandel fördern. Es müsse zwar sichergestellt werden, dass wirtschaftlich existenzfähige Unternehmen erhalten bleiben. Unvermeidbare Firmenkonkurse und nötige Umstrukturierungen dürften aber nicht verhindert werden.

Die ausführliche Analyse zum Thema finden Sie hier.

Kontakte

Marius Brülhart
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Wirtschaftsfakultät (HEC Lausanne), Universität Lausanne
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KOF Corporate Communications
Schweiz

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