Die Kommunikation der EZB als geldpolitisches Instrument

Der wichtigste Kommunikationskanal der Europäischen Zentralbank ist die Pressekonferenz im Anschluss an die Ratssitzung. Neben den Beschlüssen zu geldpolitischen Massnahmen schildert der Rat dort auch seine Sicht auf die wirtschaftliche Lage im Euroraum. Oft sind die Unterschiede zwischen den einleitenden Bemerkungen für Laien kaum erkennbar. Nichtsdestotrotz reagieren Investoren und Ökonomen darauf und revidieren ihre Erwartungen.

Bis zur Finanzkrise 2008/09 galt der Leitzins als primäres Instrument der Geldpolitik der Europäischen Zentralbank (EZB). Die darauf folgende Schuldenkrise im Euroraum veranlasste die EZB dazu, den Zinssatz für die Hauptrefinanzierungsgeschäfte auf ein so tiefes Niveau herabzusetzen, dass weitere Senkungen immer schwieriger wurden. Stattdessen begann die EZB, auf unkonventionelle Mittel zurückzugreifen, um die Risiken einer lang anhaltend niedrigen Inflation zu bekämpfen. Dazu gehören sogenannte Asset-Purchase-Programme (APP), die das Volumen der Bankkredite an Unternehmen und Haushalte erhöhen sollten.

Gleichzeitig setzte die EZB auf «Forward Guidance»: Dabei sollen durch die Kommunikation des zukünftigen geldpolitischen Kurses auf Basis von Prognosen zur Preisstabilität die Markterwartungen beeinflusst werden. Dementsprechend musste die EZB ihre geldpolitische Kommunikationsstrategie anpassen. Nun stellt sich einerseits die Frage, wie in Zeiten vermehrt unkonventioneller geldpolitischer Instrumente der Kurs der EZB zu messen ist. Andererseits fragt sich, wie sich ihre Kommunikation quantifizieren lässt.

Ein Mass für unkonventionelle Geldpolitik

In konventionellen Zeiten wird der geldpolitische Kurs üblicherweise durch den Zinssatz für die Hauptrefinanzierungsgeschäfte abgebildet. In unkonventionellen Zeiten, wenn der Leitzins die effektive Untergrenze erreicht hat, stellt die Bewertung des geldpolitischen Kurses eine Herausforderung dar. Um dieses Problem zu umgehen, werden sogenannte Schattenraten eingesetzt. Diese werden aus Zinsstrukturkurven abgeleitet und haben im Gegensatz zum Leitzins keine effektive Untergrenze.

Die Schattenrate repräsentiert den Leitzins in einer hypothetischen Welt, in der es kein Bargeld gibt. Denn in solch einer Welt existiert keine Alternative zur Bankeinlage; niemand hätte die Möglichkeit, negativen Zinsen zu entkommen und Geld stattdessen unter dem Kopfkissen zu horten. Banken könnten also ohne Hemmungen negative Zinsen in beliebiger Höhe ansetzen. Die Schattenrate entspricht in konventionellen Zeiten dem Leitzins, während sie in Niedrigzinsphasen negativ werden kann und damit auch Änderungen der Langfristzinsen widerspiegelt (siehe Grafik G 4). Gerade diese Langfristzinsen sind für die Bewertung des geldpolitischen Kurses von zentraler Bedeutung, denn die unkonventionellen Mittel zielen darauf ab, ebendiese zu beeinflussen.

EZB-Bilanz

Kommunikationsindikatoren für Preisstabilität, Realwirtschaft und Geldmenge

Die Kommunikation der EZB lässt sich mit Hilfe der «Einleitenden Bemerkungen» im Anschluss an die EZB-Ratssitzungen quantifizieren. Jede Aussage kann im Hinblick auf das Themengebiet, die zeitliche Einordnung und die qualitative Wertung klassifiziert werden. Beispielsweise sagte Mario Draghi am 7. März 2019: «Compared with the December 2018 Eurosystem staff macroeconomic projections, the outlook for real GDP growth has been revised down substantially in 2019 and slightly in 2020.» Diese Aussage kann dem Themengebiet Realwirtschaft zugeteilt werden, sie bezieht sich auf die Zukunft und enthält eine negative Wertung.

Mit Hilfe dieser Kategorisierung lassen sich Kommunikationsindikatoren zu den Themen Preisstabilität, Realwirtschaft und Geldmenge ableiten. Die konstruierten Indikatoren geben den standardisierten Saldo an positiven Aussagen zum jeweiligen Themengebiet an. Grafik G 5 zeigt den Indikator zur Preisstabilität, auch bekannt als KOF Monetary Policy Communicator (MPC), welcher klare Parallelbewegungen zu der erwarteten sowie der realisierten Inflationsrate aufweist.

Preisstabilität

Der Indikator zur Realwirtschaft (Grafik 6) hat im Vergleich zum erwarteten und realisierten Bruttoinlandprodukt-Wachstum einen vorlaufenden Charakter. Auch der Zusammenhang zwischen dem Geldmengen-Indikator und dem erwarteten und realisierten Geldmengenwachstum ist deutlich erkennbar (Grafik 7). Die realisierten Raten sind in Echtzeit abgebildet, die erwarteten Raten beruhen auf Konsensus-Prognosen des Umfrageinstituts Consensus Economics.

Realwirtschaft
Geldmenge

Wie reagieren die Finanzmärkte auf die Kommunikation der EZB?

In der gesamten betrachteten Periode (2003–2018) lassen sich Reaktionen der MarktteilnehmerInnen auf Aussagen der EZB-Repräsentanten zur Realwirtschaft beobachten. So sank die Schattenrate beispielsweise bei pessimistischen Aussagen und stieg bei erfreulichen Stellungnamen. Dieser Zusammenhang bleibt selbst über verschiedene geldpolitische Phasen bestehen. Auch Aussagen zur Preisstabilität haben einen starken und zeitlich robusten Einfluss auf die Schattenrate. Die Inflationserwartungen der MarktteilnehmerInnen, die mithilfe von Zinsswaps gemessen wurden, werden von den EZB-Aussagen bezüglich der Geldmenge ebenfalls beeinflusst.

Wechselkurse scheinen hingegen nicht auf die quasi monatlichen Beschlüsse und Stellungnamen des EZB-Rats zu reagieren; keiner der drei Kommunikationsindikatoren weist einen Zusammenhang mit dem Wechselkurs auf. Dies steht im Einklang mit den geldpolitischen Zielen der EZB, zu welchen die Wechselkursstabilisierung nicht zählt.

Ökonomen revidieren ihre Prognosen

Neben FinanzmarktakteurInnen werden auch professionelle PrognostikerInnen von den Pressemitteilungen der EZB beeinflusst. Botschaften im Zusammenhang mit der Realwirtschaft und der Preisstabilität wirken sich sowohl auf Änderungen der Wachstums- als auch auf die Inflationsprognosen aus. Kommunikation in Bezug auf die Geldmenge beeinflusst allerdings ausschliesslich Prognosen des Geldmengenwachstums.

Eine klare Ausnahme bildet die Zeit der Finanz- und Euroraum-Krise. Während dieses Zeitraums fallen Mitteilungen, die auf eine expansive Entwicklung im monetären Bereich hindeuten, mit Abwärtsprognosen des Geldmengenwachstums zusammen. Insbesondere während der Krisenzeit sind die Beziehungen zwischen EZB-Aussagen und den Reaktionen der PrognostikerInnen also teilweise verzerrt worden. Im Hinblick auf die Preisstabilität scheinen die Kommunikation und die Entscheidungen der EZB während der globalen Finanz- und der Europäischen Schuldenkrise wichtiger geworden zu sein.

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