Die Einkommensverteilung im Konjunkturverlauf

Nicht alle Angestellten leiden in Krisenzeiten im gleichen Ausmass. An der KOF Prognosetagung vom 2. Oktober erläuterte KOF-Direktor Jan-Egbert Sturm, weshalb temporäre und in der Industrie Beschäftigte konjunkturelle Schwankungen stärker zu spüren bekommen.

Die Armut in der Welt nimmt zwar stetig ab und insbesondere die Schwellenländer befinden sich wirtschaftlich in einer Aufholjagd. Trotzdem wird über das Thema Einkommensungleichheit innerhalb von Ländern stärker debattiert denn je. Auch in der Schweiz wird immer öfter über Ungleichheit im Allgemeinen und Einkommensungleichheit im Speziellen diskutiert.

Ungleichheit zu messen, ist nicht einfach. Daher sind internationale Vergleiche auch schwierig und beschränkt auf einige wenige Masse. Das wichtigste Mass zur Messung von Einkommensungleichheit ist der Gini-Koeffizient. Dieser nimmt einen Wert zwischen 0 (bei einer gleichmässigen Verteilung; alle verdienen dasselbe) und 1 (bei maximaler Ungleichheit; einer verdient alles – alle anderen nichts) an. Für den Begriff des Einkommens gibt es verschiedenste Definitionen. Im durch Frederick Solt harmonisierten Datensatz1 wird unterschieden zwischen einem auf dem Bruttoeinkommen und einem auf dem Nettoeinkommen basierenden Gini-Koeffizienten. Der Unterschied liefert eine Schätzung für das Ausmass, in dem das jeweilige Steuer- und Transfersystem eingreift.

Kapitaleinkommen leiden unter Schwächephasen

Zwischen 1980 und 2015 war der auf dem Bruttoeinkommen basierende Gini-Koeffizient in der Schweiz vergleichbar mit jenem im Rest der westlichen Welt. Zudem ist über diese lange Zeitspanne hinweg kaum Variation festzustellen. Erst seit 2003 zeigt sich eine minimale Zunahme. Beim Gini-Koeffizienten basierend auf dem Nettoeinkommen rutscht die Schweiz international ins obere Mittelfeld. Hieraus kann man schliessen, dass die schweizerischen Steuer- und Transfersysteme im internationalen Vergleich relativ wenig in den Verteilungsprozess eingreifen. Da das Ausmass dieses Eingreifens allerdings über die Jahre hinweg leicht zugenommen hat, nahm der Gini-Koeffizient basierend auf dem Nettoeinkommen sogar leicht ab – insbesondere, wenn man die Periode nach der Jahrhundertwende mit den Achtzigerjahren vergleicht.

Die Konjunktur scheint wenig Einfluss auf diesen Gini-Koeffizienten zu haben. Das kann allerdings auch an der Unschärfe beim Messen der Ungleichheit liegen. Denn das Bild ändert sich, wenn man sich die funktionale Einkommensverteilung in der Schweiz anschaut. Das Einkommen ist definitorisch aufzuspalten in Arbeits- und Kapitaleinkommen. Das Arbeitseinkommen leidet zwar unter konjunkturellen Schwächephasen, ein Grossteil dieser Schwäche wird allerdings durch das Kapitaleinkommen aufgefangen.

Umgekehrt ist es in Wachstumsphasen (siehe Bild). Während den Rezessionsphasen 2001/2002, 2008/2009 und auch den Perioden, in welchen der Schweizer Franken stark aufgewertet hat und somit die Betriebsmargen gelitten haben (2011/2015), hat sich der Anteil des Faktors Arbeit am Gesamteinkommen deutlich vergrössert. Somit werden Arbeitnehmer in der Schweiz insbesondere vor den internationalen Risiken etwas geschützt, denen die Schweizer Wirtschaft ausgesetzt ist.

Grafik Einkommensverteilung

Ausländische Angestellte leiden stärker unter Schwankungen

Arbeitnehmer in verschiedenen Branchen sind unterschiedlichen Risiken ausgesetzt. Temporärangestellte werden in Krisenzeiten üblicherweise als erste entlassen (oder ihre Verträge werden nicht verlängert). Die Industrie ist konjunkturellen Schwankungen durch ihre ausgeprägte Aussenorientierung stärker ausgesetzt als viele auf die Binnenwirtschaft konzentrierte Dienstleistungssektoren. Auch Einwohner ohne Schweizer Pass bekommen konjunkturelle Fluktuationen schneller zu spüren. Diese Personen sind öfters in aussenwirtschaftsorientierten Sektoren wie dem Gastgewerbe aktiv.

Die grösste Jobsicherheit heutzutage haben hochqualifizierte Personen. Der zunehmende Mangel an Fachkräften bewegt Firmen dazu, diese nur zu entlassen, wenn es wirklich nicht mehr anders geht. Somit hängt das Risiko, arbeitslos zu werden, nicht nur stark von der Konjunktur ab, sondern auch von der Branche und der Qualifikation.

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externe SeiteSolt, Frederick. 2019. "Measuring Income Inequality Across Countries and Over Time: The Standardized World Income Inequality Database." SWIID Version 8.1, May 2019.

Kontakt

Prof. Dr. Jan-Egbert Sturm
Ordentlicher Professor am Departement Management, Technologie und Ökonomie
Direktor KOF Konjunkturforschungsstelle
  • LEE G 305
  • +41 44 632 50 01

Professur f. Wirtschaftsforschung
Leonhardstrasse 21
8092 Zürich
Schweiz

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