«Da kommt eine grosse gesellschaftliche Herausforderung auf uns zu»

Durch die Digitalisierung und den Technologiewandel verändern sich die Anforderungen auf dem Arbeitsmarkt. An der KOF Prognosetagung wurde diskutiert, wie die Angestellten am besten auf diesen Wandel vorbereitet werden können. Firmenchef Josef Maushart schilderte, weshalb er sein Personal weiterbildet, anstatt es auszutauschen.

Die Fraisa Gruppe ist ein inhabergeführtes Industrieunternehmen mit 110 Millionen Franken Umsatz pro Jahr und 550 Beschäftigten in sieben Ländern. Es produziert Werkzeuge für die metallverarbeitende Industrie. Die Firma setzt sich ein für die Weiter- oder Nachholbildung ungelernter Angestellter. Im Interview sagt CEO und Verwaltungsratspräsident Josef Maushart, ob sich solche Massnahmen lohnen und an welche Grenzen er stösst.

Herr Maushart, was macht die Digitalisierung mit Ihrer Firma?

Dank neuer Technologien konnten wir die Produktionskosten in der Schweizer Fertigung in den letzten fünf Jahren halbieren. Nachdem wir lange im Ausland investiert haben, können wir nun endlich wieder unseren Betrieb in der Schweiz ausbauen. In den nächsten drei Jahren investieren wir 30 Millionen Franken in den Ausbau der Schweizer Produktionskapazitäten. Ohne einen höchstautomatisierten Betrieb wäre das nicht möglich gewesen. Wir können unsere Maschinen nun auch nachts und an den Wochenenden laufen lassen, ohne dass unsere Angestellten Schichtarbeit leisten müssen. Das ist ein gewaltiger Durchbruch und macht uns international wettbewerbsfähiger.

Mit dem technologischen Fortschritt haben sich auch die Anforderungen an Ihre Mitarbeitenden verändert. Wie gehen Sie damit um?

Der klassische Industriearbeiter war bis anhin eine Person, die zwar keine spezifische Ausbildung besitzt, aber bereit ist, zu Schichtzeiten zu arbeiten. Nun fällt die Schichtarbeit weg und durch hochautomatisierte Systeme steigt die Komplexität. Für den Betrieb moderner Industriemaschinen brauchen wir ausgebildete Angestellte. Der ungelernte Industriearbeiter stösst an die Grenzen seiner Möglichkeiten. Wir könnten ihn nun durch eine gelernte Fachkraft ersetzen. Aber erstens entspricht das nicht unseren Moralvorstellungen und zweitens ist das in Zeiten des Fachkräftemangels gar nicht so einfach. Deshalb versuchen wir, unsere Angestellten auf dem Weg zur Digitalisierung mitzunehmen.

Wie machen Sie das?

Zu Beginn dieses Prozesses haben wir 40 ungelernte Menschen beschäftigt. Bis jetzt haben 22 von ihnen eine Nachholbildung durchlaufen und ein Eidgenössisches Fähigkeitszeugnis erlangt – als Logistiker, Anlagenführer oder Produktionsmechaniker. Auf dieser Grundlage können wir die Leute sehr gut bei uns weiterbeschäftigen. Und wir tun auch der Firma einen Gefallen, indem wir den Teamgeist stärken. Das haben wir etwa beim letzten Swiss Arbeitgeber Award gemerkt, bei dem wir zu einem der Top-Arbeitgeber gewählt wurden.

Woher nehmen Sie die Gewissheit, dass der Nutzen dieser Weiterbildungsmassnahmen die ohne Zweifel hohen Kosten übersteigt?

Die Kosten sind tatsächlich nicht unerheblich. Sie liegen für die gesamte Ausbildung pro Person bei ungefähr 40 000 Franken. Denn wir werten die Schulzeit als Arbeitszeit: Die Angestellten arbeiten nur 80%, bekommen aber 100% Lohn, um finanzielle Engpässe zu verhindern. Wir haben jedoch einen langfristigen Investitionshorizont und glauben, dass sich diese Massnahmen in Form von höherer Motivation und Loyalität unserer Belegschaft bezahlt machen werden.

Gerade im Verarbeitenden Gewerbe stehen viele Unternehmen unter grossem Kostendruck. Wie sollen sie solche Massnahmen finanzieren?

Die Ausbildungskosten selber sind wohl relativ vernachlässigbar. Die meisten Unternehmen verfügen ohnehin über eigene Ausbildungsabteilungen. Problematisch könnte aber die volle Lohnkompensation sein, wie wir sie betreiben. Hier müssen teilweise Kompromisse gefunden werden.

Neue Fachkräfte lassen sich auch aus dem Ausland oder direkt von den Ausbildungsstätten rekrutieren. Wie können Firmen dazu motiviert werden, stattdessen auf die Weiterbildung ihrer Angestellten zu setzen?

Erzwingen lässt sich so etwas nicht. Gerade kleinere Unternehmen sind darauf angewiesen, dass der Staat neue Möglichkeiten schafft, also etwa die Nachholbildung für Erwachsene ausbaut. Wir erleben ausserdem jetzt schon, dass die Rekrutierung von Fachkräften zunehmend schwieriger wird. Mittel- und langfristig werden die Unternehmen deshalb das Naheliegendste tun und ihre eigenen Angestellten weiterbilden.

In gewissen Industriezweigen sind die Digitalisierung und Automatisierung bereits weit fortgeschritten. Bleibt aus Ihrer Sicht noch genug Zeit, um alle Angestellten auf die neuen Anforderungen vorzubereiten?

Alle ist ein grosses Wort – es braucht immer auch die Bereitschaft und den Willen jedes Einzelnen. Die technische Entwicklung geht kontinuierlich vonstatten, wir haben also noch Zeit. Aber gerade bei den ganz schwach Qualifizierten müssen wir uns um neue, bildungspolitische Ideen bemühen. Da kommt eine grosse gesellschaftliche Herausforderung auf uns zu. In der Schweiz beziehen 300 000 Menschen Sozialhilfe. 50% davon haben gemäss einer jüngeren Studie keine abgeschlossene Berufsbildung. Wir müssen mit entsprechenden Programmen dafür sorgen, dass diese Menschen für den ersten Arbeitsmarkt qualifiziert werden. Auch im Bereich der Erwachsenenbildung braucht es Fortschritte. Bleiben diese Fortschritte aus, droht uns eine paradoxe Situation: eine höhere Arbeitslosigkeit und ein enormer Fachkräftemangel.

Kontakt

Josef Maushart, Fraisa Gruppe

Ähnliche Themen

KOF Bulletin

JavaScript wurde auf Ihrem Browser deaktiviert