Was die Neue Seidenstrasse für Schweizer Unternehmen bedeutet

Viele Firmen erhoffen sich vom chinesischen Infrastrukturprojekt neue Geschäftsmöglichkeiten, darunter auch Schweizer Unternehmen. Das wirtschaftliche Potenzial ist denn auch enorm. Doch ebenso gross sind die Unklarheiten und Herausforderungen. Eine Übersicht in vier Punkten.

Neue Seidenstrasse

Die chinesische «Belt and Road»-Initiative (BRI) oder Neue Seidenstrasse soll die wirtschaftlichen Verbindungen von China mit Afrika, Asien, Europa, Lateinamerika und dem Nahen Osten stärken. Laut offiziellen Dokumenten soll die BRI so unterschiedliche Bereiche wie politische Koordination, Infrastruktur, Finanzintegration, Industriekooperationen und zwischenmenschliche Kontakte fördern.

Es ist eine Herausforderung, eine Schweizer Strategie und konkrete Reaktionen auf diese dynamische und multidimensionale Initiative zu finden. Am vergangenen KOF Wirtschaftsforum wurde über die Chancen debattiert, welche die Neue Seidenstrasse für die Schweizer Wirtschaft bietet. Und es wurde zum ersten Mal auch über die Bedeutung der Absichtserklärung (Memorandum of Understanding, MoU) zwischen der Volksrepublik China und der Schweiz zur Zusammenarbeit in Drittstaaten diskutiert, welche Bundespräsident Ueli Maurer im April unterschrieben hat. Aus der Debatte und dem bisherigen Wissensstand lassen sich vier wichtige Erkenntnisse ableiten.

1. Der geografische Umfang der Neuen Seidenstrasse ist unklar.

Die Neue Seidenstrasse ist eine langfristige chinesische Initiative mit globaler Reichweite, die eine flexible geografische und inhaltliche Form hat. Die Volksrepublik China selber hat bis jetzt keine offizielle «Belt and Road»-Landkarte und auch keine Liste der beteiligten Länder publiziert. Die Folge: Es zirkulieren verschiedene BRI-Pläne und Schätzungen für die bisherigen und geplanten Investitionen. In offiziellen Dokumenten wird von sechs Land-«Korridoren» und einer maritimen Verbindung gesprochen. Seit Kurzem wird auch ein Arktischer Korridor erwähnt. Die folgende Grafik G 1 illustriert den möglichen Verlauf der bereits umgesetzten und geplanten Verbindungswege.

Grafik Seidenstrasse

Einerseits können als «BRI-Länder» jene 125 Staaten bezeichnet werden, die eine Form von Absichtserklärung mit China unterzeichnet haben. Andererseits kann ein geografischer Ansatz verwendet werden, wie dies die Weltbank in einem externe Seiteaktuellen Bericht tut. Sie nennt 70 «Belt and Road»-Korridorländer (ohne China), welche an einer der sechs Landrouten oder an der maritimen Seidenstrasse liegen und bereits an BRI-Projekte beteiligt sind oder diese planen. Die bisherigen und geplanten Investitionen in Infrastrukturprojekte in den 70 Korridorländern werden auf 550 Milliarden Schweizer Franken geschätzt (Weltbank 2019).

2. Das wirtschaftliche Potenzial der Neuen Seidenstrasse ist gross – ebenso wie die Herausforderungen.

Der Infrastrukturbedarf in aufstrebenden Ländern und Regionen ist enorm. Laut der Asiatischen Entwicklungsbank fehlen allein in Asien jedes Jahr 1660 Milliarden Franken für Infrastrukturinvestitionen. Die Weltbank schätzt, dass die volle Implementierung aller geplanter BRI-Transportinfrastruktur-Projekte das globale Handelsvolumen um 1.7 bis 6.2% steigern würde. Das globale Einkommen könnte sich um 0.7 bis 2.9% erhöhen. Ausserdem schätzt die Weltbank, dass diese Projekte das Potenzial haben, über 7.6 Millionen Menschen aus der extremen Armut zu befreien.

Damit diese Wachstumspotenziale ausgeschöpft werden können, müssen die BRI-Länder gemäss Weltbank-Bericht komplementäre Politikmassnahmen treffen. Zentrale Aspekte sind die Verbesserung der Rechtssicherheit, die Erhöhung der Transparenz – etwa in Bezug auf chinesische Kredite und die Projektvergabe –, die Reduktion von Handelshemmnissen sowie die Gewährleistung einer nicht diskriminierenden Nutzung der Infrastruktur in Transitländern. Chinas Staatspräsident Xi Jinping kündigte am zweiten «Belt and Road»-Forum Ende April an, dass die BRI in Zukunft «grüner, sauberer und transparenter» werde.

3. Einzelne Schweizer Wirtschaftssektoren haben die Chance, sich an BRI-Projekten zu beteiligen.

Die BRI-Projekte können auf mehreren Wegen Chancen für Schweizer Unternehmen bieten. Erstens durch direkte oder indirekte Partizipation von Schweizer Unternehmen an BRI-Infrastrukturprojekten. Die direkte Partizipation scheint aufgrund der bisherigen, intransparenten Vergabe allerdings schwierig. Laut dem Center for Strategic and International Studies (CSIS) wurden bis zum Januar 2018 knapp 90% der BRI-Aufträge von chinesischen Konzernen ausgeführt. Am KOF Wirtschaftsforum wurde deshalb mehrfach die zentrale Bedeutung eines globalen Informationsportals für Projektausschreibungen mit einheitlicher Terminologie und Standards hervorgehoben. Es wurde zudem der Wunsch geäussert, dass sich der Bund für diese und weitere gute Rahmenbedingungen wie die Einhaltung von internationalen Umwelt- und Sozialstandards in BRI-Projekten einsetzt.

Vielversprechender scheinen die Möglichkeiten für die indirekte Partizipation von Schweizer Firmen an BRI-Projekten zu sein. Sie bestehen hauptsächlich für jene Firmen, die bereits etablierte Zulieferer chinesischer Staatskonzerne sind. Um die Chancen für die Schweizer Unternehmen zu erhöhen, gilt es, die Schaffung von thematischen Schweizer Konsortien zu prüfen. So könnte insbesondere KMUs der Einstieg in globale Wertschöpfungsketten ermöglicht werden. Die hiesigen Finanzinstitute könnten solche Industriekonsortien finanzieren und die Schweizer Exportrisikoversicherung (SERV) könnte allfällige politische Risiken absichern.

Am grössten scheint das Potenzial der BRI für den Schweizer Finanzplatz zu sein. Schweizer Finanzinstitute könnten als Kreditgeber und Investoren auftreten. Im Hinblick auf langfristig orientierte Anleger betonte der Rückversicherer Swiss Re am Wirtschaftsforum die Notwendigkeit eines liquiden Marktes für Infrastrukturprojekte. Schliesslich könnten Schweizer Versicherungskonzerne auch konkrete Infrastrukturvorhaben (rück)versichern.

Zweitens dürften Schweizer Firmen mittel- bis langfristig von den positiven Wachstumsimpulsen der geplanten Infrastrukturprojekte profitieren. Chinas Initiative hat den Fokus diesbezüglich auf die grossen Infrastrukturherausforderungen in Asien und in anderen aufstrebenden Ländern und Regionen gerichtet. In gewissen Korridorländern sind die Investitionen Japans und der Asiatischen Entwicklungsbank bereits heute wichtiger als die im Rahmen der BRI geplanten Projekte. Zudem haben mehrere Länder und Staatenbünde bilaterale Infrastrukturinitiativen angekündigt, darunter die EU, Südkorea und Russland.

Drittens schliesslich kann eine verbesserte Infrastruktur mittelfristig die Handelsrouten verändern, die Handelskosten senken und die globalen Wertschöpfungsketten effizienter machen.

4. Es besteht neuartiger Koordinations- und Kooperationsbedarf auf der Schweizer Seite.

China und die Schweiz drücken in der gemeinsam unterzeichneten Absichtserklärung die Bereitschaft aus, Möglichkeiten für die Zusammenarbeit bei Projekten in Drittstaaten in den Bereichen Handel, Investitionen und Finanzdienstleistungen zu identifizieren. Zudem sollen Projektinformationen ausgetauscht werden. Das MoU nennt auch die Grundsätze für die Zusammenarbeit in Drittstaaten: Die Projekte sollen internationale Normen respektieren und vom Markt und den Unternehmen ausgehen. Sie sollen ausserdem so ausgestaltet sein, dass sie einen Beitrag zur Erreichung der UNO-Nachhaltigkeitsziele leisten.

Die Absichtserklärung nennt drei Kooperationsplattformen für BRI-Projekte, wovon zwei primär von der Privatwirtschaft organisiert werden sollen – mit noch zu definierender Rolle des Bundes. Im Rahmen des Wirtschaftsforums wurde mehrfach die bedeutende Rolle der Bundesverwaltung betont, welche bei der Zusammenarbeit mit China unabdingbar sei. Es gilt also, sich innerhalb der Schweiz zu organisieren und sich über die Aktivitäten anderer westlicher Länder in Bezug auf die BRI informiert zu halten. Denn die Schweiz ist bei Weitem nicht das einzige Land, das eine Absichtserklärung mit China unterzeichnet hat.

Kontakt

Dr. Vera Eichenauer
Dozentin am Departement Geistes-, Sozial- und Staatswissenschaften
  • LEE G 120

Professur f. Wirtschaftsforschung
Leonhardstrasse 21
8092 Zürich
Schweiz

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