Trotz Steuerferien arbeiteten die Schweizer kaum mehr

Arbeiten wir mehr, wenn es sich lohnt? Nicht unbedingt, das zeigt eine neue Studie von Isabel Martìnez, Michael Siegenthaler und Emmanuel Saez. Die Autoren demonstrieren anhand von Schweizer Daten, dass eine vorübergehende, vollständige Befreiung von der Einkommenssteuer nicht wirklich zu einem erhöhten Arbeitseinsatz geführt hat.

Würden wir mehr arbeiten, wenn wir für eine gewisse Zeit keine Steuern bezahlen müssten? Viele Befürworter eines schlanken Staates denken wohl intuitiv, dass dem so wäre. Theoretisch ist es zwar sinnvoll mehr zu arbeiten, wenn die Steuern vorübergehend tiefer sind – und damit das, was nach Steuern vom Lohn übrig bleibt, grösser ist. Aber ist dies in der Praxis auch umsetzbar? Viele haben Jobs mit fixen Stunden, können nicht ohne Weiteres einen Job mit längerer Arbeitszeit oder einen zweiten Job aufnehmen. Die Arbeitssuche, wenn man nicht gearbeitet hat, kann dauern. Wie wirken sich vorübergehende Steuerveränderungen also auf das gesamtwirtschaftliche Arbeitsangebot aus?

Die «Steuerferien» in der Schweiz

In einer aktuellen Studie (Martínez et al., 2018) gehen Isabel Martìnez, Michael Siegenthaler und Emmanuel Saez dieser wichtigen Frage nach. Sie dokumentieren die Veränderungen im Arbeitsangebot der Schweizer Erwerbsbevölkerung während eines aussergewöhnlichen Steuerexperiments um die Jahrtausendwende. Aufgrund ein- bis zweijähriger «Steuerferien» kam es zu einer massiven Erhöhung der Löhne nach Steuern. Während dieses Zeitraums wurden die Einkünfte aller Arbeitskräfte in der Schweiz vollständig von der Einkommenssteuer befreit – der durchschnittliche Steuersatz fiel von rund 11% auf Null. Der Grenzsteuersatz fiel von mehr als 20% auf Null. Daraus ergab sich ein grosser lohnbedingter Anreiz, in den steuerbefreiten Jahren mehr zu arbeiten.

Die vorübergehende Steuerbefreiung ergab sich, weil die Schweizer Kantone von einem vergangenheitsorientierten Steuersystem zu einem modernen, gegenwartsbezogenen Steuersystem wechselten. Der Übergang vom einen ins andere System führte zu einer sogenannten Bemessungslücke: Zur Vermeidung einer Doppelbesteuerung wurde das Einkommen, das in das Jahr oder die zwei Jahre vor der Umstellung fiel, nie besteuert. Ansonsten wären sowohl in der Vergangenheit erzielte Einkünfte (nach dem alten System) als auch aktuelle Einkünfte (im neuen System) zur selben Zeit besteuert worden. Interessanterweise vollzogen nicht alle Schweizer Kantone die Umstellung gleichzeitig. In zwei Kantonen galt die Steuerbefreiung für die Jahre 1997 und 1998, in 16 Kantonen für 1999 und 2000; in vier Kantonen erstreckte sich die Steuerbefreiung nur auf das Jahr 2000 und in drei Kantonen auf die Jahre 2001-2002.

Überraschend geringe Auswirkungen auf das gesamtwirtschaftliche Arbeitsangebot

Beeinflussten die Steuerferien die Entscheidung der arbeitenden Bevölkerung, einer Arbeit nachzugehen nun oder nicht? Abbildung 1 zeigt die Beschäftigungsquote der 20-60-Jährigen in drei Kantonsgruppen mit unterschiedlichem Zeitpunkt der Bemessungslücke. Es fällt zum einen auf, dass alle drei Kantonsgruppen während des gesamten Zeitraums sehr ähnliche Trends in der Beschäftigungsquote aufweisen. Dies bedeutet, dass für jede Kantonsgruppe die jeweils anderen Gruppen gute Kontrollgruppen darstellen. Zum anderen gibt es keine Anzeichen für einen (relativen) Anstieg der Beschäftigungsquote während den durch die schattierten Bereiche gekennzeichneten Zeiträumen der Steuerbefreiung. Dies bedeutet, dass die Partizipation am Arbeitsmarkt trotz Nullsteuern – und damit höherem Nettolohn – kaum zunahm.  

Steuerferien
Anmerkung: Die Abbildung zeigt die Beschäftigungsquote pro Jahr und Kantonsgruppe von 1990 bis 2010. Die obere Grafik bezieht sich auf Männer, die untere auf Frauen. Die Untersuchungen der einzelnen Jahre erstrecken sich auf alle Einzelpersonen im Alter von 20-60 Jahren. Die Beschäftigungsquote wird als Anteil der für die Untersuchung relevanten Einzelpersonen mit positiven Arbeitseinkünften (entweder aus Löhnen oder aus selbständiger Erwerbstätigkeit) während des Jahres berechnet. Die drei Kantonsgruppen sind: 16 Kantone mit einer Steuerbefreiung in den Jahren 1999 und 2000 (hellgrün); vier Kantone mit einer Steuerbefreiung im Jahr 2000 (dunkelgrün); und drei Kantone mit einer Steuerbefreiung von 2001-2002 (braun). Für jede der drei Gruppen stellen wir die entsprechenden Zeiträume der Steuerbefreiung mit vertikalen Schattierungen in der dazugehörigen Farbe dar. In beiden Grafiken sind die Punkte, welche die Steuerbefreiung markieren, grösser und weiss markiert. Aus der Abbildung ergeben sich keine Hinweise auf Beschäftigungseffekte aufgrund der Steuerbefreiung.

Insgesamt finden die Autoren in ihren umfangreichen Analysen überraschend wenig Hinweise darauf, dass sich der Wegfall der Steuern auf das Arbeitsangebot auswirkte, obwohl die Erwerbstätigen für die Anpassung ein oder zwei Jahre Zeit hatten. Sie finden insbesondere keine Effekte auf die Entscheidung, am Arbeitsmarkt teilzunehmen, auch nicht bei Untergruppen, bei denen man üblicherweise von einem stärkeren Partizipationseffekt ausgeht (wie etwa verheiratete Frauen). Die Erkenntnisse deuten darauf hin, dass es für Erwerbstätige nicht einfach war, ihr Arbeitsvolumen zu erhöhen um von der Steuerbefreiung zu profitieren. Aus dem Verhalten einiger Erwerbstätiger schliessen die Autoren jedoch, dass Erwerbseinkünfte verschoben oder anders deklariert wurden, um Steuern zu umgehen. Sie zeigen, dass insbesondere Spitzenverdiener und Selbstständige von der Steuerbefreiung profitierten, indem sie ihre Einkünfte manipulierten und in den Zeitraum der Steuerbefreiung verschoben.

Resultate hinterfragen zentralen Mechanismus in theoretischen Konjunkturmodellen

Obwohl dies zunächst nicht offensichtlich ist, haben die Ergebnisse der Studie weitreichende Implikationen für theoretische Makromodelle, die Konjunkturzyklen zu erklären versuchen. Die Schätzungen identifizieren einen Schlüsselparameter dieser Modelle: die sogenannte Frisch-Elastizität. Diese misst die Bereitschaft der Erwerbstätigen, mehr zu arbeiten, wenn sich ihr Lohn vorübergehend erhöht. Die Frisch-Elastizität ist zentral für diese Konjunkturmodelle, weil sie bestimmt, ob die Modelle dem Umstand gerecht werden, dass Rezessionen zwar meist zu hohen Beschäftigungsrückgängen führen, die Löhne jedoch kaum oder nur wenig sinken. Ist die Frisch-Elastizität hoch, erklärt sich dieser Umstand aufgrund der Entscheidungen der Erwerbstätigen, ob und wie viel sie arbeiten. Denn bei einer hohen Frisch-Elastizität führt selbst ein relativ geringer Rückgang der Löhne während einer Rezession dazu, dass sich Erwerbstätige freiwillig aus dem Arbeitsleben zurückzuziehen. Die gefundenen Erkenntnisse deuten darauf hin, dass freiwilliger Erwerbsverzicht keine entscheidende Rolle spielt bei der Erklärung von Beschäftigungsrückgängen während Rezessionen. In der Tat sind die berechneten Frisch-Elastizitäten um Faktor 10 und mehr kleiner als die Frisch-Elastizitäten, die viele Makro-Konjunkturmodelle zur Erklärung von Beschäftigungsrückgängen während Rezessionen benötigen.
 

Literatur

Martìnez, Isabel, Michael Siegenthaler, und Emmanuel Saez (2018): Intertemporal labor supply substitution? Evidence from the Swiss Income Tax Holiday, NBER Working Paper No. 24634.

Hinweis

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Kontakt

Dr. Michael Siegenthaler
Dozent am Departement Management, Technologie und Ökonomie
  • LEE G 301
  • +41 44 633 93 67

KOF Konjunkturforschungsstelle
Leonhardstrasse 21
8092 Zürich
Schweiz

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