Bretton Woods, Brüssel und danach: Die Neugestaltung der europäischen Institutionen

Allgemein heisst es, dass es nicht an Ideen oder Tools mangelt, das Projekt Europa neu zu gestalten, sondern an Prioritäten. Oder anders gesagt, die Ökonomen diskutierten darüber, was zu tun ist und mit welchen Mitteln, doch sie schwiegen sich darüber aus, wer dafür zuständig ist und wann dies geschehen soll. Ein neues E-Book, herausgegeben von Nauro Campos und Jan-Egbert Sturm (2018), unterstreicht, dass die institutionelle Frage von grundlegender Bedeutung für die Zukunft Europas ist.

Es ist nicht klar, ob sich Europa an einem Scheideweg befindet oder am Abgrund. Die vielfältigen Wirtschaftskrisen haben sich verstärkt. Daneben herrscht eine allgemeine politische Krise. Es besteht kaum Zweifel daran, dass das europäische Integrationsprojekt neugestaltet werden muss und dass dies jetzt, vor dem nächsten Konjunkturrückgang geschehen muss. Untätiges Abwarten lässt die Kosten immens steigen; es bedarf neuer Wege, damit der Umbau in einer demokratischen, effizienten und nachhaltigen Weise vonstattengeht.

Wirtschaftswissenschaftler diskutierten lange darüber, was zu tun ist und wie dies umgesetzt werden soll, doch sie schwiegen sich grösstenteils darüber aus, wer dafür zuständig ist und wann dies geschehen soll. Welche Institutionen und Organisationen sind erforderlich? Die Tatsache, dass noch nicht einmal die Frage «Welche Institutionen sollten neugestaltet oder von Grund auf neu aufgebaut werden, um Reformen in Europa durchzuführen?» gestellt wird, ist eine Erklärung dafür, dass die Reformen noch nicht umgesetzt wurden.

Ein E-Book als Ausgangspunkt für eine Diskussion

In ihrem neuen E-Book, das Reformansätze einer Vielzahl wichtiger Forscherinnen und Forscher enthält, unterstreichen externe SeiteCampos und Sturm (2018) dass die institutionellen Fragen von grundlegender Bedeutung für die Zukunft der europäischen Integration sind.

In den Kapiteln des E-Books werden die Erkenntnisse des institutionellen Rahmens von Bretton Woods und der darauffolgenden Globalisierungswelle zusammengefasst. Das E-Book ist folgenden übergeordneten Fragen gewidmet: Ist ein Europäischer Währungsfond (EMF) ausreichend? Sind andere Institutionen erforderlich? Wie sollen diese anderen Institutionen gestaltet und implementiert werden? Wie können sie in den existierenden institutionellen Rahmen integriert werden?

Das E-Book untergliedert sich in fünf Teile. Im ersten Teil werden das Bretton-Woods-System und die europäische Integration behandelt. Der zweite ist den wichtigsten europäischen Institutionen gewidmet (Europaparlament, Strukturfonds und ESM). Der Fokus des dritten Teils liegt auf den Finanzinstitutionen und der Mobilität der Arbeitskräfte. Der vierte beschäftigt sich mit zentralen institutionellen Fragen zur Währungsunion. Der fünfte und letzte Teil zeigt Strategien und Hindernisse für die Neugestaltung der europäischen Institutionen auf.

externe SeiteCampos und Sturm (2018) zufolge ist es ein grosses Versäumnis, dass die institutionelle Frage noch nicht gestellt worden ist. Kompromisse sind im Hinblick darauf notwendig, was wann getan werden kann, und «wer» die derzeitigen Schwierigkeiten lösen kann. Das E-Book untersucht einige Institutionen. Die vorliegende Auswahl ist jedoch nicht vollständig, denn im Rahmen des E-Books konnten zahlreiche Institutionen wie Arbeitsmarktinstitutionen nicht behandelt werden (Blanchard 2018). Der Schwerpunkt zukünftiger Forschungsarbeiten sollte auf der Erstellung einer Landkarte der europäischen Institutionen liegen.

Reformen werden jetzt gebraucht

Wie weit ist dieser «institutionelle Ansatz» hinsichtlich der Zukunft Europas anderweitig fortgeschritten? Die Schwierigkeit, diese Frage zu beantworten, liegt darin, dass innerhalb der letzten fünf Jahre unzählige Vorschläge, Anregungen und Richtlinien entwickelt worden sind. Eine Website des Europaparlaments präsentiert diese Vorschläge und erstellte eine vergleichende Bestandsaufnahme (Europaparlament 2018a, 2018b). Campos und Sturm (2018) zufolge stammt der interessanteste Vorschlag von den «7+7» deutschen und französischen Spitzenökonomen (Bénassy-Quéré and al. 2018), von denen mehrere zu diesem externe SeiteE-Book beigetragen haben. Ihre Vorschläge umfassen Reformen der finanziellen, institutionellen und Fiskalarchitektur. Sie sind der Auffassung, dass die Reform der institutionellen Architektur prioritär und detaillierter behandelt werden sollte.

Das europäische Integrationsprojekt muss überdacht werden, und zwar umgehend. Der nächste Konjunkturrückgang könnte ernsthafte politische und wirtschaftliche Folgen mit sich bringen, wenn Europa nicht darauf vorbereitet ist. Die Kosten könnten immens steigen. Es besteht eine gewisse Dringlichkeit, kreativ und entschlossen zu sein, die erforderlichen Reformen demokratisch, effizient und nachhaltig umzusetzen.

Dieses E-Book kann zwar nicht alle Aspekte der Frage, wie ein neuer Rahmen für das europäische Integrationsprojekt geschaffen werden kann, umfassend behandeln. Doch die Autoren sind überzeugt davon, dass sie ihre Zielsetzung erreicht haben, wenn diese Aspekte in der aktuellen Debatte um die Zukunft Europas berücksichtigt werden.

eBook Launch Event

Freitag, 22.06.2018

Veranstaltungsort:

KOF Konjunkturforschungsstelle, Leonhardstrasse 21, 8092 Zürich

Literatur:

Bénassy-Quéré, A., M. Brunnermeier, H. Enderlein, E. Farhi, M. Fratzscher, C. Fuest, P-O. Gourinchas, P. Martin, J. Pisani-Ferry, H. Rey, I. Schnabel, N. Véron, B. Weder di Mauro, and J. Zettelmeyer (2018): externe SeiteReconciling Risk Sharing with Market Discipline: A Constructive Approach to Euro Area Reform. CEPR Policy Insight No. 91.

Blanchard, O. (2018): externe SeiteThe Missing Third Leg of the Euro Architecture: National Wage Negotiations. PIIE.

Campos, N. und J-E. Sturm (eds.): externe SeiteBretton Woods, Brussels and Beyond: Redesigning the Institutions of Europe. CEPR Press, 2018.

European Parliament (2018a): externe SeiteThe Future of Europe Debate on Reforming the EU.

European Parliament (2018b): externe SeiteThe Future of Europe: Contours of the Current Debate.

Ähnliche Themen

KOF Bulletin

JavaScript wurde auf Ihrem Browser deaktiviert