Strukturell und konjunkturell bedingte Veränderungen der europäischen Arbeitsmärkte

Die Krisenjahre haben gezeigt, dass die Arbeitsmärkte in vielen Ländern des Euroraums zu rigide waren, um sich unerwarteten makroökonomischen Veränderungen anzupassen. In der Folge hat die Beschäftigung im Euroraum zwischenzeitlich um mehr als 5 Mio. Stellen abgenommen und die Arbeitslosigkeit hielt sich lange hartnäckig über 10%. Diverse strukturelle Anpassungen und die konjunkturelle Erholung haben seit 2013 zu einer Verbesserung der Arbeitsmarktsituation geführt.

Regulierung ist unerlässlich, um die Rechte von Arbeitnehmern zu definieren, für Planungssicherheit bei den privaten Haushalten zu sorgen und der Diskriminierung bestimmter Personengruppen entgegenzuwirken. Zu viel Regulierung kann jedoch durch unnötigen bürokratischen Aufwand den Stellenaufbau verlangsamen, den Handlungsspielraum von Firmen in Krisenzeiten einschränken und die Arbeitsmobilität in produktiveren Sektoren behindern. Verschiedene Indikatoren deuten darauf hin, dass die Mehrheit der europäischen Länder im internationalen Vergleich über wenig effiziente Arbeitsmärkte verfügt. Gemäss dem aktuellen «WEF Global Competitiveness Report» liegen insbesondere Italien und Spanien im Bereich Arbeitsmarktflexibilität weit hinter anderen fortgeschrittenen Volkswirtschaften zurück (siehe G 5). Auch der «Strictness of Employment Protection»-Indikator der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) zeigt auf, dass der Arbeitnehmerschutz bei den Mitgliedern des Euroraums deutlich stärker ausgebaut ist als beispielsweise im angelsächsischen Raum.

WEF

Um die Arbeitslosigkeit zu senken und die Beteiligung am Arbeitsmarkt zu erhöhen, wurden in den vergangenen Jahren grosse Anstrengungen unternommen, die europäischen Arbeitsmärkte flexibler und dynamischer zu gestalten. Ein Grossteil der Gesetzgebung nach 2007 ist konjunkturbedingt der aktiven Arbeitsmarktpolitik zuzuordnen, wie zum Beispiel staatliche Hilfsprogramme. Im Rahmen der anschliessenden konjunkturellen Erholung wurden auch vermehrt Erwerbsanreize eingeführt und Massnahmen zur Steigerung der Arbeitsnachfrage umgesetzt. Viele Gesetze gingen strukturelle Aspekte wie den Kündigungsschutz, Lohnfindung, Arbeitslosenunterstützung oder Arbeitsbesteuerung an. Ein Grossteil der strukturellen Reformen ist in den ehemaligen Krisenstaaten angepackt worden (siehe G 6)[1]. So haben beispielsweise Italien und Spanien eine Reihe von Massnahmen ergriffen, um den Kündigungsschutz zu lockern und so mehr Anreize für unbefristete Arbeitsverträge zu schaffen.

Arbeitsmarktreformen

Woher kommt die Verbesserung der Arbeitsmarktsituation?

Seit Mitte 2013 deuten viele Indikatoren eine Verbesserung der Arbeitsmarktsituation an. Der Anteil der Erwerbslosen an den Erwerbspersonen im Euroraum ging stetig zurück und liegt derzeit noch bei 9% (siehe G 7). Im Gleichschritt haben sich auch die Jugend- und Langzeitarbeitslosigkeit stetig reduziert. Die einzelnen Länder der Währungsunion zeigen jedoch weiterhin sehr unterschiedliche Verläufe der Erwerbslosenquote. Während sie in Deutschland seit dem Ausbruch der Krise beinahe stetig auf unter 4% gefallen ist, kam sie in Spanien im Jahr 2013 auf über 25% zu liegen und ist seither im Zuge des kräftigen Aufschwungs auf 17% gefallen. In Frankreich und Italien hingegen verharren die Erwerbslosenquoten immer noch bei 10% bzw. 11%.

Erwerbslosenquote

Der Anteil der Erwerbspersonen, bestehend aus Erwerbstätigen und Erwerbslosen, nimmt im Verhältnis zur gesamten Wohnbevölkerung im arbeitsfähigen Alter von 15 bis 64 Jahren bereits seit vielen Jahren zu (siehe G 8). Er ist auch durch die Finanz- und Verschuldungskrise nur leicht gebremst worden. In Italien hat eine neue Gesetzgebung die Teilnahme am Arbeitsmarkt gefördert und so sogar zu einem kräftigen Anstieg der Erwerbsquote geführt. Der Hauptgrund dafür, warum im Euroraum ein Teil der Erwerbsfähigen keiner Erwerbstätigkeit nachgeht, ist die Teilnahme an Aus- und Weiterbildungen. Ebenso sind familiäre und insbesondere krankheitsbedingte Gründe wichtiger geworden für das Fernbleiben vom Arbeitsmarkt. Hingegen sind frühzeitige Pensionierungen deutlich seltener geworden und auch der Anteil an Personen, die aus Entmutigung nicht am Arbeitsmarkt teilnehmen, hat jüngst wieder abgenommen.

Erwerbsquoten

Die Frage, ob die Verbesserung der Arbeitsmarktsituation auf die konjunkturelle Erholung oder auf strukturelle Reformen zurückzuführen ist, könnte die von der Europäischen Kommission geschätzte natürliche Erwerbslosenquote beantworten. Diese gibt das Niveau der Erwerbslosenquote an, bei der keine Beschleunigung oder Verlangsamung der Lohninflation aufkommt. Während sie in Deutschland, Portugal und Irland deutlich gefallen ist, hat sie sich in Spanien, Frankreich und dem Euroraum insgesamt kaum verbessert und im Falle von Italien sogar noch verschlechtert. Die Entwicklung der vergangenen Jahre dürfte dementsprechend mehrheitlich konjunkturell bedingt sein.

Wie zeigt sich der Aufschwung in der Beschäftigung?

Aufgrund der durch die Finanzkrise ausgelösten Rezession in den Jahren 2008 und 2009 nahm die Beschäftigung in den meisten Ländern Europas ab, wobei die Peripherieländer besonders hart getroffen wurden. Durch die konjunkturelle Erholung und strukturelle Reformen des Arbeitsmarktes hat die Beschäftigung im Euroraum insgesamt seit 2013 wieder kräftig zugelegt, so dass im laufenden Jahr wieder das Vorkrisenniveau erreicht wurde (siehe G 9). Diese Entwicklung war jedoch geografisch, demografisch und branchenspezifisch höchst unterschiedlich. Neben dem Aufholprozess in Spanien war sie hauptsächlich von der kräftigen Beschäftigungsausweitung in Deutschland geprägt. Da in der Krise die Stellen hauptsächlich im Verarbeitenden Gewerbe und im Bau verloren gingen, waren auch junge, männliche und niedrig qualifizierte Arbeitnehmer am stärksten betroffen. In diesen Untergruppen hat der jüngste Beschäftigungsaufbau bis anhin nur schleppend stattgefunden. Ein über die Branchen, Demografien und Länder hinweg breit abgestützter Stellenaufbau ist erst ansatzweise am aktuellen Rand auszumachen.

 

Beschäftigungsveränderung

Strukturelle Defizite sind weiterhin vorhanden

Notwendige Reformen für widerstandsfähigere und flexible Arbeitsmärkte sind vielerorts angegangen worden, was sich in den vergangenen Jahren auch positiv in der vom «World Economic Forum» geschätzten Arbeitsmarktflexibilität niederschlagen hat. Die gute konjunkturelle Dynamik sollte aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass in vielen Ländern der Währungsunion noch Verbesserungsbedarf besteht. In Frankreich sind beispielsweise Investitionen in das Berufsbildungssystem, Massnahmen zur Erhöhung der Arbeitsmobilität und ein verbesserter Arbeitsmarktzugang für Niedrigqualifizierte notwendig. Im Fall von Italien sind die grossen regionalen Unterschiede bei den Arbeitsmarktbedingungen, die hohe Jugendarbeitslosigkeit und die niedrige Arbeitsmarktbeteiligung von Frauen verbesserungswürdig. In Spanien kommt zur erhöhten Jugendarbeitslosigkeit auch die Problematik der hohen Langzeitarbeitslosigkeit dazu. Mehr als die Hälfte der Arbeitslosen sind bereits länger als ein Jahr ohne Beschäftigung, was deren Risiko eines völligen Ausscheidens aus dem Arbeitsmarkt erhöht.

 

[1] Die Anzahl erlassener Gesetze ist lediglich ein Indikator für den Reformfortschritt. Beispielsweise sind die für den deutschen Arbeitsmarkt wegweisenden Hartz-Reformen zwischen 2003 und 2005 in der Grafik nicht auszumachen.

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