Weltwirtschaft nimmt Fahrt auf

Seit gut einem Jahr expandiert die Weltwirtschaft deutlich. Im 2. Quartal 2017 verstärkte sich das Tempo sogar. Sowohl in den USA, Japan als auch im Euroraum legte die Wirtschaft mit Raten deutlich über Potenzial zu. In den USA ist die Wirtschaft nun nahe an der Vollauslastung, in Japan wohl bereits darüber. Im Euroraum ist die Produktionslücke dagegen noch geöffnet. Die chinesische Wirtschaft dürfte den Zenit ihrer Hochkonjunktur langsam überschreiten.

Aufschwung breiter abgestützt als bis anhin

Die derzeitige globale konjunkturelle Dynamik ist nicht nur stärker, sondern verwendungsseitig auch breiter abgestützt als noch in den vergangenen Jahren. Bis Herbst 2016 verlief der Aufschwung recht mässig und wurde überwiegend vom Konsum getragen, während die Investitionen und der Aussenhandel eher schwach blieben. Seit dem Winter 2016/17 expandieren die Investitionen allerdings wieder deutlich stärker und erwiesen sich zu Jahresbeginn trotz hoher politischer Unsicherheiten als robust.

Das beschriebene Aufschwungsmuster ist eher atypisch, da in der Regel die Investitionskonjunktur nach konjunkturellen Schwächephasen zuerst anzieht. Ein Grund für die längere Schwächephase der Investitionen dürfte gewesen sein, dass viele Unternehmen infolge der massiven wirtschaftlichen Krisen der jüngeren Vergangenheit (Grosse Rezession, europäische Schuldenkrise, Schwellenländerkrise) ihre Verschuldung reduzierten und insgesamt vorsichtiger agierten. Andere Ökonomen sehen die Investitionsschwäche dagegen als langfristiges Phänomen1.

Langsame geldpolitische Divergenz setzt sich fort

Hinsichtlich der Geldpolitik setzt sich die graduelle Divergenz zwischen den grossen Wirtschaftsräumen wie erwartet fort. Die US-Notenbank erhöhte die Federal Funds Rate, den US-amerikanischen Leitzins, Mitte Juni um weitere 0.25 Prozentpunkte. Das Zielband der Funds Rate liegt nun zwischen 1 und 1.25%. Zum Jahresende hin wird wohl ein weiterer Zinsschritt folgen.

Im vergangenen Winter schwenkte die chinesische Notenbank ebenfalls auf einen weniger expansiven Kurs ein. Sie möchte damit Kapitalabflüsse und eine Abwertung des Yuan eindämmen. Die japanische Notenbank hält dagegen unvermindert an ihrer extrem lockeren Geldpolitik fest. Angesichts der persistent niedrigen Inflation musste sie das Erreichen ihres Inflationsziels von 2% zum vierten Mal in fünf Jahren verschieben – auf nunmehr das Jahr 2020.

Auch die Europäische Zentralbank (EZB) setzt ihren expansiven geldpolitischen Kurs relativ unvermindert fort. Das Ankaufprogramm für Staats- und Unternehmensanleihen wurde planmässig im April um 20 Mrd. Euro auf ein monatliches Volumen von 60 Mrd. Euro reduziert und läuft noch bis mindestens Ende dieses Jahres. Bei einem anhaltenden Aufschwung im Euroraum dürfte die EZB den Umfang ihrer Ankäufe anschliessend schrittweise reduzieren.

Mit einer Anhebung des Leitzinses im Euroraum ist frühestens ab Sommer 2018 zu rechnen. In der ersten Sommerhälfte 2017 fanden sich in der Kommunikation der EZB zunehmend Hinweise auf die avisierte geldpolitische Wende. Zum Beispiel sprach EZB-Präsident Draghi in einer Rede im Juli von «reflationierenden Kräften» im Euroraum und gab Hinweise auf ein Tapering im nächsten Jahr. Zuletzt mehren sich jedoch wieder die skeptischen Stimmen im EZB-Rat. Denn infolge der guten Konjunkturnachrichten aus dem Euroraum und der gesunkenen Unsicherheit nach den Wahlen in Frankreich wertete der Euro gegenüber dem US-Dollar und anderen wichtigen Währungen recht deutlich auf (seit April 2017 rund 10% gegenüber dem US-Dollar). Dies dämpft die Inflation im Euroraum und wirkt der Reflationierungspolitik der EZB zumindest kurzfristig entgegen.

Gemäss dem Konzept der Kaufkraftparität ist der Euro gegenüber dem US-Dollar stark unterbewertet (siehe G 3). Dieses Konzept hat zumindest langfristig eine gewisse Prognosekraft für Wechselkursbewegungen2. Es ist daher möglich, dass ein zunehmender Preisdruck im Zuge des konjunkturellen Aufschwungs im Euroraum durch eine weitere Aufwertung des Euro konterkariert wird. Dieses Phänomen war in der jüngeren Vergangenheit für Japan zu beobachten.

USD/EUR Wechselkurs
Quelle: KOF Konjunkturforschungsstelle, ETH Zürich

Ausblick positiv, gesunkene Risiken

Der globale Aufschwung dürfte sich in den kommenden Quartalen mit kaum verminderter Geschwindigkeit fortsetzen. Für den weiteren Verlauf ist dann eine gewisse Verflachung der konjunkturellen Dynamik zu erwarten. Die (wirtschafts-)politischen Unsicherheiten nahmen zuletzt deutlich ab, nachdem sie noch zu Jahresbeginn global sehr hoch gewesen waren. Diese Entwicklung betrifft sowohl die USA als auch Europa. In den USA kristallisiert sich immer mehr ein eigenständiges Auftreten der republikanischen Kongressmehrheit gegenüber Präsident Trump heraus, wie auch ihre starke eigene politische Zersplitterung. Als Konsequenz dürften nach Einschätzung der KOF die radikalen, aber sehr schwammigen Pläne der Trump-Administration hinsichtlich Handelsabkommen, Steuerreform und Infrastrukturinvestitionen nur sehr graduell umgesetzt werden. Grosse Abweichungen von der bisherigen Handels- und Steuerpolitik sind dementsprechend nicht zu erwarten.

Das Risiko von politischen Verwerfungen innerhalb Europas ist ebenfalls gesunken. Aus den Wahlen in den Niederlanden und in Frankreich im Frühjahr dieses Jahres gingen die EU-kritischen Parteien als Verlierer hervor. Und nach den jüngsten Stellungnahmen der britischen Regierung wird es nach Einschätzung der KOF wahrscheinlicher, dass sich der Austritt des Vereinigten Königreichs aus der EU mit einer zusätzlichen Übergangsfrist von zwei Jahren vollziehen wird. Dies verlängert zwar die von dem Austrittsprozess hervorgerufene Unsicherheit, zugleich erhält die Regierung des Vereinigten Königreichs dadurch aber mehr Zeit, Freihandelsabkommen mit der EU und anderen Ländern zu verhandeln.

ausstehende Kredite von Unternehmen
Quelle: KOF Konjunkturforschungsstelle, ETH Zürich

Ein substanzielles Risiko für die weltwirtschaftliche Entwicklung geht weiterhin von der chinesischen Wirtschaft aus. Die Verschuldung im chinesischen Unternehmenssektor ist in den letzten Jahren massiv gestiegen und liegt mittlerweile auf einem auch im internationalen Vergleich extrem hohen Niveau (siehe G 4). Selten kam es bisher vor, dass die Wirtschaft eines Landes nach einer derartigen Schuldexplosion längerfristig ohne eine deutliche Verlangsamung des Wachstums blieb. Ein durch die chinesische Regierung initiierter strukturierter Um- und Entschuldungsprozess würde die wirtschaftliche Dynamik dämpfen. Da dieser Prozess aber grösstenteils ausbleibt, dürfte die chinesische Wirtschaft mit Raten über oder nahe an 6% zunächst noch recht kräftig expandieren, gleichzeitig erhöht sich aber die Gefahr eines krisenhaften Einbruchs.

[1] Vgl. die Diskussion zur «Secular Stagnation Theory» z. B. in Baldwin, R. und C. Teulings (2014): Secular Stagnation: Facts, Causes and Cures, CEPR Press, London.

[2] Vgl. z. B. Cheung, Y.-W.; M. Chinn; A. G. Pascual und Y. Zhang (2017): Exchange Rate Prediction Redux: New Models, New Data, New Currencies, ECB Working Paper 2018 (Februar), Europäische Zentralbank, Frankfurt a. M.

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