Wie umgehen mit den strukturellen Budgetunterschreitungen auf Schweizer Bundesebene?

Die Schweizer Schuldenbremse wird nicht nur national von vielen als eine der Erfolgsgeschichten der Schweiz gesehen. Seit ihrem Inkrafttreten im Jahr 2003 reduzierte sich trotz der Finanzkrise und des Frankenschocks der Bestand an Bruttoschulden des Bundes von 124 Mrd. Fr. auf 99 Mrd. Fr. im Jahr 2016 (siehe G 1). Allerdings bereitet sie einigen Politikern dennoch Sorgen.

Quelle: Shutterstock, KOF
Quelle: Shutterstock, KOF

Denn massgeblich sorgten nicht budgetierte Überschüsse dafür, dass das Mindestziel der Schuldenbremse – der dauerhafte Ausgleich von Einnahmen und Ausgaben (Art. 126 Abs. 1 Bundesverfassung [BV]) – übertroffen wurde. Die nicht budgetierten Überschüsse sind etwa zur Hälfte auf Budgetunterschreitungen auf der Ausgabenseite zurückzuführen. Die Budgetunterschreitungen könnten auch in Zukunft weiter anfallen. Abbildung G 2 zeigt zumindest, dass diese Unterschreitungen bereits eine längere Tradition haben. Eine Folge der Unterschreitungen ist, dass die Bundesrechnung systematisch besser ausfällt als budgetiert und die Schulden somit schrittweise reduziert werden. Im Zeitraum von 2003 bis 2016 beliefen sich die ausgabenseitigen Budgetunterschreitungen im Durchschnitt auf 1.2 Mrd. Franken pro Jahr.

Entwicklung Bruttoschulden
Quelle: KOF Konjunkturforschungsstelle, ETH Zürich

Vor diesem Hintergrund beauftragte der Schweizer Bundesrat eine Expertenkommission, um zu prüfen, ob zukünftig Budgetunterschreitungen auf der Ausgabenseite anstelle eines weiteren Schuldenabbaus zu einer Erhöhung des Ausgabenplafonds verwendet werden sollten. Die Mitglieder der Expertenkommission, externe SeiteMarius Brülhart (Universität Lausanne), externe SeitePatricia Funk (Università della Svizzera Italiana), externe SeiteChristoph A. Schaltegger (Universität Luzern), externe SeitePeter Siegenthaler (Verwaltungsrat SBB und BEKB, ehemaliger Direktor der EFV) unter Vorsitz des KOF-Direktors, Jan-Egbert Sturm, kamen zu zwei wesentlichen Schlussfolgerungen1 :

Budgetunterschreitungen
Quelle: KOF Konjunkturforschungsstelle, ETH Zürich

1. Eine Ergänzung der Schuldenbremse ist momentan nicht empfehlenswert

Die Expertengruppe ist der Meinung, dass es aktuell unklug wäre, wesentliche Eingriffe im bestehenden Regelwerk vorzunehmen. Aus zumindest zwei Gründen erwartet sie, dass sich die Budgetunterschreitungen in den nächsten Jahren reduzieren werden. Erstens kann das am 1. Januar 2017 eingeführte sogenannte Neue Führungsmodell für die Bundesverwaltung (NFB) zu geringeren Unterschreitungen führen. Zweitens hat die Schweiz in den vergangenen Jahren die ausserordentliche Situation erlebt, dass sowohl die Inflationsraten und Zinsen über- als auch die Wachstumsraten unterschätzt worden sind. Diese Prognosefehler erleichterten das Einhalten der Budgetvorgaben auf der Ausgabenseite in der Vergangenheit. Im Falle einer veränderten Wirtschafts- und Währungsentwicklung dürfte die Einhaltung der Budgetvorgaben aber weit schwerer fallen, als es die Entwicklung in den letzten Jahren erwarten lässt.

Auch wenn die Budgetunterschreitungen aller Wahrscheinlichkeit nach abnehmen werden, dürften sie wohl nicht ganz verschwinden. Solange sich diese allerdings in einem bescheidenen Ausmass bewegen, sieht die Expertengruppe keinen Anlass, das bestehende Regelwerk zu ändern. Die potenziellen negativen Effekte realisierbarer Alternativen werden in diesem Fall als zu hoch eingestuft.

Die Expertengruppe empfiehlt daher, das existierende Regelwerk zumindest vorläufig so zu belassen. Als Ergänzung des NFB wäre es allerdings vorstellbar, dass für Kredite, bei denen der Bundesrat und die Verwaltung im Budgetvollzug keine Steuerungsmöglichkeit haben, eine Kreditüberschreitung nur in der Rechnung zu begründen ist. Der Anreiz für die Verwaltung, Sicherheitsmargen im Budget aufzunehmen, kann durch eine Wesentlichkeitsgrenze als Prozentsatz des Voranschlagskredits und eines Maximalbetrags für die übrigen Kredite zusätzlich verringert werden. Den allenfalls weiterhin möglichen nicht budgetierten Schuldenabbau beurteilt die Expertengruppe als unproblematisch.

2. Mögliche Steuersenkung bei nachhaltigen und beträchtlichen Budgetunterschreitungen

Stellt sich in den nächsten Jahren heraus, dass die Budgetunterschreitungen nachhaltig und beträchtlich bleiben, ist dies eher ein Zeichen dafür, dass die Steuer- und Abgabenbelastung höher ausgefallen ist als notwendig. Da Steuern mit einem volkswirtschaftlichen Verlust einhergehen, erscheinen niedrigere Steuern aus volkswirtschaftlicher Sicht attraktiv.

Einen möglicherweise praktikablen Weg sieht die Expertengruppe im Zusammenhang mit einer der nächsten Steuerreformen, die mit Einnahmenausfällen verbunden ist. Im Ausmass der zu erwartenden Budgetunterschreitungen könnte auf kompensatorische Sparmassnahmen oder Steuererhöhungen verzichtet werden.

Die Expertengruppe spricht sich aber derzeit gegen ein solches Vorgehen aus. Zum jetzigen Zeitpunkt besteht Unsicherheit darüber, ob bedeutende Budgetunterschreitungen auch in Zukunft zu erwarten sind. Deswegen sollte das Regelwerk momentan unverändert bleiben.

1) Die Expertengruppe ist Herrn Florian Chatagny (KOF) für die wissenschaftliche Unterstützung dankbar.

Expertengruppe Schuldenbremse (2017): Gutachten zur Ergänzung der Schuldenbremse. Bern: Eidgenössisches Finanzdepartement. externe Seitehttps://www.newsd.admin.ch/newsd/message/attachments/49483.pdf

In längerer Form ist dieser Beitrag am 30. August 2017 auf der externe SeiteÖkonomentimme erschienen.

Kontakt

Prof. Dr. Jan-Egbert Sturm
Ordentlicher Professor am Departement Management, Technologie und Ökonomie
Direktor KOF Konjunkturforschungsstelle
  • LEE G 305
  • +41 44 632 50 01
  • Website
  • vCard Download

Professur f. Wirtschaftsforschung
Leonhardstrasse 21
8092 Zürich
Schweiz

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