Widerstand gegen die Globalisierung und Handelsgewinne

In vielen Ländern weltweit gibt es klare Anzeichen für den Widerstand gegen die Globalisierung. Das «Ja» der Briten zum Brexit und der Rückzug der USA aus der transpazifischen Partnerschaft sind nur zwei der markantesten Beispiele für diese veränderte Einstellung zum freien Handel. Eine Erklärung für diesen dramatischen Wandel betrifft das Ungleichgewicht der durch Handel erzielten Wohlfahrtsgewinne über verschiedene Konsumentengruppen hinweg.

Die Seeschifffahrt ist das wichtigste Verkehrsmittel für Gütertransporte (Foto: Shutterstock).
Die Seeschifffahrt ist das wichtigste Verkehrsmittel für Gütertransporte (Foto: Shutterstock).

Diskrepanz zwischen Ökonomen und der breiten Öffentlichkeit

In Umfragen zeigen sich oft grosse Unterschiede zwischen Wirtschaftswissenschaftlern und der breiten Öffentlichkeit, wenn es um ihre jeweiligen Ansichten zum Thema Freihandel geht. Eine im Jahr 2011 mit Mitgliedern der American Economic Association durchgeführte Umfrage offenbarte beispielsweise, dass über 93% der Wirtschaftswissenschaftler der folgenden Aussage zustimmten: «Zölle und Einfuhrkontingente verringern den allgemeinen wirtschaftlichen Wohlstand» (siehe Fuller und Geide-Stevenson, 2014). Gleichwohl weichen die Ansichten von Nicht-Ökonomen zum Thema Freihandel hiervon grundlegend ab. Laut einer im Jahr 2010 von Pew Research durchgeführten Umfrage hatten nur 26% der Teilnehmer das Gefühl, vom internationalen Handel zu profitieren. Eine Erklärung für diese Diskrepanz ist die Art und Weise, wie Handelsökonomen die Wohlfahrtseffekte des freien Handels berechnen, denn sie messen die gesamtwirtschaftlichen Vorteile für ein Land. Diese Messung ist rein informativ und spiegelt die Gewinne der Durchschnittsverbraucher wider, verschleiert jedoch die realen Gewinne über verschiedene Bevölkerungsgruppen hinweg – und dies vor allem in Ländern mit hoher Einkommensungleichheit.

Einkommensungleichheit und heterogene Handelsgewinne

Menschen mit unterschiedlichen Einkommensniveaus entwickeln verschiedene Konsummuster. Die reiche Bevölkerung konsumiert in der Regel mehr Industrieerzeugnisse und Dienstleistungen, während ärmere Schichten den Löwenanteil ihres Einkommens für Lebensmittel, Wohnen und andere Dinge des täglichen Bedarfs ausgeben. Länder profitieren vom internationalen Handel durch verstärkten Zugang zu günstigeren Waren, wenngleich Preisminderungen für verschiedene Produkte alles andere als einheitlich sind. Die genauen Handelsgewinne für eine bestimmte Person hängen somit von ihrem eigenen Konsumpaket ab.

Industriegüter, z. B. Kleidung und Elektroartikel, reagieren sensibler auf fallende internationale Handelsbarrieren als Lebensmittel. Dies ist darauf zurückzuführen, dass die länderübergreifende Produktivitätsverteilung in der Industrie viel breiter gefächert ist als in der Landwirtschaft. Die Produktivitätsunterschiede von Firmen, die Kartoffeln anbauen, sind beispielsweise viel kleiner als bei Computerherstellern. Im Wesentlichen bedeutet dies, dass der Freihandel eher die Verbrauchergruppen begünstigt, die grössere Teile ihres Einkommens für Industriegüter und Dienstleistungen ausgeben als für Lebensmittel. Daher können wirtschaftliche Analysen in Bezug auf den Durchschnittsverbraucher zu einer erheblichen Überbewertung der Vorteile für die ärmere Bevölkerung und zu einer Unterbewertung der Vorteile reicher Schichten führen. Bei einem hypothetischen Rückgang der Handelsbarrieren um 15% können die Erträge für reiche Konsumenten um 16 Prozentpunkte höher sein als diejenigen der Armen.

Die Verteilungseffekte des Handels dürfen nicht übersehen werden. Die Handelspolitik wird oft von Wirtschaftsanalysen, basierend auf den zusammengefassten Handelsgewinnen, beeinflusst. Wirtschaftswissenschaftler sind sich zwar weitestgehend darin einig, dass niedrigere Handelsbarrieren insgesamt zu höheren Gewinnen führen, man jedoch auch erkennen muss, dass der Handel weitreichende Verteilungseffekte mit sich bringt. Diese Effekte müssen bei der Bewertung möglicher Gewinne aus freiem Handel berücksichtigt werden, vor allem für Länder mit ausgeprägter Ungleichheit.

Dieser Beitrag basiert auf:

Sergey Nigai (2016): On Measuring the Welfare Gains from Trade, externe SeiteEconomic Journal, 126: 1193-1237. 

weitere Literatur:

Fuller, Dan and Doris Geide-Stevenson (2014): Consensus among Economists – an Update, Journal of Economic Education, 45(2): 131-146.

Kontakt

Keine Datenbankinformationen vorhanden

Ähnliche Themen

KOF Bulletin

JavaScript wurde auf Ihrem Browser deaktiviert