Die Rolle des subjektiven Wohlergehens bei der rückblickenden Wahlanalyse

Welche Rolle spielt das eigene Wohlergehen bei Wahlen? Werden die Entscheidungen der Wähler von ihrer eigenen Zufriedenheit beeinflusst? In ihrer aktuellen Publikation «Happy Voters» legen Federica Liberini, Michela Redoano und Eugenio Proto die Auswirkungen des eigenen Wohlergehens auf das Wahlverhalten dar und zeigen, dass dieser Indikator eine gute Ergänzung ist zu traditionellen Indizien, wie finanzielle und wirtschaftliche Resultate.

Die Wahl ist nicht immer eine rationale Entscheidung (Foto: Shutterstock)
Die Wahl ist nicht immer eine rationale Entscheidung (Foto: Shutterstock)

Politökonomen beschäftigen sich schon seit Langem damit, zu verstehen, in welchem Ausmass Bürgerinnen und Bürger die bisherige Leistung der Vertreter politischer Parteien bei ihrer Wahlentscheidung berücksichtigen. Die rückblickende Wahlanalyse kommt zu dem übereinstimmenden Ergebnis, dass die Wählerinnen und Wähler diagnostische Informationen, wie wirtschaftliche Tendenzen und die eigene finanzielle Situation, bei der Würdigung guter politischer Leistungen und der Bestrafung korrupter und inkompetenter politischer Verantwortungsträger berücksichtigen. Eine logische Konsequenz dieser Wahlthese ist, dass Wähler rückblickend mitunter «blind» sind, denn sie würdigen (bestrafen) die Regierung für Verbesserungen (Beeinträchtigungen) ihrer persönlichen Lebensbedingungen, selbst wenn diese Veränderungen nicht auf die Umsetzung politischer Entscheidungen zurückzuführen sind. Bisherige Studien untersuchen in erster Linie die Auswirkungen finanzieller und wirtschaftlicher Resultate auf die Wahlentscheidungen.

Diese Beobachtungen halten die Diskussion im Gange, ob Bürgerinnen und Bürger bei der Bewertung der Leistung ihrer politischen Entscheidungsträger ihr eigenes Wohlergehen in die Waagschale werfen. Vor allem die Vorstellung eines «blinden» Rückblicks wirft die Frage auf, ob sie in der Lage sind, politische Entscheidungsträger lediglich für das veränderte Wohlergehen verantwortlich zu machen, das objektiv auf die umgesetzten politischen Entscheidungen zurückzuführen ist.

Das Wohlergehen hat einen erheblichen Einfluss auf die Wahlentscheidung

In ihrer aktuellen Publikation bewerten die Autoren diese Punkte und schlagen zudem eine Ausweitung der in der bestehenden Literatur verwendeten Methodik vor. Die Autoren betrachten den Umstand, dass politische Entscheidungsträger in letzter Zeit auf die Einführung neuer Indikatoren achten, welche die über die finanzielle Lage hinausgehenden Lebensbedingungen berücksichtigen, und schlagen vor, die rückblickende Wahltheorie anhand von Messgrössen des subjektiven Wohlbefindens (subjective wellbeing – SWB), wie das selbst wahrgenommene Gefühl der Zufriedenheit mit dem Leben, zu untersuchen.

Die Forschung von Liberini, Redoano und Proto regt die Diskussion an, denn sie zeigt auf, dass die subjektive Wahrnehmung des eigenen Wohlergehens die politische Entscheidung der Wählerinnen und Wähler in Grossbritannien entscheidend beeinflusst. Sie kommen zu dem Schluss, dass Bürger, die ein hohes Mass an SWB angeben, mit höherer Wahrscheinlichkeit die regierende Partei wählen. Diejenigen, die sich selbst als hochzufrieden bezeichnen, haben eine um 1.6 Prozentpunkte höhere Wahrscheinlichkeit, dass sie bei zukünftigen Wahlen die Partei des Premierministers bzw. der Premierministerin unterstützen werden. Im Gegensatz dazu führt ein Anstieg des Familieneinkommens um 10% zu einer um 0.18% erhöhten Wahrscheinlichkeit, dass ein einzelnes Familienmitglied den Amtsinhaber bzw. die Amtsinhaberin unterstützt.

Die Autoren untersuchen auch die Auswirkungen des SWB auf die Unterstützung der Partei des Amtsinhabers durch Wechselwähler (d. h. Wähler, die an keiner stabilen politischen Überzeugung oder der ideologischen Unterstützung einer Partei festhalten). Wie zu erwarten, scheint der Einfluss des SWB auf die Unterstützung der regierenden Partei grösser zu sein als auf alle anderen zur Wahl stehenden Parteien. So erhöht die Zufriedenheit mit dem Leben beispielsweise die Wahrscheinlichkeit, die regierende Partei zu wählen, um 2%.

Witwenschaft als entscheidende Variable für das selbst empfundene Wohlergehen

Ihre wichtigste Erkenntnis ist, dass Bürgerinnen und Bürger nicht zwischen Veränderungen ihres subjektiven Wohlergehens, das nicht der Regierung zuzuschreiben ist, und Veränderungen, für welche die Regierung aller Wahrscheinlichkeit nach verantwortlich ist, unterscheiden können. Zu diesem Schluss kamen sie aufgrund einer Analyse der Auswirkungen der Witwenschaft auf die Wahlabsichten. Dieser Schock hat bekanntlich – vor allem bei Frauen – einen entscheidenden Einfluss auf das subjektive Wohlergehen. Gleichwohl ist davon auszugehen, dass dies nicht auf Handlungen der Regierung zurückzuführen ist. Die Wahrscheinlichkeit, dass verwitwete Frauen während zwei Jahren nach dem Tod ihres Partners die Regierungspartei unterstützen, ist um 10 bis 12% geringer als bei den Einzelpersonen der Testgruppe (bei Männern ist dieser Effekt zwar auch zu beobachten, jedoch weit weniger ausgeprägt).

Dieses Ergebnis ist im Zusammenhang mit den jüngsten Ereignissen im internationalen Politikgeschehen von grosser Bedeutung, denn es deutet darauf hin, dass der politische Erfolg neuer Akteure nicht zwingend mit der Beurteilung von Politikentscheidungen, die von der regierenden Partei in der Vergangenheit umgesetzt wurden, oder mit dem mangelnden Vertrauen in die Zukunft der Wirtschaft zusammenhängt.

Dieser Beitrag basiert auf:

Liberini, Federica; Michela Redoano, and Eugenio Proto (2017): Happy voters, externe SeiteJournal of Public Economics, Volume 146, 41-57, http://dx.doi.org/10.1016/j.jpubeco.2016.11.013

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