Forschungsinstitute halten Geldpolitik der EZB für angemessen

Derzeit prasselt viel Kritik auf die Europäische Zentralbank (EZB) infolge ihrer jüngsten geldpolitischen Massnahmen ein. Namhafte Wirtschaftsforschungsinstitute, darunter die KOF, kommen in ihrer halbjährlichen Konjunkturanalyse im Auftrag der deutschen Bundesregierung hingegen zum Schluss: Die Geldpolitik der EZB ist vor dem Hintergrund der konjunkturellen Lage im Euroraum grundsätzlich angemessen.

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Der Einschätzung der Konjunkturentwicklung misst die deutsche Bundesregierung grosse Bedeutung bei: In ihrem Auftrag erstellen rund 50 Ökonomen aus vier Konsortien von Wirtschaftsforschungsinstituten jeweils im Frühjahr und Herbst in gemeinschaftlicher Arbeit ein circa 80-seitiges Gutachten. Diese sogenannte Gemeinschaftsdiagnose beinhaltet eine umfassende Analyse und Prognose der globalen, europäischen und deutschen Konjunktur, welche die Regierung für die Prognose der Steuereinnahmen heranzieht.

Neben der Konjunkturanalyse liefert die Gemeinschaftsdiagnose Einschätzungen zur Geld- und Fiskalpolitik sowie aktuelle wirtschaftspolitische Analysen, wie zuletzt zu den Auswirkungen des Flüchtlingszustroms auf den deutschen Arbeitsmarkt. Eine kritische Auseinandersetzung mit der Wirtschaftspolitik der staatlichen Institutionen ist hierbei erwünscht. Die KOF nimmt an der Gemeinschaftsdiagnose als Partner des ifo Instituts für Wirtschaftsforschung München teil und vertritt das Konsortium primär auf dem Feld der internationalen und europäischen Konjunktur. Immer wieder geht es auch um die Politik der EZB.

Die EZB im Fokus

In ihrem aktuellen Gutachten nahmen die Institute auch Stellung zu den umfangreichen geldpolitischen Massnahmen, die von der EZB am 10. März 2016 beschlossen wurden. Mit diesen Massnahmen erhöhte die EZB den Expansionsgrad ihrer Geldpolitik im Vergleich zum Dezember 2015 nochmals. Sie senkte den Einlagesatz um zehn Basispunkte auf -0.4% und den Hauptrefinanzierungssatz um fünf Basispunkte auf 0%. Das Anleihenkaufprogramm wurde um 20 Mrd. auf 80 Mrd. Euro pro Monat aufgestockt und auf Unternehmensanleihen mit guter Bonität ausgeweitet. Ausserdem wird die EZB ab Juni 2016 mit einer neuen Reihe von gezielten längerfristigen Refinanzierungsgeschäften beginnen. Ziel dieser Massnahmen ist eine Belebung der Kreditvergabe an den realen Sektor sowie die Stimulierung der zuletzt schwachen Preisdynamik.

Kritik an expansiver Ausrichtung der EZB

In letzter Zeit wurden jedoch vermehrt Stimmen laut, die von einer Überdehnung des EZB-Mandats der Preisstabilität sprechen. Insbesondere in Deutschland stiessen die jüngsten geldpolitischen Massnahmen auf heftige Kritik aus Wirtschaft und Politik: Die Sparer würden durch die Niedrigzinspolitik benachteiligt und Finanzintermediäre geschädigt, da die Erträge aus dem Zinsgeschäft schrumpfen. Dies führe unter anderem zu einer höheren Risikobereitschaft und damit zu mehr Volatilität an den Finanzmärkten. Das Risiko von Blasen steige, beispielsweise in bestimmten Segmenten des Immobilienmarkts. Eine häufig genannte Nebenwirkung der (zu) günstigen Finanzierungsbedingungen sei ausserdem der nachlassende Druck auf die europäischen Regierungen und insbesondere die ehemaligen Krisenstaaten, strukturelle Reformen durchzuführen und Schulden abzubauen. Auch am politischen Aufstieg von eurokritischen Kräften in Deutschland soll die EZB eine Mitschuld tragen.

Schwache Kapazitätsauslastung im Euroraum

Die Gemeinschaftsdiagnose teilt diese Kritik an der EZB nicht: Die Forschungsinstitute kommen zum Schluss, dass die expansivere Ausrichtung der Geldpolitik aufgrund der anhaltend schwachen Kapazitätsauslastung im Euroraum gerechtfertigt ist. Die Produktionslücke belief sich nämlich nach Schätzung der Institute zum Jahresende 2015 auf etwa -1% und der tatsächliche Realzins lag über demjenigen Zinsniveau, bei dem die Produktionslücke unter der Annahme flexibler Preise geschlossen wäre (neutraler Realzins). Die Geldpolitik kann in diesem Szenario kurzfristig den Auslastungsgrad der Wirtschaft erhöhen,  indem sie den tatsächlichen Realzins unter den neutralen Realzins senkt, entweder durch niedrigere Nominalzinsen oder durch eine Stimulierung der Inflationserwartungen. Die persistente Unterauslastung führt dazu, dass die Kerninflationsrate im Euroraum seit etwa zwei Jahren nur ungefähr 1% beträgt. Dies ist neben den gefallenen Energiepreisen ein Faktor, warum die Gesamtinflationsrate unter der Zielinflationsrate der EZB von 2% liegt.

Vor diesem Hintergrund ist nach Auffassung der Institute die Erhöhung des geldpolitischen Expansionsgrads durch die EZB insgesamt angemessen. Die Institute diskutieren allerdings auch die Risiken der unkonventionellen geldpolitischen Massnahmen. Zudem betonen sie, dass mittelfristig ein höheres Wirtschaftswachstum im Euroraum nur durch konsequentere strukturelle Reformen auf Arbeits- und Produktmärkten sowie durch eine Bereinigung der Bankbilanzen in den ehemaligen Krisenländern erreicht werden kann.

Die Gemeinschaftsdiagnose Frühjahr 2016 «Aufschwung bleibt moderat – Wirtschaftspolitik wenig wachstumsorientiert» finden Sie auf unserer Webseite.

Ansprechpartner

Dr. Florian Eckert
  • LEE G 209
  • +41 44 632 29 80
  • vCard Download

KOF Konjunkturforschungsstelle
Leonhardstrasse 21
8092 Zürich
Schweiz

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